Die kleine Stadt Bangor im Verwaltungsbezirk Gwynedd im Nordwesten von Wales (Großbritannien) ist ganz stolz wegen der neuen Person im Bürgermeisteramt. Die ist nämlich erst 23 Jahre alt, heißt Owen J. Hurcum und benutzt die Pronomen „they/them“.
Hurcum stammt ursprünglich aus dem Londoner Vorort Harrow und kam vor fünf Jahren nach Bangor, um an der Bangor University zu studieren. Dey ist genderqueer und agender und verwendet seit zwei Jahren geschlechtsneutrale Pronomen. Nachdem Hurcum ein Jahr lang stellvertretende*r Bürgermeister*in war, folgte im vergangenen Oktober die Bürgermeisterwahl durch den Stadtrat, der Owen Hurcum einstimmig ins Amt wählte. Wie North Wales Live berichtete, konnte dey den Job wegen der Covid-19-Pandemie dann aber erst vergangene Woche, am 10. Mai, antreten.
Bei der Amtseinführung teilte dey ein Foto mit einer traditionellen Bürgermeisterkette und bedankte sich bei der Stadt:
„Es ist ein enormes Privileg, von meinen Stadtratskollegen in das Amt des Bürgermeisters von Bangor gewählt worden zu sein. Ich nehme das nicht leicht und werde so hart wie möglich daran arbeiten, der Stadt, die mir so viel gegeben hat, alles zurückzugeben.“
Owen Hurcum gegenüber NBC News
„Als ich vor zwei Jahren mein Coming-out hatte, war ich so besorgt, von meiner Gemeinde geächtet zu werden oder schlimmer. Heute hat mich meine Gemeinde zum Bürgermeister unserer großen Stadt gewählt. Dey jüngste Bürgermeister*in in Wales. Dey erste offen nicht-binäre Bürgermeister*in einer Stadt. Mehr als demütig, Danke Bangor 🏳️🌈“
Parteiaustritt wegen transphober TERFs
Foto: Owen J. Hurcum / Instagram
Neben Twitter auch auf Insta aktiv: Owen J. Hurcum
Von den rund 18.000 Einwohner*innen Bangors sei immer eine starke „Kultur der Unterstützung“ spürbar gewesen, meint Hurcum. Bis auf einen Vorfall, der im März dieses Jahres dazu führte, das dey die Partei Plaid Cymru – eine walisische sozialdemokratische Partei, die sich für die Unabhängigkeit Wales vom Vereinigten Königreich einsetzt – verließ und die Kandidatur für den Senedd, das walisische Parlament, zurückzog.
Parteikollegin und Senedd-Mitglied Helen Mary Jones, eine „genderkritische Feministin“, hatte wiederholt transphobe Aussagen, auch in Hurcums Richtung getätigt. Wie viele Menschen, sei sie
„besorgt über die möglichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Änderungen des Gesetzes zur Anerkennung des Geschlechts auf die Rechte von Frauen und Mädchen.“
Helen Mary Jones auf Twitter
Als Jones zusammen mit Anti-Trans*-Aktivist*innen bei Veranstaltungen von Woman's Place UK auftrat, einer Organisation, die sich laut Selbstbeschreibung für die Wahrung der im Gleichstellungsgesetz verankerten Frauenrechte einsetzt und sicherstellen möchte, dass Frauenstimmen in der öffentlichen Ordnung und Gesetzgebung gehört werden, zog Hurcum die Kandidatur zurück und twitterte eine offizielle Erklärung:
„Ich kann nicht bei gutem Gewissen für eine Partei eintreten, die weiterhin denjenigen eine Plattform bietet, die Transphobie fördern.“
Frische Ideen für die Politik
Während Jones nicht mehr in den Senedd gewählt wurde, ist Hurcum heute stolze/r Bürgermeister*in. Nach der einstimmigen Wahl erklärte Hurcum im Interview mit NorthWales Live: „Man kann Erfahrung in der Politik haben und muss trotzdem nicht alt sein. Ich bin 22, und doch bin ich seit vier Jahren Ratsmitglied, seit einem Jahr stellvertretende*r Bürgermeister*in und Vorsitzende*r des Ausschusses für den Rat und anderer Untergruppierungen. Ich habe genug Erfahrung und genug erfahrene Leute um mich herum, dass ich Entscheidungen treffen kann.“ Im Gegenteil sieht Owen Hurcum eine lange Politikkarriere sogar als theoretisches Hindernis:
„Ich denke, mit der Erfahrung geht manchmal auch das Unvermögen einher, Dinge ändern zu wollen, weil es ja seit Jahren so gemacht wurde. Ich hoffe, dass ich frische Ideen einbringen und sie auf eine neue Art und Weise umsetzen kann, was in erster Linie gut für Bangor sein wird.“