Auslöser für die erneute Attacke auf die queere Community ist ein ungarisches Märchenbuch, das mit älteren, körperlich eingeschränkten oder POC-Charakteren Vielfalt fördern will – und in dem Aschenputtel als lesbisch dargestellt wird. Die Märchensammlung spaltet die Gesellschaft, eine Petition gegen das Buch hat bereits mehr als 80.000 Unterschriften erhalten und ungarische Buchhändler ziehen Parallelen zur Bücherverbrennung der Nazis. Die Herausgeber des Buches haben trotz allem Grund zur Freude.
Das Buch „Storyland is for Everyone“ wird von der Organisation Labrisz Lesbian Association herausgegeben. Darin werden Märchen neu – und anders – erzählt. Es soll Kinder spielerisch Vielfalt und Akzeptanz lehren. Darin kommen Charaktere mit körperlichen Einschränkungen, Menschen verschiedener Ethnien oder ältere und arme Personen vor. Nur wenige Geschichten haben einen queeren Hintergrund – was die Queerhasser in Ungarn aber nicht davon abhält, sich gerade auf diese zu stürzen.
Dorn im Auge der selbst erklärten Moralapostel: Aschenputtel wird als lesbische Liebesgeschichte neu erzählt, in einem anderen Märchen ist ein Drachentöter Transgender. Eine Petition der queerfeindlichen Lobbygruppe CitizenGO, in der gefordert wird, das Buch aus den Buchläden zu entfernen, hat online mehr als 80.000 Unterschriften erhalten.
Die Herausgeber freut die unbeabsichtigte PR: Das Buch ist ein Bestseller, die erste Auflage war sofort ausverkauft, eine zweite Auflage musste in Auftrag gegeben werden. Die Labrisz Lesbian Association sprach davon, der Hass gegen das Buch habe einen „gegenteiligen Effekt“ gehabt.
Orban stellt sich auf die Seite der Homohasser
Sie brachte den Stein ins Rollen und das Buch damit ganz oben auf die Verkaufslisten: Die Abgeordnete Dóra Dúró der rechtsextremen Partei „Unser Vaterland“ zerstörte das Buch letzte Woche auf einer Pressekonferenz. Sie riss einzelne Seiten heraus und schredderte sie öffentlich. Ihre Argumentation: Die Partei würde nicht akzeptieren, dass Kinder homosexueller Propaganda ausgesetzt werden.
Natürlich, wen wundert es – bei einer öffentlichen Diskussion über Homosexualität in Ungarn ist der Anti-LGBTIQ+-Führer Viktor Orbán nicht weit weg. Der Politiker, der Anfang des Jahres ein Gesetz verabschiedete, mit dem die rechtliche Anerkennung von Transgender-Personen effektiv abgeschafft wurde (wir berichteten), schürte in einem Radiointerview die moralische Panik, in dem er sich klar positionierte. Laut der Nachrichtenagentur AFP sagte er:
„In Ungarn gibt es Gesetze in Bezug auf Homosexualität, deren Grundlage ein außergewöhnlich toleranter und geduldiger Ansatz ist. Aber es gibt eine rote Linie, die man nicht überschreiten darf.“
Foto: Flickr User European People's Party / CC0
Viktor Orban
Foto: Flickr User European People's Party Lizenz Creative Commons CC BY 2.0
Für ihn ist das Buch ein „provokativer Akt der Homosexuellengemeinschaft“. Ungarns Ministerpräsident warnte:
„Lassen Sie unsere Kinder in Ruhe.“
Vergleich zu Bücherverbrennung der Nazis
Der Ungarische Verleger- und Buchhändlerverband (MKKE) hat die Angriffe auf das Buch massiv kritisiert – und verwies auf Parallelen zu der Bücherzensur, unter anderem in Form von Bücherverbrennung, zur Zeit der Nazis oder der kommunistischen Herrschaft. Der Verband zeigte sich geschockt darüber, dass eine Abgeordnete des ungarischen Parlaments öffentlich ein Buch zerstört habe, weil sie mit dessen Inhalt nicht einverstanden war. Alle Bücher könnten kritisiert werden, auch vor der breitesten Öffentlichkeit – jedoch:
„Die Vernichtung von Büchern zu politischen Zwecken ist eine der beschämendsten historischen Erinnerungen in Ungarn und Europa.“
Foto: Unsplash, Quinten de Graaf / CC0
Bücherverbrennung
Es sei keine Meinungsäußerung, sondern ein Schulterschluss mit den „nationalsozialistischen Bücherverbrennern“ und den „kommunistischen Bücherfetzern“. Sie forderten:
„Hände weg von den Büchern!“