In einem Gespräch mit einem unbekannten Geschäftsmann, das vor einigen Monaten stattfand, aber erst jetzt öffentlich wurde, machte der Vorsitzende der rechtsextrem-religiösen Partei HaTzionut HaDatit („Religiöser Zionismus“) und seit Dezember 2022 nicht nur Finanzminister, sondern auch stellvertretender Sprecher der Knesset klar, dass es ihm politisch nicht schaden oder Wählerstimmen kosten würde, wenn er aktiv gegen die LGBTIQ*-Community vorgehen würde. Man hört Smotrich sagen: „Sephardische, traditionelle Leute, denkst du, sie kümmern sich um Schwule? Es könnte sie nicht weniger interessieren.“ Anschließend bezeichnete sich Smotrich selbst als faschistischen Homophoben.
„Ich bin ein faschistischer Schwulenhasser“,
sagte Smotrich, „aber ich stehe zu meinem Wort“. „Ich werde keine Schwulen steinigen, und sie werden mich nicht mit Garnelen füttern“.
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Itamar Ben Gvir
Smotrichs offene ‚Ablehnung‘ gegen Schwule ist nicht neu. Schon 2006 protestierte der ultraorthodoxe Politiker gegen den „Marsch der Abscheulichkeit“, wie er den Jerusalem Pride nennt, indem er gemeinsam mit Itamar Ben-Gvir (Parteivorsitzender von Otzma Yehudit und seit Dezember 2022 Minister für Nationale Sicherheit) zeitgleich einen „Marsch der Tiere“ organisierte, bei dem Gegner*innen der Pride-Parade in Jerusalem neben Eseln spazieren gingen.
Der Pakt mit den ‚Teufeln‘
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Yair Lapid
Für den ehemaligen Ministerpräsidenten und Oppositionsführer Yair Lapid sind solche Leaks Ausdruck dessen,
„wie schwach Ministerpräsident Netanjahu ist und wie gefährlich es ist, dass er von Extremisten gefangen gehalten wird.“
Benjamin Netanjahu hatte Ende Dezember nach anderthalb Jahren in der Opposition wieder die Regierungsgeschäfte in Israel übernommen. Dafür ging er eine Koalition mit zwei ultraorthodoxen Parteien, dem rechtsextremen Bündnis „Religiöser Zionismus“ von Bezalel Smotrich und der kleineren Fraktion „Noam“ von Avi Maoz ein. Das aktuelle Regierungsbündnis ist damit das mit Abstand am weitesten rechts stehende in der Geschichte des Landes.
Vor allem die Ernennung von Avi Maoz zum stellvertretenden Minister im Büro des Premierministers sorgte für Diskussionen und Besorgnis im Land. Yair Lapid bezeichnete diese Ernennung als „nichts weniger als verrückt“.
„Es ist ein schwarzer Tag für Israel“,
sagte auch die Leiterin der führenden LGBTIQ*-Menschenrechtsorganisation Agudah, Hila Peer, im November 2022, nachdem feststand, dass der rechtsextreme Abgeordnete diese Posten erhalten soll.
Auch Maoz ein homophober Wolf im Schafspelz
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Avi Maoz
Tatsächlich ist auch Maozʼ Liste an homophoben Ausfällen lang. Mal bringt er Schwule mit Kinderhandel in Verbindung, mal vergleicht er Unterstützer*innen der LGBTIQ*-Community mit Nazis, betont dabei aber immer, er habe gar nichts gegen LGBTIQ*-Personen, lediglich der „LGBTQ-ismus als Agenda und als politische Bewegung“ sei ihm ein Dorn im Auge. Kurz nach der Wahl kündigte Maoz an, er werde „die rechtlichen Möglichkeiten zur Absage der Gay Pride prüfen“.
PinkNews dokumentierte eine seiner jüngsten schwulenfeindlichen Entgleisungen. Als der neue Knesset-Sprecher Amir Ohana – er ist das einzig offen schwule Mitglied der aktuellen Regierung und enger Verbündeter von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu – seine Antrittsrede vor dem Parlament hielt, soll sich Maoz demonstrativ umgedreht und Ohana den Rücken zugekehrt haben.
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Der neu gewählte Sprecher der israelischen Knesset Amir Ohana (mi.) zwischen seiner Familie (li.) und dem neu vereidigten Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu (re.) (29.12.2022).
Von Diskriminierungsschutz bis Konversionsverfahren – eine Regierung, die Angst macht ...
Aktivist*innen wie Peer befürchten, der Aufstieg von Figuren wie Avi Maoz könne Frauen- und LGBTIQ*-Rechte im Land gefährden. „Er ist eine homophobe, frauenfeindliche und fremdenfeindliche Figur mit Positionen, die allen bekannt sind und denen Macht und Autorität verliehen werden“, fügte sie hinzu.
