Seit sich Katar die Austragung der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022™ gesichert hat, gibt es Bedenken wegen der möglichen Gefahr für queere Fußballfans. Auch die FIFA steht deshalb immer noch für die Auswahl des Gastlandes in der Kritik: Katars homo- und frauenfeindlichen Gesetze stehen im Widerspruch zur Haltung der FIFA, die sich nach diversen Skandalen Nachhaltigkeit im wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Handeln auf die Fahnen schreibt. Mit Erfolg?
Noch 2010 nahm der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter die Nichteinhaltung der Menschenrechte im Golfstaat Katar im wahrsten Sinne sportlich. Auf die Frage was Schwule denn beim WM-Besuch tun sollen, sagte er 2010 auf einer Pressekonferenz in Südafrika, dass dann wohl jegliche sexuelle Aktivität unterlassen werden sollte. Er relativierte:
„Wir leben in einer freien Welt und ich bin mir sicher, dass es 2022 in Katar keine Probleme geben wird. Sicherlich werden Homosexuelle, die 2022 dort ein Spiel anschauen wollen, reingelassen.“
Blatters Sturz wendet Blatt
Die FIFA hatte zwar schon vor dem Weggang Blatters an ihrem Image in Sachen Inklusion und Akzeptanz geschraubt, dennoch erscheint der Skandal um Vetternwirtschaft und Untreue des Patriarchen Blatters und seine unehrenhafte Entlassung als verurteilter Straftäter noch einmal Schwung in die Bestrebungen gebracht zu haben. Im Oktober 2020 stellte die FIFA so auch den ersten Fortschrittsbericht zur Nachhaltigkeitsstrategie der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022™ vor, der Informationen zu Fortschritten bei der Erfüllung der fünf FIFA-Nachhaltigkeitsverpflichtungen, einschließlich Menschenrechte, Vielfalt und Umweltschutz auflistet.
Machthaber fressen Regenbogenkreide
Katar überraschte in der ersten Dezemberwoche und erklärte, die FIFA-Regeln zur Förderung von Toleranz und Inklusion bei Spielen einzuhalten. Trotz eigener strenger Anti-LGBTIQ*-Gesetze will das Land nicht gegen queere Symbole wie das Hissen der Regenbogenflagge einschreiten.
Nasser Al-Khater, Chef der WM 2022, machte 2019 schon deutlich, worum es geht: No display of affection.
„Wenn es um die Regenbogenflaggen in den Stadien geht, hat die FIFA ihre eigenen Richtlinien, sie haben ihre Regeln und Vorschriften. Welche das auch immer sein mögen, wir werden sie respektieren.“
Nasser Al-Khater, Chef der WM 2022
In Katar könnten also 2022 Pride-Flaggen im Wüstenwind wehen. Anders, als noch bei der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2022 Russland™, wo es nur über Umwege möglich war, Regenbogenflagge zu zeigen und Putins Garden gegen offensichtliche „Homopropaganda“ einschritten.
Bunter Protest gegen Putins Homophobie bei der WM 2018 in Russland
Fortschritt auch dank lesbischer FIFA-Funktionärin
Eine der treibenden Kräfte hinter dem positiven Wandel in Sachen Menschenrechte in der FIFA und bei deren Umgang mit den Gastländern ist Joyce Cook, Generalsekretärin der FIFA-Stiftung und FIFA-Beauftragte für soziale Verantwortung und Bildung. Sie sagte zu der Frage, ob und wie Homosexuelle in Katar sicher sein könnten und was die FIFA dazu beitrage:
„Ich bin eine offen lesbische Frau im Fußball, also ist das für mich persönlich auch etwas, das mir nahe geht. ... Wir werden in all diesen Aspekten eine progressive Veränderung sehen und Regenbogenflaggen, T-Shirts werden im Stadion willkommen sein – das ist eine Selbstverständlichkeit. Sie verstehen sehr gut, dass das unsere Haltung ist.“
„Don't ask, don't tell“ auf arabisch: Geduldet wird, was man nicht sieht
2019 ging die WM-Generalprobe, die FIFA-Klub-Weltmeisterschaft, über die Bühne. Um zu versichern, dass auch schwule Fans willkommen sind, lud Katar medienwirksam den Gründer des queeren Liverpooler Fanclubs „Kop Outs“, Paul Amann, gemeinsam mit seinem Ehemann nach Doha ein. Der zeigte sich nach dem Besuch besänftigt und sagte:
„Ich bin sehr zufrieden, dass ihr Ansatz einem ‚Jeder ist willkommen‘-Ethos folgt, der Respekt beinhaltet, wenn auch [nur] in der Privatsphäre.“
Er wies darauf hin dass es in Katar generell, also sowohl für Heterosexuelle, als auch für Homosexuelle, No-PDA-Regeln gibt. Würden sich Gäste des Landes an diese halten, so Amann, dann sehe er nicht, „dass sie [Homosexulle] unbedingt identifizierbar sind“.
