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So und ähnlich sieht es aus in Russland – KI generiert
Moskau macht ernst. In einem weiteren Schritt seiner Eskalationsspirale hat Russland die britische Kultur- und Bildungsorganisation British Council zur „unerwünschten Organisation“ erklärt. Die offizielle Begründung, die am Donnerstag von der Generalstaatsanwaltschaft in Moskau verlautete, ist so durchsichtig wie perfide: Unter dem Deckmantel des Englischunterrichts und anderer kultureller Aktivitäten würde der British Council britische Interessen vertreten und „verschiedene Projekte umsetzen, um die russische Inlands- und Auslandspolitik systematisch zu diskreditieren“.
Der Hammer kommt aber noch: Dem British Council wird explizit vorgeworfen, die „internationale LGBTIQ*-Bewegung“ aktiv zu fördern und zu unterstützen. Jene „Bewegung“, die in Russland – man höre und staune – seit Ende letzten Jahres als „extremistisch“ eingestuft und verboten ist. Damit wird einmal mehr deutlich, wie sehr der Kreml die queerfeindliche Agenda instrumentalisiert, um seine isolationistische und autoritäre Politik zu untermauern.
Ein alter Hut mit neuer Brisanz

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KI generierte Verfolgungssituation in Russland
Das British Council ist nicht die erste Organisation, die auf Moskaus schwarzer Liste landet. Zahlreiche westlich unterstützte NGOs wurden bereits als „unerwünscht“ abgestempelt, was ihre Arbeit in Russland verbietet und ihre Mitarbeiter:innen mit drakonischen Haftstrafen bedroht. Diese Politik fußt auf dem 2012 eingeführten „Ausländische-Agenten-Gesetz“ , das ausländisch finanzierte NGOs, die „politische Aktivitäten“ ausüben, stigmatisierte. Der jetzige Schritt ist also keine spontane Eingebung, sondern eine konsequente Fortführung einer Strategie, die darauf abzielt, die unabhängige Zivilgesellschaft systematisch zu demontieren.
Interessant dabei: Der British Council hatte seine Operationen in Russland bereits 2018 auf Anweisung des russischen Außenministeriums eingestellt. Die jetzige Einstufung, fast sieben Jahre später, ist daher eher symbolischer Natur. Sie dient dazu, die Erzählung zu verstärken, dass LGBTIQ*-Interessenvertretung keine legitime Menschenrechtsbewegung, sondern ein Werkzeug feindlicher ausländischer Mächte sei, die Russland destabilisieren wollen. Eine bequeme Rechtfertigung für die immer härteren Maßnahmen im Inneren.
Großbritannien als „Provokateur und Kriegsanstifter“
Die Beziehungen zwischen London und Moskau sind schon lange zerrüttet, man denke nur an Spionagefälle oder die Giftattacke auf Sergej Skripal. Seit der umfassenden Invasion der Ukraine ist Großbritannien einer der entschiedensten Unterstützer Kyjiws. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB befeuerte die Anschuldigungen gegen den British Council zusätzlich, indem er Großbritannien als „Provokateur und Kriegsanstifter“ bezeichnete, der versuche, Russland zu untergraben und Konflikte anzuzetteln. Dies ist ein klares Zeichen dafür, wie der Kreml die Anti-LGBTIQ*-Kampagne mit seiner geopolitischen Agenda verknüpft, um nationalistische Unterstützung zu mobilisieren und seine autoritäre Herrschaft zu festigen.
Die Chronologie der Repression: Russlands gnadenloser Krieg gegen die queere Community

Foto: Frederick Florin / AFP
FRANCE-HOMOSEXUALITY-GAY PRIDE-PARADE
Auf dem Schild (Mitte) steht „Schwulsein ist in 77 Ländern ein Verbrechen“ neben einem Foto des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Am 14. Juni 2014 nahmen Menschen an der 13. Gay-Pride-Parade für die Sichtbarkeit von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgendern in Straßburg teil.
Unter Wladimir Putin hat sich Russland von einer post-sowjetischen Liberalisierung zu einem Staat entwickelt, der die Verfolgung von LGBTIQ*-Personen systematisch vorantreibt. Die queere Community wird als „ideales verdrängtes Objekt“ benutzt, um die Gesellschaft um eine neue nationale Identität zu einen und von innenpolitischen Problemen abzulenken. Die Geschichte der LGBTIQ*-Rechte in Russland ist geprägt von wiederkehrenden Zyklen der Liberalisierung und Repression, die tief in den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen des Landes verwurzelt sind.
Hier sind die wichtigsten Meilensteine dieser düsteren Entwicklung:
- Zarenzeit (18. - 19. Jahrhundert): Ab 1716 wurden unter Zar Peter dem Großen erste rechtliche Verbote männlicher Homosexualität eingeführt, zunächst auf das Militär beschränkt. 1832 unter Zar Nikolaus I. wurde Sodomie für die Zivilbevölkerung verboten und mit Exil nach Sibirien geahndet. Die Anwendung dieser Gesetze war jedoch selten, und das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert brachten eine gewisse Lockerung mit sich.
