Die 77. Filmfestspiele von Cannes sind zu Ende und der US-amerikanische Film „Anora“ hat die Goldene Palme 2024 gewonnen. Regisseur Sean Baker widmet seinen Preis „allen Sexarbeiterinnen – der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft“.
Transidentitäten waren ein wiederkehrendes Thema bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes, so auch im Film „Emilia Pérez“, der gleich zwei Preise erhielt – eine Rarität in Cannes, da Filme normalerweise nur einen Preis gewinnen. In dem Musical von Cannes-Veteran Jacques Audiard geht es um einen Drogenbaron mit Familie, der schon immer eine Frau sein wollte, mit Karla Sofía Gascón in der Hauptrolle. Die 52-Jährige hat ein Buch darüber geschrieben, wie sie sich im Alter von 46 Jahren einer Transition unterzog, als sie bereits eine Schauspielkarriere, eine Frau und eine Tochter hatte. „Es war eine sehr harte Reise“, sagte Gascón gegenüber AFP und lobte den Mut ihrer Familie.
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Sichtlich emotional gerührt nimmt Karla Sofía Gascón den Preis für die beste Darstellerin entgegen, den sie gemeinsam mit Zoé Saldaña, Selena Gomez und anderen Darstellerinnen erhielt.
„Emilia Pérez“ wurde mit dem Preis der Jury als auch mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet. Als erste Transgender-Schauspielerin, die in Cannes einen Schauspielpreis erhält, widmete Karla Sofía Gascón den Preis der Trans-Community.
Der Film wurde besonders dafür gelobt, dass er sich nicht auf die geschlechtsangleichende Operation fixiert, sondern weit darüber hinausgeht und Themen wie Elternschaft, Liebe und die Opfer der mexikanischen Bandengewalt behandelt. Einfühlsam und intim schildert Regisseur Audiard (72) den Kampf der Hauptfigur, sie selbst zu sein.
„Es ist überraschend zu sehen, dass dieses Thema von erfahrenen Filmemachern aufgegriffen wird, die oft außerhalb der LGBT-Sphäre cisgender sind“, sagte Franck Finance-Madureira, Experte für queeres Kino und Gründer der Cannes Queer Palm. „Es ist seit einem Jahrzehnt DAS neue Thema im LGBT-Kampf, und es war an der Zeit, dass wir transsexuelle Hauptdarsteller in Filmen haben“, erklärt Finance-Madureira weiter.
„Es hat 30 Jahre gedauert, um schwule oder lesbische Figuren zu normalisieren, aber mit Trans-Figuren geht es viel schneller.“
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Schauspielerin Karla Sofia Gascon und Regisseur Jacques Audiard posieren in Cannes.
Die Menschheit ist im Wandel
In der Mainstream-Kinoindustrie gebe es drei oder vier transsexuelle Regisseure, so Franck Finance-Madureira. Darunter die Wachowski-Geschwister, die hinter der Matrix-Franchise stehen. Aber immer mehr Filme thematisieren die Geschlechtsidentität, ein Thema, das erstmals in Filmen wie „Laurence Anyways“ von Xavier Dolan (2012) und „Girl“ von Lukas Dhont (2018) behandelt wurde.
Auch „Transmitzvah“ des argentinischen Regisseurs Daniel Burman stellt die Geschlechtsidentität in den Mittelpunkt. Der Spielfilm, der bei einer öffentlichen Vorführung außerhalb des Wettbewerbs Premiere feierte, handelt von einem jüdischen Jungen, der ein Mädchen sein möchte und die religiöse Initiationszeremonie für Jungen, die Barmitzvah, nicht will – laut Variety eine „extravagante Musikkomödie, die in ihrer Inhaltsangabe als ‚Liebesgeschichte zwischen Geschwistern‘ beschrieben wird“.
Burman sagte, Transidentität müsse im Kino berücksichtigt werden, aber nicht als das A und O. „Wir sollten diese Situationen sichtbar machen, uns aber nicht darin einschließen“, so Burman. „Es gibt eine übermäßige Konzentration auf die Geschlechtsidentität als einzige Säule der Identität.“
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Model und Schauspielerin Hunter Schafer
Nach wie vor spielen trans* Schauspieler*innen heute meist Trans-Rollen. Hunter Schafer, die nach ihrer Rolle in dem für die Goldene Palme nominierten Film „Kinds of Kindness“ von Yorgos Lanthimos auf dem roten Teppich von Cannes zu sehen war, sagte im April, sie wolle keine queeren Rollen mehr spielen. „Ich habe so hart gearbeitet, um dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin, habe diese wirklich harten Punkte in meiner Transition hinter mir gelassen, und jetzt möchte ich einfach ein Mädchen sein und endlich weitermachen“, sagte die 25-Jährige, die in der HBO-Jugendserie „Euphoria“ den Durchbruch schaffte, gegenüber dem Magazin GQ.
Transfrauen spielten auch die Hauptrolle in „The Belle of Gaza“, einem Dokumentarfilm der französischen Filmemacherin Yolande Zauberman, der außerhalb des Wettbewerbs gezeigt wurde und nichts mit dem Krieg im Nahen Osten zu tun hat. Der Film ist ein intimes Porträt palästinensischer Transfrauen, die am Rande der israelischen Gesellschaft in Tel Aviv leben und von Yolande Zauberman als „Kämpferinnen ihres eigenen Schicksals“ bezeichnet werden. Im Film kommen auch Talleen Abu Hanna, eine palästinensische Christin mit israelischer Staatsbürgerschaft, die Miss Trans Israel 2016 wurde, und Israela Lev, Kämpferin für LGBTIQ*-Rechte und Gründerin des Wettbewerbs Israela, zu Wort.
„Die Menschheit ist auf dem Weg zu einer glücklicheren, liebevolleren Version ihrer selbst“,
sagte Israela gegenüber AFP, kurz bevor sie über den roten Teppich schritt. *AFP/sah