Die österreichische Polizei hat angekündigt, erstmals auch Hassverbrechen gegen sexuelle Minderheiten zu erfassen. Erste Zahlen sollen im kommenden Jahr veröffentlicht werden. Die große Koalition in Berlin sitzt das Thema ein weiteres Jahr aus.
Die Gefahr, als homosexuelle oder intersexuelle Person in Österreich Opfer von Körperverletzung zu werden, ist zehn Mal höher als bei Heterosexuellen. Bei einer entsprechenden Studie „Queer in Wien“ der Stadt Wien gaben 30 Prozent der Teilnehmer an, in den letzten 12 Monaten Gewalt und Diskriminierung im öffentlichen Raum erlebt zu haben. Sie wurden lächerlich gemacht, beschimpft, diskriminiert oder angegriffen.
Fotos: M. Rädel, Selfie
Kollage PomoZ Bleach Freihoff
In Berlin ist das Problem queerfeindlicher Übergriffe durch die konsequente Veröffentlichungsstrategie der Behörden schon seit einigen Jahren sehr viel bewusster geworden. Die männer* Printschwester blu fragte anlässlich der neuen Zahlen bei Szenemacher*innen nach. Ihre Reaktionen haben wir HIER zusammengestellt.
Fotos: M. Rädel / Foto Matthias Freihof (rechts): Selfie
Während in der Schweiz die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung vor kurzem unter Strafe gestellt wurde (wir berichteten), ist in Österreich nicht einmal bekannt, wie viele Anzeigen es in diesem Zusammenhang gibt – die Polizei führt keine entsprechenden Statistiken. Doch das soll sich jetzt ändern.
2021 will die österreichische Polizei einen Pilotbericht zur „systematischen Erfassung diskriminierender Motivlagen bei Strafanzeigen“ veröffentlichen. Dabei sollen auch Tatmotive, „welche auf hassmotivierte Vorurteile aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Ausrichtung beruhen“, berücksichtigt werden, also Hassverbrechen gegen sexuelle Minderheiten erstmals als solche erfasst werden.
Im Gegensatz zu vielen deutschen Bundesländern gibt es bei der Polizei in Österreich auch keine eigenen Ansprechpersonen für LGBTIQ*-Personen. Österreichs Innenminister, Karl Nehammer, plant deshalb, die Polizei „durch die flächendeckende Schulung“ zu sensibilisieren, wie es in der schriftlichen Beantwortung einer Parlamentsanfrage von Yannick Shetty (NEOS) heißt.
Shetty, Österreichs jüngster offen schwuler Nationalratsabgeordneter, begrüßte die Ankündigung des Innenministeriums. Dass Hassverbrechen gegen sexuelle Minderheiten nicht schon jetzt erfasst werden, verstehe er aber nicht: „Es ist schon seltsam, wenn es um die Erfassung von LGBTIQ-Hasstaten geht, von ,enormem Verwaltungsaufwand‘ und ,exorbitanter Ressourcenbindung‘ zu sprechen. Rassistisch motivierte Hasstaten gegen Ausländer oder Antisemitismus werden auch erfasst und stellen keinen exorbitanten Mehraufwand dar.“
Deutschland ignoriert Anstieg der Gewalt
Foto: Deutscher Bundestag / Achim Melde
Die neue Justizministerin Christiane Lambrecht (SPD) bei ihrer Vereidigung neben Innenminister Horst Seehofer (CSU)
Die Bundesregierung in Deutschland hat trotz mehrfacher Lippenbekenntnisse gegen antiqueere Hassvergehen immer noch keine einheitliche Erfassung von Hasskriminalität gegen die sexueller Orientierung oder Identität auf den Weg gebracht und so sind die jährlich nur auf Anfrage von Parlamentariern veröffentlichten Zahlen ein Flickwerk aus den validen Zahlen der Hauptstadt Berlin, wo seit 2012 konsequent gezählt und veröffentlicht wird, plus „was so anfällt“ in den 14 weiteren Bundesländern. Dennoch stiegen die gemeldeten homo-und transphob motivierten Straftaten in 2019 im Vergleich zu 2018 um mehr als 60 Prozent – bei Gewalttaten sogar um fast 70 Prozent.
Der Lesben und Schwulenverband Deutschland (LSVD) reagierte dementsprechend deutlich auf die wiederholte Ignoranz, denn auch das neueste Gesetz zur Bekämpfung von Hassverbrechen, richtete sich nur gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus:
„Noch nie hat Bundesinnenminister Seehofer eine homophobe oder transfeindliche Gewalttat explizit öffentlich verurteilt. Es gibt keinerlei Maßnahmenprogramm. Dabei geschehen homophobe und transfeindliche Gewalttaten tagtäglich in Deutschland. Seit Jahren weigert sich die Große Koalition, bei der von ihr eingeführten Bestimmung zur Hasskriminalität im deutschen Strafrecht homophobe und transfeindliche Motive im Gesetz ausdrücklich zu benennen. Auch beim neuesten Gesetzesvorhaben von Bundesjustizministerin Lambrecht zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität bleiben Homophobie und Transfeindlichkeit im Gesetzestext erneut ausgegrenzt. Das ist unverständlich und muss nachgebessert werden.“
Die vollständige Stellungnahme des LSVD ist HIER zu lesen.