In den USA formiert sich eine Protestwelle für ein Ende der (Polizei-)Gewalt gegen Trans*-People of Color (PoC). Auslöser war die Ermordung von Tony McDade durch Polizisten nur zwei Tage nach dem Mord an George Ffloyd und ihre mediale Nichtbeachtung. Eine Spurensuche.
Es scheint so, als rücke die Marginalisierung von transsexuellen und transgender PoC stärker in den Fokus. Seit letzter Woche gehen immer mehr Menschen auf die Straße und fordern ein Ende der (Polizei-)Gewalt gegen Trans*-People of Color. Am Sonntag sammelten sich allein in New York Tausende von Menschen unter dem Motto „An Action for Black Trans Lives“.
#sayhername
wurden 2020 bereits ermordet. Als Menschen mit Transidentität fielen sie dem systemischen frauen- und transfeindlichen Rassismus in den USA zum Opfer.
Die beiden letzten Namen auf der Liste, Dominique Fells aus Philadelphia und Riah Milton aus Cincinnati, haben ihr Leben am 9. Juni verloren – zu einem Zeitpunkt, als in allen 50 Bundesstaaten die Menschen auf die Straßen gingen, um gegen den Mord an George Ffloyd und die Ungerechtigkeit gegen Schwarze zu protestieren.
„Wir organisieren, marschieren, veranstalten Symposien, Pressekonferenzen, Rathäuser, bieten Grundsatzreden und Schulungen an...... und unsere schwarzen Schwestern werden hier draußen immer noch buchstäblich abgeschlachtet. Ich trauere um Dominique Fells und Riah Milton und die Angst und den Schmerz, den sie erfahren haben. Was, wenn alles, was sie brauchte, ein sicherer Raum war, den sie nicht finden konnte? Was, wenn alles, was sie brauchte, ein Job war, der sie unterstützt? Was, wenn alles, was sie brauchte, ein starkes Unterstützungssystem war? Dies sind nur einige der Fragen, die mir immer wieder durch den Kopf gehen. Der Schmerz ist so stechend... so scharf... und so tief. Das sind meine Schwestern.... Schwarze transsexuelle Frauen kämpfen im wahrsten Sinne des Wortes um ihre Existenz.... schreien weltweit nach Unterstützung.... um dann trotzdem nicht gehört oder mundtot gemacht zu werden. Ich werde mich für den Rest meines Lebens und sogar nach meiner Abreise von dieser Erde weiterhin organisieren und meine Stimme erheben.“
Zwei Tage nach der Ermordung von George Ffloyd, am 27. Mai, wurde der 38-jährige Trans*-Mann Tony McDade in Florida von Beamten des Tallahassee Police Departments erschossen. Es ist die dritte Erschießung innerhalb von nur zwei Monaten, an dem dieses Polizeidepartement beteiligt war.
Trans*-People of Color werden marginalisiert
„Wir haben zwei verschiedene Welten“, erklärt die 26-jährige schwarze Trans*-Frau TS Candii, wenn sie über die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Schwarzen spricht. Die Organisatorin des Protests gegen die Ermordung von Tony McDade ist der Meinung, dass „die CIS-Leute bei all ihren Todesfällen, ihren Morden, immer auf die Straße“ gehen, für all die toten Trans*-People of Color interessiere sich hingegen niemand.
Auch wenn die Mehrheit der Morde an Trans*-Personen nicht von der Polizei begangen werden, sind transsexuelle Menschen struktureller Polizeigewalt ausgesetzt, die auf Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Transphobie beruht. Und: Die Erfassung von Gewaltverbrechen an transsexuellen Menschen ist sehr oft unvollständig und mutet seltsam unentschlossen an. Schwarze transsexuelle Frauen werden unverhältnismäßig oft gewaltsam getötet, die Verhaftungsraten für ihre Morde fallen jedoch deutlich niedriger aus als bei anderen Bevölkerungsgruppen. Das belegt die im November 2019 von Human Rights Campaign veröffentlichte Broschüre A National Epidemic: Fatal Anti-Transgender Violence in the United States in 2019.
