Hört man Bildungsplangegnern zu, so sprechen diese meist von „sexuellen Verhaltensweisen“, für die man angeblich keine Akzeptanz einfordern könne. Selbst von Indoktrination, Zwang und einer Unvereinbarkeit mit der Verfassung ist da die Rede. Doch, was ist mit diesem Begriff eigentlich gemeint?
Foto: Tim Reckmann / pixelio.de
Schule
Akzeptanz von verschiedenen sexuellen und geschlechtlichen Orientierungen wird an immer mehr Schulen vermittelt
Wenn von Hetero-, Homo-, Bi-, Trans-, und Intersexualität die Rede ist, sind damit sexuelle Identitäten gemeint, also wesentliche angeborene Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen, unter die auch das biologische Geschlecht fällt, die für heterosexuelle Menschen aber nie in Frage gestellt werden. Es geht also darum, wie ein Mensch geboren wurde, wie er sich selbst und andere wahrnimmt und wie er von anderen wahrgenommen werden möchte. Um dem Rechnung zu tragen, dass der Mensch ein individuelles Wesen ist, werden sexuelle Identitäten häufig unter dem Begriff „sexuelle Vielfalt“ zusammengefasst.
Sehr häufig leiden Menschen, deren sexuelle Identitäten aus dem üblichen Hetero-Muster herausfallen, unter Diskriminierung, ganz besonders an Schulen:
- 62 Prozent der Berliner Schüler*innen der sechsten Klasse verwenden "schwul" oder "Schwuchtel" als Schimpfwort. (Quelle)
- 91 Prozent der LGBTI-Schüler*Innen leiden laut einer Studie der EU-Grundrechteagentur unter Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Identität. (Quelle)
Glücklicherweise wurde hier in den meisten Bundesländern inzwischen Handlungsbedarf erkannt und die Bildungspläne für die Sexualerziehung um das Thema „sexuelle Vielfalt“ ergänzt. Meist fällt dies unter den Begriff „Akzeptanz sexueller Vielfalt“. Bis dahin kam dieses Thema im Unterricht praktisch nicht vor.
Thematisiert werden sollen dabei unter anderem die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Menschen – und damit etwa auch von LGBTI –, Diskriminierung und gegenseitige Achtung. Es geht also um Verständnis füreinander und die Förderung der Sozialkompetenz von Schüler*Innen. Dagegen laufen Bildungsplangegner, wie zum Beispiel von der sog. „Demo für Alle“, sturm.
Welche Argumente haben Bildungsplangegner gegen die Akzeptanz sexueller Vielfalt?
Argumentieren Bildungsplangegner gegen das Thema Vielfalt in Bildungsplänen, so sprechen sie meist von „sexuellen Verhaltensweisen“, statt von sexuellen Identitäten. Auch die katholische Fundamentalistin Hedwig von Beverfoerde, die Organisatorin der sog. „Demo für Alle“, nutzt diese Formulierung. (Quelle)
Bei diesem auf den ersten Blick kleinen Unterschied handelt es sich um einen perfiden Trick: Man schreibt die sexuelle bzw. geschlechtliche Identität eines Menschen nicht mehr seiner Persönlichkeit, sondern seinem Verhalten zu. Auf dieser dreisten Umdeutung, mit der wesentliche Teile der Emotionen und der Selbstwahrnehmung eines Menschen als bloße „sexuelle Verhaltensweisen“ abgewertet werden, fußt die Argumentation von Bildungsplangegnern.
Foto: O. Greve/Hamburg Pride e.V.
Hamburg zeigt Flagge
Die Brecht Schule Hamburg zeigt Flagge
Der Begriff „sexuelle Verhaltensweisen“ steht für die Leugnung der sexuellen Identität als Persönlichkeitsmerkmal.
Indem man die sexuelle Identität als „Verhaltensweise“ abwertet, verschafft man sich damit selbst auch die Legitimation, solche „Verhaltensweisen“ bei anderen in Frage zu stellen. Ein Verhalten kann schließlich jeder selbst beeinflussen, ja, es kann sogar „therapiert“ werden. Und: Zu einem Verhalten kann auch erzogen werden.
