Die britische Regierung ist im Ringen um das Verbot von menschenunwürdigen ‚Konversionsverfahren‘ offenbar ein Stück weit eingeknickt. Premierminister Boris Johnson kündigte an, das Gebet und die pastorale Unterstützung nicht verbieten zu wollen. Erwachsenen sollte es möglich sein, bei der „Erkundung ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität“ eine „angemessene pastorale Unterstützung einschließlich Gebet“ zu erhalten, so Johnson.
In einem Brief vom 27. März, der aber erst in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, schrieb Johnson, er nehme „die Meinungs- und Religionsfreiheit sehr ernst“ und möchte nicht, „dass Geistliche und Mitglieder der Kirche wegen normaler zwangloser Aktivitäten kriminalisiert werden“. Die britische Regierung werde deshalb
„Erwachsenen weiterhin erlauben, in Kirchen und anderen religiösen Einrichtungen eine angemessene seelsorgerische Unterstützung (einschließlich Gebet) bei der Erkundung ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität zu erhalten.“
Der Brief war als Antwort an die Evangelical Alliance UK, der britischen Vertretung der Dachorganisation eines weltweiten Netzwerks konservativer evangelikaler Christen, gerichtet. Deren Vorsitzende Peter Lynas hatte sich zuvor besorgt um die Religions- und Meinungsfreiheit geäußert, wie sie es in der unheiligen Allianz aus rechtspopulistischen Protofaschisten und fundamentalistischen Religionsströmungen üblich ist.
LGBTIQ-Aktivist*innen hatten ein komplettes Verbot all jener Praktiken gefordert, die darauf abzielen, die sexuelle oder geschlechtsspezifische Identität einer Person zu ändern oder zu unterdrücken, darunter auch Gebet und pastorale Unterstützung. Eine für Gläubige durchaus unvorstellbarer Eingriff in die Religionsfreiheit. Allerdings ein auf Tatsachenwahrheiten der Wissenschaft und der Forschung basierender: Die sexuelle Orientierung eines Menschen ist grundsätzlich ebenso wenig veränderbar, wie die Sonne um die Erde kreist. Wer es durch psychologische Einflussnahme – und eine solche sind seelsorgerische religiöse Techniken – versucht, kann damit für das Individuum lebensgefährliche und den gesellschaftlichen Frieden zersetzende Folgen hervorrufen.
Die Evangelische Allianz hatte dieses wissend denn auch Nebelkerzen werfend bekundet, das geplante Verbot von sogenannten Konversionsverfahren grundsätzlich unterstützen zu wollen, bestand jedoch darauf, dass einige Freiheiten bestehen bleiben, die der traditionellen biblischen Lehre zum Thema Sexualität folgen – etwa das Predigen von der Tugend der Keuschheit.
Vergifteter Apfel der Erkenntnis
Ein Verbot des Gebets aber würde „die alltägliche Praxis von Kirchen, Kirchenleitern und Christen in ganz Großbritannien bedrohen“, sagte Lynas, außerdem gefährde es die Seelsorge, also das Gespräch mit jemandem, dessen Wille es sei, „seine sexuelle Orientierung oder sein Verhalten zu ändern, um einem heteronormativen Lebensstil oder seiner Geschlechtsidentität zu entsprechen“. Er sagte:
„Vorschläge, wie sie derzeit diskutiert werden, könnten die Folge haben, dass die individuelle Freiheit eingeschränkt und die wesentliche Religionsfreiheit beeinträchtigt wird – was möglicherweise Christen und gemeinsame kirchliche Aktivitäten kriminalisiert.
Wir erinnern uns: Die Evangelische Allianz hatte in der Vergangenheit auch schon einmal versucht, die Aufnahme kreationistischer Inhalte in den Lehrplan von Schulen mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit durchzusetzen. In den USA, auf dem afrikanischen Kontinent sowie unter anderem in Russland vielfach erfolgreich und mit katastrophalen Auswirkungen auf den Bildungsgrad ganzer Bevölkerungsschichten.