Trotz öffentlicher Zusagen, den Schutz von LGBTIQ*-Rechten nicht antasten zu wollen, spricht der Koalitionsvertrag eine andere Sprache. PinkNews zufolge sehen die Koalitionsvereinbarungen die Rücknahme von Antidiskriminierungsgesetzen vor, die Waren- und Dienstleistungsanbietern u.a. verboten hatten, aufgrund ihrer religiösen Überzeugung bestimmten Kund*innen die Bedienung zu verweigern. Homophober Diskriminierung wird damit Tür und Tor geöffnet. Die Abgeordnete Orit Strock hat bereits angedeutet, dass Ärzt*innen bald die Möglichkeit erhalten sollen, die Behandlung von Menschen, einschließlich LGBTIQ*-Patient*innen, aus religiösen Gründen abzulehnen. Mehrere Mitglieder der Partei Likud fordern die Wiedereinführung sogenannter Konversionsverfahren (deren Verbot erst im vergangenen Jahr in Kraft getreten war, männer* berichtete) und auch über die Abschaffung der genderneutralen Sprache wird emsig diskutiert.
... und ein gespaltenes Land
Dieses politische Klima macht Angst, zumal LGBTIQ*-Feindlichkeit in Israel am Zunehmen ist. 2021 wurde eine Rekordzahl von 3.000 LGBTIQ*-feindlichen Vorfällen registriert, 10 Prozent mehr als 2020 (Quelle). In den vergangenen Wochen demonstrierten Zehntausende in Israel gegen neue Regierung. Am 21. Januar ist erneut eine große Demonstration in Tel Aviv geplant.
Mehr als tausend Demonstrierende in der Gegend von Kiryat Hamlet für eine Demonstration, die von einer Reihe von schwulen Gemeinschaftsorganisationen unter der Leitung der Association for the LGBT organisiert wurde. Die Menge skandiert „Wir werden nicht aufgeben“. Der Vorsitzende des Vereins, Hila Par, sagte: „Heute Morgen ging die Sonne auf und kurz darauf fiel eine große Dunkelheit über den Staat Israel.“
Kriminelles Regierungsmitglied muss gehen
Einen anderen Minister muss Netanjahu inzwischen schon wieder entlassen. Am 19. Januar erklärte das Oberste Gericht in Israel die Ernennung Arie Deris zum Innen- und Gesundheitsminister für ungültig. In einer Entscheidung von zehn zu eins Stimmen befanden die Richter*innen, die Ernennung Deris habe keinen Bestand und sei unangemessen. Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara forderte Netanjahu zur Entlassung des Politikers auf.
Der Vorsitzende der ultraorthodoxen Schas-Partei ist mehrfach verurteilt, zuletzt 2022 wegen Steuerhinterziehung. Deri bekam eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 50.000 Euro und gab seinen Parlamentssitz ab. Die Richter*innen befanden, Deri habe es so erscheinen lassen, als ob er sich für eine geringere Strafe aus der Politik zurückziehen wolle. Bei der Parlamentswahl im November 2022 trat er allerdings wieder an.
Das Ministeramt konnte Deri nur deshalb antreten, weil mehrere Abgeordnete der Knesset Ende Dezember ein Gesetz verabschiedeten, das die Übernahme eines Ministeramtes trotz einer begangenen Straftat erlaubt – unter der Bedingung, dass keine Freiheitsstrafe verhängt wurde. Dies ermöglichte es Deri, trotz Steuerdelikten Minister zu werden.
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Arie Deri (li.) und der heutige Staatspräsident Yitzhak Herzog (re.) auf der Herzliya Conference 2016. Foto: CC BY-SA 3.0, Link
Die Schas-Partei kritisierte die Entscheidung und sprach von einer „nie dagewesenen“ und „politischen“ Entscheidung. In einem gemeinsamen Statement der Koalitionsparteien hieß es, das Gerichtsurteil sei „ein herber Schlag gegen die demokratische Entscheidung“ des Volkes. Justizminister Yariv Levin, Mitglied von Netanjahus Likud-Partei, nannte die Entscheidung des Gerichts „absurd“ und kündigte an, „ohne Verzögerung“ alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, „um diese Ungerechtigkeit mit zu beheben“.
Oppositionsführer Yair Lapid warnte die Regierung, sie würde „das Gesetz brechen“, sollte Deri nicht als Minister entlassen werden. Er erklärte:
„Eine Regierung, die sich nicht an das Gesetz hält, ist eine illegale Regierung.“
*AFP/sah