Hier lauert für Bildungsplangegner eine Gefahr: Sie befürchten eine Umerziehung von Kindern und eine daraus – wie auch immer – resultierende Zerstörung von Familien. Man fühlt sich von der Akzeptanz sexueller Vielfalt also existenziell bedroht – und wird damit zum Opfer. (Quelle)
Was hat das mit der Akzeptanz von LGBTI und den Bildungsplänen zu tun, und warum scheinen Bildungsplangegner und –Befürworter immer wieder aneinander vorbeizureden?
In Diskussionen zwischen Bildungsplanbefürwortern und Bildungsplangegnern entsteht oft der Eindruck, dass aneinander vorbeigeredet wird, weil von unterschiedlichen Dingen gesprochen zu werden scheint. Das ist auf die oben beschriebene, grundlegend unterschiedliche Ausgangslage zurückzuführen:
Gehe ich von der eigentlich außer Frage stehenden Selbstverständlichkeit aus, dass die sexuelle bzw. geschlechtliche Identität eine wesentliche, weil angeborene Facette der Persönlichkeit eines Menschen ist oder stelle ich dies auf einmal willkürlich in Frage und sehe darin nur noch ein vom Menschen losgelöstes, angeblich von der Natur bzw. von Gott gewolltes oder davon abweichendes (Fehl)Verhalten? Dinge, die sind wie sie sind, kann man schließlich nur als gegeben hinnehmen, also akzeptieren, Verhalten muss sich Kritik stellen können.
Das stellt man sich bei der sog. „Demo für Alle“ offensichtlich auch genau so vor: Dass etwa an Homosexualität „Kritik“ möglich sein müsse, war eine der Forderungen der religiösen Aktivistin Birgit Kelle an den bayerischen Kultusminister Ludwig Spaenle. (Quelle)
Verhalten müsse damit auch jeder unterschiedlich bewerten oder gar missbilligen können: Die Würde des Menschen wäre in diesem Fall also an reines Wohlwollen geknüpft. Somit, ist man sich bei der sog. „Demo für Alle“ sicher, könne der Staat Schüler*Innen auch nicht dazu „zwingen“, bestimmte „sexuelle Verhaltensweisen“ zu akzeptieren oder „gutzuheißen“. Schon gar nicht dürfe der Staat für bestimmte „sexuelle Verhaltensweisen“ Partei ergreifen oder „werben“. Dies verstoße gegen ein „Indoktrinationsverbot“ und sei damit auch mit der Verfassung nicht vereinbar. (Quelle)
Der Anspruch von LGBTI, sich mit ihrer sexuellen Identität gleichermaßen zu identifizieren und als LGBTI als gleichwertig anerkannt zu werden, wird ihnen damit einfach abgesprochen. Akzeptanz als gleichwertig kann es für Bildungsplangegner nur für den Menschen an sich geben, nicht aber für seine „sexuellen Verhaltensweisen“! Hier sei nur Toleranz drin, was die religiöse Hedwig von Beverfoerde mit der „Duldung eines Übels“ übersetzt. (Quelle)
Damit läuft das Verlangen von LGBTI, vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität geschützt zu werden, automatisch ebenfalls ins Leere: Für ein Verhalten, das niemand akzeptieren müsse, kann es schließlich keinen Schutz durch die Schule oder den Staat geben.
Über dieses perfide Konstrukt beruft man sich schließlich auch darauf, eine „Meinung“ zu „sexuellen Verhaltensweisen“ – gerne auch mal als „Weltanschauungen“ verunglimpft – und damit auch zu Homo-, Bi-, Trans- und Intersexualität haben zu können. So wird offensichtlich versucht, sich über ein vermeintliches Recht auf „Meinungsfreiheit oder „Meinungsvielfalt“, das Recht zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit einzuräumen, während der Vorwurf der Homo- und Transphobie selbstredend entschieden zurückgewiesen wird. (Quelle)
Die eigenmächtige und menschenverachtende Missachtung von sexuellen bzw. geschlechtlichen Identitäten eröffnet also einen ganzen Blumenstrauß an Möglichkeiten, sich gegen den Schutz von LGBTI vor Diskriminierung auszusprechen, ohne direkt offensichtlich als homo- und transphob dazustehen. Man wende sich ja nicht gegen den Menschen, sondern nur seine „sexuellen Verhaltensweisen“. Wer hier von dem Wunsch nach Vernichtung spricht, wird mit dieser Befürchtung wohl nicht ganz falsch liegen.