Das Coming-out eines ostdeutschen Prinzen als Kusshasser in den 1990ern ist für Prinzen des Herrscherhauses von Katar in Sachen anderem Geschlecht sehr gut nachvollziehbar. Es gelten die sogenannten No-PDA-Regeln.
Public displays of affection (P.D.A.) Öffentliche Liebesbekundungen
Küssen, Umarmen und mancherorts sogar Händchenhalten sind verpönt. Maximal dürfen Mann und Frau die Arme verschränken, aber das war‘s dann auch schon. Die Ausnahme ist interessanterweise die Begrüßung: In Katar grüßen Männer, Freunde und Frauen Freundinnen des gleichen Geschlechts mit drei Küssen auf die Wange. Küssen ist also nur zur Begrüßung und nur homosexuell nicht verboten.
Der aktuelle Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums über Katar hob so auch hervor, dass queere Katarer*innen „ihre sexuelle Orientierung, ihre Geschlechtsidentität oder ihren Geschlechtsausdruck aufgrund eines zugrundeliegenden Musters von Diskriminierung weitgehend verbergen.“
Allerdings ist Katar im Vergleich zu seinen Nachbarn Iran und Saudi-Arabien zumindest für schwule Araber fast ein Sehnsuchtsort, berichtet France24 im Zuge des FIFA-Medienrummels um die Reise des schwulen Fußballfanklub-Gründers: Obwohl es in Doha keine offen schwulen Veranstaltungsorte gäbe, seien einige Bars als schwulenfreundlich bekannt und zögen eine treue Kundschaft aus Mitarbeitern von Fluggesellschaften, des Gastgewerbes und anderen Expats an. Im Gegensatz zu anderen Golfstaaten, gibt es außerdem in Katar keine Einschränkungen beim Zugriff auf schwule Dating-Apps wie ROMEO usw., identifizierbare Bilder der Nutzer finden sich auf den Cruising-Apps dennoch selten.
Im Spartacus Gay Travel Index 2020 belegt Katar einen traurigen 190. von 202 Plätzen
Wohlhabende Familien versorgen ihren queeren Nachwuchs gerne mit gut dotierten Auslandsposten, um die Schande ihrer Familienehre nicht öffentlich werden zu lassen. Und natürlich auch, um ihre Kinder vor bis zu fünf Jahren Gefängnis, Auspeitschen oder theoretisch sogar der Todesstrafe zu bewahren.
„Wir leben in einer Gesellschaft, in der schwule Menschen noch nicht anerkannt sind. Schwulsein ist Haram für ihre Religion“,
sagte ein schwuler Barmann aus den Philippinen, der in dem konservativen muslimischen Land lebt und nur anonym mit France24 gesprochen hat.
Kritik an „Gayted“ Community
Bei aller Lobhudelei zu den offensichtlich sehr ernsten Bemühungen von Katars Führung, sich nach Außen liberal zu geben, bleibt laut Aktivist*innen eine Tatsache unberührt:
„Was es [die WM] nicht tut, ist, der LGBTQ+-Gemeinschaft in Katar zu helfen!“
Chris Paouros, Mitglied des Inklusionsbeirats des englischen Fußballverbands
Weiter führt sie in einem Bericht von SkySports aus, dass „es toll für uns [ist], dass wir hingehen und unsere Fahnen im Stadion aufhängen können. ... Aber wenn man ein Katarer ist und das nicht kann, dann fühlt es sich nur an, wie Augenwischerei.“ Sie hoffe aber, dass es unter zunehmendem öffentlichem Druck vor der WM zu einem tatsächlichen Dialog mit der katarischen Community kommen wird und dieser langfristig zu einem sozialen Wandel führe.
Im direkten Vergleich mit der WM 2018 in Putins Russland, stehen die Regenbogenzeichen dafür zumindest nicht schlechter.