Die litauische Gesetzesbestimmung, die verbietet, Minderjährige über gleichgeschlechtliche Beziehungen zu informieren, ist verfassungswidrig. Zu diesem Urteil kam das Verfassungsgericht am 18. Dezember.
In dem Gesetz heißt es, dass Minderjährige durch Informationen beeinträchtigt werden, die „die Werte der Familie verunglimpfen und ein anderes Konzept von Ehe und Familiengründung fördern, als in der Verfassung und dem Zivilgesetzbuch der Republik Litauen verankert ist“.
Gericht sieht gleich zwei Verstöße
Das Verfassungsgericht entschied, dass diese Bestimmung des Gesetzes gegen Artikel 25 der litauischen Verfassung verstößt, in dem das Recht garantiert ist, eigene Überzeugungen zu haben und frei zu äußern sowie Informationen und Ideen zu suchen, zu empfangen und weiterzugeben.
Nach Ansicht des Verfassungsgerichts verstößt diese Gesetzesvorschrift auch gegen Artikel 38 der Verfassung, in dem es heißt, dass die Familie das Fundament der Gesellschaft und des Staates ist und dass der Staat die Familie, die Mutterschaft, die Vaterschaft und die Kindheit schützt und pflegt.
Gintaras Goda, Präsident des litauischen Verfassungsgerichts.
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Das Gericht betonte, dass Einschränkungen bei der Verbreitung von Informationen an Minderjährige nicht dazu führen dürfen, dass andere in der Verfassung verankerte Werte untergraben oder missachtet werden. „Daher darf keine gesetzliche Regelung eingeführt werden, die impliziert, dass Informationen über Familienmodelle und Beziehungen zwischen Individuen an sich für Minderjährige ungeeignet sind“, sagte der Präsident des Verfassungsgerichts, Gintaras Goda, bei der Bekanntgabe der Entscheidung, und fügte hinzu:
„Eine solche gesetzliche Regelung [...] behindert ihre Entwicklung zu reifen, vollwertigen Persönlichkeiten und ist unvereinbar mit der verfassungsmäßigen Pflicht des Staates, eine harmonische und umfassende Entwicklung des Kindes zu gewährleisten, die auf der Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde sowie den Werten der Gleichheit, des Pluralismus und der Toleranz beruht, die einer demokratischen Gesellschaft eigen sind.“
Nach Ansicht des Gerichts schließt die von der Verfassung garantierte Freiheit, Informationen zu suchen und zu erhalten, die Verpflichtung ein, Minderjährigen Zugang zu Informationen zu gewähren, die objektiv sind und die realen sozialen Beziehungen widerspiegeln und die zur Bildung einer Weltanschauung beitragen, die auf der Achtung der Rechte und der Würde anderer beruht.
„Bernsteinherz“
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kam im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass die Bestimmung, die Teil des Gesetzes zum Schutz Minderjähriger vor negativen Auswirkungen öffentlicher Informationen ist, gegen Litauens internationale Verpflichtungen hinsichtlich der Menschenrechte verstößt.
Konkret ging es um ein Kinderbuch „Bernsteinherz“ der inzwischen verstorbenen Autorin Neringa Macatė, das vom Markt genommen wurde, weil es eine Geschichte über eine gleichgeschlechtliche Liebesbeziehung enthielt. Der EGMR entschied, dass Litauen die Rechte von Neringa Macatė verletzt hat, indem es die Veröffentlichung ihres Buchs einschränkte. Litauen habe damit gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, so das Urteil.
Nach dem Urteil des EGMR schlug die damalige Regierung dem Seimas vor, diese Bestimmung aus dem Gesetz zu streichen, doch das Parlament lehnte die Initiative im vergangenen Herbst ab. Daraufhin beschloss die Regierung, das Verfassungsgericht um eine Entscheidung über das Gesetz zu ersuchen und die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über den Schutz von Minderjährigen vor negativen Auswirkungen öffentlicher Informationen zu prüfen.