Als jemand, der von sich überzeugt ist, selbst das richtige Verhalten an den Tag zu legen, kann man Facetten der Persönlichkeit von anderen Menschen auf diese Weise ja auch leicht für nichtig und zum (Fehl)Verhalten erklären.
Dass der bayerische Kultusminister vor einer Gruppierung mit derartigen Vorstellungen eingeknickt ist, weil er diese Auffassungen offenbar teilt und damit die Akzeptanz sexueller Vielfalt wieder aus seinen Richtlinien für die Sexualerziehung gestrichen hat, ist damit umso schockierender. Das ist neu festgeschriebene Diskriminierung und ein für die Bildungspolitik festgeschriebener Rückschritt und deshalb mehr als unerträglich.
Foto: CC0 Public Domain
Demo
Was können wir tun?
Um nachhaltig etwas zu bewegen, müssen die Menschen und auch die Politik verstehen, was hier gespielt wird: Hier versuchen gut vernetzte Gruppierungen mit einem vorwiegend christlich-fundamentalistischen Hintergrund, darunter Birgit Kelle, Hedwig von Beverfoerde, Gabriele Kuby, Beatrix von Storch u.v.a. mit Hilfe von AfD und zahlreichen ihnen wohl gesonnenen Personen und Medien, darunter auch die rechte Zeitung „Junge Freiheit“, Einfluss auf die Bildungspolitik zu nehmen, um ihr streng religiöses Weltbild in den Unterricht zu bekommen. Unterstützung erfährt die sog. „Demo für Alle“ - laut eigener Aussage nicht gewollt – auch aus dem extrem rechten Spektrum, wie sich auch bei der Demo am 30. Oktober 2016 in Wiesbaden gezeigt hat. (Quelle)
Wichtig, zu verstehen, ist auch, was und wie hier argumentiert wird und warum. Im Gegensatz zur sexuellen Identität, die zweifellos ein vom Menschen untrennbarer Teil seiner der Persönlichkeit ist, ist die Religion, auf die sich hier gerne berufen wird, eine individuelle, ja, sogar veränderbare Angelegenheit. Religiöse Aktivisten müssen beim Versuch, Grundrechte anzugreifen, von der Politik und der Öffentlichkeit in ihre Schranken gewiesen werden. Auch Parteien mit einem „C“ im Namen sind den Grundrechten aller Menschen verpflichtet. Grundrechte werden tangiert, wenn es um Fragen der Gleichwertigkeit, der Gleichberechtigung, der Würde und den Schutz vor Diskriminierung geht.
Niemand hat das Recht, anderen Menschen das Menschsein abzusprechen oder andere für angeborene Merkmale zu kritisieren. Das ist menschenverachtend und hat in der Schule erst recht nichts zu suchen! Hier ist Widerspruch zwingend notwendig, von Hetero-, Homo-, Bi-, Trans-, und Inter-Menschen gemeinsam! Mit einer bloßen Duldung (als Übel!) müssen sich Menschen, egal welche sexuelle Identität sie haben, schon gar nicht abfinden.
Über den Autor
Christian Maluck ist 43 Jahre alt und verfolgt das Treiben von „besorgten Eltern“ seit etwa zwei Jahren. In dieser Zeit hat er sich intensiv mit Bildungsplänen, Bildungspolitik, Sexualpädagogik und Gender auseinandergesetzt und wirkt seitdem auch an der Facebook-Seite „Besorgte Homos“ mit (www.facebook.com/besorgte). Aufgrund eigener Diskriminierungserfahrung an der Schule liegen ihm diese Themen besonders am Herzen. Mit LGBTI-Politik beschäftigt sich Christian Maluck seit etwa 20 Jahren. Unter anderem war er 12 Jahre ehrenamtlich beim schwul-lesbischen Magazin Uferlos bei Radio LORA München 92.4 engagiert.