Wie die Evangelische Allianz zum Thema Homosexualität eingestellt ist, lässt sich aus einer Stellungnahme der Deutschen Evangelischen Allianz zu Ehe und Homosexualität aus dem Jahr 2017 herauslesen. In „Ehe als gute Stiftung Gottes“ betonen die Verfasser, dass die in der Bibel beschriebene homosexuelle Praxis „mit dem Willen Gottes und damit dem biblischen Ethos unvereinbar“ sei. Dennoch gelte, „bei allem Dissens in Einzelfragen“, nach dem Evangelium von Jesus Christus für den Umgang miteinander „die vorbehaltlose Annahme aller Menschen“. Demnach soll der Dialog „mit denjenigen, die in Bezug auf Homosexualität anders denken“, weitergeführt werden.
„Grundsätzlich soll die Gemeinde alle Menschen auf ihrem Weg, Christus ähnlicher zu werden und ihre Berufung für das Reich Gottes zu leben, begleiten.“
(Evangelische Allianz Deutschland)
Großbritannien zögert das Verbot von Menschenrechtsverletzungen hinaus
Als die Vereinten Nationen ein globales Verbot der Konversionstherapie gefordert haben, kündigte die britische Regierung 2018 erstmals an, sogenannte Konversionsverfahren verbieten zu wollen. Im Juli letzten Jahres bestätigte Boris Johnson dieses Vorhaben und bezeichnete die Praxis als „absolut abscheulich“. Unternommen wurde nichts. Im Dezember 2020 unterzeichneten Hunderte religiöse Führer aus der ganzen Welt eine gemeinsame Proklamation zum weltweiten Verbot sogenannter Konversionsverfahren (männer* berichtete). Unternommen wurde wieder nichts.
Auch die Parlamentsdebatte am 8. März enthielt keine festen Zusagen, wann die Gesetzgebung auf den Weg gebracht werden würde. Im Gegenteil: Während sich die Staatssekretärin für Gleichstellungsfragen Kemi Badenoch wiederholt weigerte, das Wort „Verbot“ auch nur in den Mund zu nehmen, waren Ausnahmeregelungen für religiöse Gruppen bereits in aller Munde (männer* berichtete).
Foto: DaniKauf / CC BY-SA 3.0 / wikimedia.org
Westminster Palace
Der eindrucksvolle Palace of Westminster ist der Sitz des britischen Parlaments in London - Foto: CC BY-SA 3.0, Link
Aufgrund der für sie nicht zu ertragenden Verzögerungstaktik bei der Einführung des geplanten Verbots trat Jayne Ozanne, lesbische Aktivist*in und überzeugte evangelische Christin, vor wenigen Wochen aus dem inzwischen aufgelösten LGBTIQ*-Beratungsgremium der Regierung aus (männer* berichtete).
Johnsons aktuelles Vorgehen bezeichnete Ozanne als Beschwichtigungspolitik gegenüber der mächtigen evangelikalen Elite. Die Regierung besänftige die Evangelikalen „ohne den Schaden zu verstehen, den sie anrichten“. Sie, die Regierung, habe sich von Lobbyarbeit beeinflussen lassen, „aber was sie nicht getan haben, ist sich eingehend mit den Überlebenden und Opfern dieser abscheulichen Praxis zu befassen“, sagte sie in einem Interview mit Reuters.
Als Christin nehme sie die Religionsfreiheit sehr ernst, aber nur „bis zu dem Punkt, an dem sie Schaden verursacht“.
„Ein Gebet, das darauf abzielt, dass jemand einer ‚Norm‘ entspricht, richtet unermesslichen Schaden an, ist entwürdigend und bringt viele dazu, darüber nachzudenken, sich das Leben zu nehmen. Es muss verboten werden, und die Täter müssen mit der vollen Härte des Gesetzes rechnen.“