Obwohl in den letzten Jahren vielfach versucht wurde, auf diese Epidemie der Gewalt gegen transsexuelle und nicht-binäre Menschen aufmerksam zu machen, scheint für sie in doppelter Hinsicht zu gelten, was die Bürgerrechtlerin und Gründerin der Kampagne „Say Her Name“ Kimberlé Crenshaw in Bezug auf Gewalt gegen schwarze Frauen sagte:
„Es fehlt uns nicht an Geschichten von schwarzen Frauen, die von der Polizei getötet wurden. Vielmehr scheinen wir nicht zu wissen, was wir mit ihnen anfangen sollen.“
Schauspieler Justice Smith: Coming-out aus Protest
Foto: instagram.com/standup4justice
Justice Smith
Die Debatte über Homo- und Transphobie innerhalb der Black-Lives-Matter-Bewegung ist wichtig. Der amerikanische Schauspieler Justice Smith – man kennt ihn aus Filmen wie „Detective Pikachu“ und „Jurassic World: Das gefallene Königreich“ – hat sich am 5. Juni während einer Protestaktion gegen Rassismus und Polizeigewalt in New Orleans als queer geoutet. Wie es dazu gekommen ist, erklärte er mit folgenden Worten:
„Wir haben ‚Black Lives Matter‘, ‚Black Queer Lives Matter‘ und ‚All Black Lives Matter‘ gerufen. Als queerer schwarzer Mann war ich enttäuscht, dass bestimmte Leute zwar eifrig ‚Black Lives Matter‘ riefen, aber den Mund nicht aufgekriegt haben, als ‚trans‘ oder ‚queer‘ hinzugefügt wurde.“
Mit dem Coming-out will der 24-Jährige dazu beitragen, „schwarzes trans* und queeres Leben“ sichtbarer zu machen, denn
„wenn Transmenschen wie Tony McDade durch das Raster fallen und nur schwarze cis- und heterosexuelle Männer befreit werden sollen, ist das antischwarz“.
„... Ihr versucht, die Tür eines gegen euch konzipierten Systems zu durchdringen, um anschließend die Tür hinter euch zu schließen. Wir wurden so konditioniert, dass wir glauben, so nah wie möglich an Weißsein, Heterosexualität und Männlichkeit herankommen zu müssen, denn dort liegt die Macht. Und wir denken, wenn wir an die Weißen appellieren, geben sie uns vielleicht ein Stückchen davon ab.
Aber bei der Revolution geht es nicht um einen Appell. Es geht darum, das zu fordern, was man uns von Anfang an hätte geben sollen. Was schwarzen, schwulen und transsexuellen Individuen von Anfang an hätte gegeben werden sollen. Das Recht zu existieren. Angemessen zu leben und im Leben voranzukommen. Ohne Angst vor Verfolgung oder der Androhung von Gewalt.“
Ausgrenzung und Diskriminierung innerhalb der Community
Dass Minoritätenstress und erlebte Diskriminierung innerhalb einer Minderheit zu weiterer Marginalisierung und Ausgrenzung führen kann, ist den geneigten Leser*innen eventuell aus eigenen Erfahrungen bekannt – auch in Deutschland gibt es frauenfeindliche, sexistische schwule Männer und transphobe Lesben. Ein Vorfall, der sich am 1. Juni in Minneapolis zugetragen hat, wirft exemplarisch ein Licht auf genau diese Mechanismen innerhalb der PoC-Communitys.
Auf einem Video, das wir bewusst nicht zeigen, ist zu sehen, wie Iyanna Dior, eine 21-jährige Trans*-Frau von einer Gruppe aus 20 bis 30 Personen angegriffen, geschlagen und transphob beleidigt wird. Dior ist schwarz, so auch ihre Angreifer.
Die Organisation Abounding Prosperity Inc. merkte in diesem Zusammenhang kritisch an, die schwarze Trans*-Community in den USA würde von der eigenen schwarzen Community so behandelt werden, wie schwarze Männer von den Strafverfolgungsbehörden.
Mehr Solidarität und Unterstützung!
Es ist absurd. Schwarze Männer, die für die Black-Lives-Matter-Bewegung auf die Straße gehen, dann aber schwarze Trans*-Frauen attackieren, untergraben genau jene Ideale, für die sie kämpfen. Oder wie Imara Jones in The Grio schreibt:
„Solange wir nicht aufhören, den Schmerz der schwarzen Männer über den aller anderen zu stellen, und den Schmerz der schwarzen Transfrauen – oft verursacht durch schwarze Männer – zu sublimieren, gibt es für uns keine Möglichkeit, alle frei zu sein.“
„Riah Milton & Dominique Fells waren schwarz. Baut endlich die Scheiße in eurem Kopf ab, die die dazu führt, dass ihr schwarze Trans*-Frauen überseht. Wir sind auch eure Schwestern. Nennt ihre Namen. Beschützt und unterstützt uns. Wir sind auch hier.“
Also alles nur ein Probleme unter PoC?
Das hätten Donald Trump und die weiße Gesellschaft vielleicht gerne so. Wie oben beschrieben führt unter anderem aber der durch die weiße Überlegenheit auf alle PoC ausgeübte Minderheitenstress zu den benannten Reaktionen innerhalb der PoC-Communitys. Zudem machen weiße Rassisten keinen Unterschied beim Geschlecht, dem Alter, oder der sexuellen Orientierung ihrer Opfer. Sie selektieren streng nach Hautfarbe. Sind sie zudem antifeministisch und homophob, sind diese Merkmale „nur“ ein weiteres Kriterium, bestimmte Menschen zu entmenschlichen und damit dem Hass preiszugeben.
Und so stimmen die Bilder aus New York und anderen Städten in den USA hoffnungsvoll, denn insgesamt scheint hier eine Bewegung zu wachsen, die – den eigenen Problemen gewahr – mit zahlreichen weißen Unterstützern zusammensteht gegen das eigentliche Übel: strukturellen Rassismus.