- Sowjetunion – Entkriminalisierung (1917): Die Oktoberrevolution von 1917 markierte einen radikalen Bruch. Im Dezember 1917 entkriminalisierte die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) Homosexualität. Die bolschewistischen Strafgesetzbücher von 1922 und 1926 ließen entsprechende Verbotsartikel bewusst weg. Dies war eine Periode der „sexuellen Revolution“ und galt als sehr progressiv.
- Sowjetunion – Rekriminalisierung (1934): Unter Josef Stalin endete dieser liberale Ansatz abrupt. Im März 1934 wurde männliche gleichgeschlechtliche Beziehungen mit Artikel 154-a (später Artikel 121) rekriminalisiert. Diese Maßnahme war Teil einer Kampagne gegen „abweichendes“ Verhalten und „westliche Dekadenz“, die Homosexualität als politische und nationale Bedrohung darstellte.
- Post-Sowjetische Liberalisierung (1993): Mit dem Zerfall der Sowjetunion kam es zu einer erneuten Liberalisierung. Am 27. Mai 1993 wurden homosexuelle Handlungen zwischen einvernehmlichen Männern wieder legalisiert, maßgeblich unter Druck des Europarates. 1999 entfernte Russland Homosexualität offiziell aus der nationalen Liste der anerkannten Krankheiten. Trotz dieser rechtlichen Fortschritte blieben Homophobie und Hassverbrechen ernsthafte gesellschaftliche Probleme.
- „Ausländische-Agenten-Gesetz“ (2012): Ein entscheidender Schritt in der umfassenderen Unterdrückung der Zivilgesellschaft war das „Ausländische-Agenten-Gesetz“, das Putin im Juli 2012 unterzeichnete und im November desselben Jahres in Kraft trat. Es stigmatisierte und belastete NGOs, die ausländische Gelder erhielten und sich an „politischen Aktivitäten“ beteiligten.
- „Homo-Propaganda-Gesetz“ (2013): Am 30. Juni 2013 unterzeichnete Putin das bundesweite Gesetz mit dem offiziellen Titel „Zum Schutz von Kindern vor Informationen, die eine Leugnung traditioneller Familienwerte befürworten“, gemeinhin bekannt als „Homo-Propaganda-Gesetz“. Es verbot die „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“ unter Minderjährigen und fungierte als De-facto-Pauschalverbot jeder öffentlichen positiven oder neutralen Förderung von LGBTIQ*-Kultur und -Rechten. Dieses Gesetz markierte einen kritischen Wendepunkt, der Russland zu einem aktiv diskriminierenden Staat machte. Es trug direkt zu einem Anstieg von Anti-Schwulen-Protesten, Gewalt und Hassverbrechen bei. (m* Bericht)
- Verfassungsänderungen (2020): 2020 wurden Verfassungsänderungen verabschiedet, die die gleichgeschlechtliche Ehe explizit verbieten. Diese Maßnahme festigte die „traditionellen Werte“ im Grundgesetz des Landes. (m* Bericht)
- Ausweitung des „Homo-Propaganda-Gesetzes“ (2022): Im Dezember 2022 wurde das „Homo-Propaganda-Gesetz“ erheblich ausgeweitet. Es verbietet nun die Verbreitung von „Propaganda nicht-traditioneller Beziehungen“ unter allen Altersgruppen und macht jede positive oder neutrale öffentliche Äußerung von LGBTIQ*-Identität in Russland effektiv illegal. Die Ausweitung fiel bemerkenswerterweise mit Russlands umfassender Invasion der Ukraine zusammen. Die Verurteilungsrate stieg drastisch an.
- Verbot geschlechtsangleichender Behandlungen (Juli 2023): Am 24. Juli 2023 unterzeichnete Putin ein Gesetz, das geschlechtsangleichende Behandlungen und die rechtliche Geschlechtsänderung umfassend verbietet. Transgender-Personen ist es seitdem auch illegal, Kinder zu adoptieren. Neue Gesetze stellten zudem die Klassifizierung von Homosexualität als psychische Krankheit effektiv wieder her.
- Einstufung der „internationalen LGBTIQ*-Bewegung“ als „extremistisch“ (November 2023): Am 30. November 2023 stufte der Oberste Gerichtshof Russlands die „internationale LGBTIQ*-Bewegung“ als „extremistisch“ ein und verbot ihre Aktivitäten. Diese Einstufung ist besonders heimtückisch, da eine solche formale Einheit nicht existiert , was einen vagen, aber extrem breiten Bereich potenzieller Ziele für die Strafverfolgung schafft. Dies markiert eine tiefgreifende und gefährliche Eskalation hin zur direkten Kriminalisierung, die die öffentliche LGBTIQ*-Existenz effektiv illegal macht. (m* Bericht)
Die russische Regierung unter Putin instrumentalisiert die Anti-LGBTIQ*-Agenda als mächtiges innenpolitisches Mobilisierungsinstrument in Kriegszeiten, um von innenpolitischen Problemen abzulenken und eine konservative Wählerbasis zu mobilisieren. Es ist ein düsteres Bild einer Gesellschaft, die zusehends in einen totalitären Zustand abgleitet, in dem Andersdenkende und Minderheiten systematisch unterdrückt werden.