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Frankreich ringt mit seiner Vergangenheit: Jahrzehntelang wurden homosexuelle Menschen strafrechtlich verfolgt – nun soll eine neue Gesetzesinitiative Abhilfe schaffen. Ein Vorschlag, der derzeit im Parlament debattiert wird, sieht symbolische Anerkennung und finanzielle Entschädigung für Betroffene vor. Doch während viele die historische Geste begrüßen, entzündet sich der politische Streit an der Frage: Was ist eine faire Wiedergutmachung – und wer hat Anspruch darauf?
Diskriminierende Gesetzgebung von 1942 bis 1982
Der Gesetzentwurf erkennt die systematische Diskriminierung homosexueller Menschen durch den französischen Staat an. Zwei zentrale Paragrafen des damaligen Strafgesetzbuchs stehen dabei im Fokus: Zum einen ein Artikel, der ein höheres Mindestalter für einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern festlegte als für heterosexuelle Paare – ein sogenanntes „Sonder-Schutzalter“. Zum anderen ein Paragraf, der sogenannte „öffentliche Unzucht“ besonders streng ahndete, wenn sie zwischen zwei Personen gleichen Geschlechts stattfand.
Zwischen 1942 und 1982 wurden rund 10.000 Menschen aufgrund dieser Schutzaltersregelung verurteilt, etwa 40.000 wegen angeblicher „homosexueller Unzucht“, wie der Soziologe Régis Schlagdenhauffen vom École des hautes études en sciences sociales (EHESS) erklärt. Viele Betroffene litten ein Leben lang unter den Folgen – sozialer Ausschluss, berufliche Nachteile, psychische Belastungen.
Symbolische Geste oder konkrete Wiedergutmachung?
Herzstück des Gesetzesentwurfs ist die Einrichtung einer unabhängigen Kommission. Diese soll Betroffenen pauschal 10.000 Euro zusprechen, ergänzt um 150 Euro für jeden Tag der Freiheitsentziehung. Während die Nationalversammlung diese finanzielle Komponente wieder eingeführt hatte, lehnten sie die Senator*innen in erster Lesung unter Verweis auf juristische Hürden ab.
Der sozialistische Senator Hussein Bourgi, Initiator des Vorhabens, kritisiert diese Haltung als „symbolische Gewalt“. Er verweist auf andere Opfergruppen, wie die Harkis – ehemalige muslimische Hilfssoldaten aus Algerien –, denen Frankreich ebenfalls finanzielle Entschädigungen gewährt habe.
Laut Bourgi haben sich bislang nur wenige direkt Betroffene bei ihm gemeldet – viele seien sehr alt, andere wollten das schmerzhafte Kapitel nicht mehr aufrollen. Die meisten Opfer sind bereits verstorben.
Blick über die Grenzen
Frankreich kommt mit diesem Vorstoß spät, wie Historiker Antoine Idier betont. Länder wie Deutschland oder Kanada haben längst gesetzliche Rehabilitierungen verabschiedet, begleitet von Entschädigungen und gezielter Förderung von Forschung und Gedenkkultur im LGBTIQ*-Bereich.
Die Zahl potenziell Anspruchsberechtigter in Frankreich dürfte zwischen 200 und 400 liegen – so die Schätzungen aus der Parlamentsdebatte im März 2024, orientiert an Erfahrungswerten aus Spanien und Deutschland.
Gemischte Reaktionen aus der Community
Queere Verbände begrüßen die Gesetzesinitiative grundsätzlich. Stéphane Corbin vom LGBTIQ*-Zentrum in Angers betont die Wichtigkeit des Erinnerns und der Prävention. Auch Terrence Khatchadourian von Stop Homophobie spricht von einem „Akt historischer Verantwortung“ – kritisiert dennoch die Begrenzung des Gesetzes auf bestimmte Zeiträume und Formen der Repression. Viele Opfer, etwa vor 1942 oder solche, die von Polizei oder Psychiatrie verfolgt wurden, blieben ausgeschlossen.
Francis Carrier von Grey Pride begrüßt zwar den Entwurf, fordert aber zusätzlich konkrete Maßnahmen gegen gegenwärtige Diskriminierung älterer LGBTIQ*-Personen: „Wir müssen uns um das kümmern, was heute passiert“, sagt er. *Quelle: AFP