Sie machten die Welt auf die Ungerechtigkeiten in Polen aufmerksam – nun sind sie selbst ins Visier des unterdrückenden Staates gerückt. Die vier Aktivist*innen, die gemeinsam den 'Altas of Hate' erstellten, stehen nun wegen Verleumdung vor Gericht. Ihnen drohen Geldstrafen, die insgesamt höher sind als ihre Jahresgehälter. Doch der Staat erhofft sich durch dieses Vorgehen noch weit mehr.
Als sich 2019 immer mehr Gemeinden in Polen der queerfeindlichen Resolution anschlossen, entschieden die vier Aktivist*innen Kuba Gawron, Kamil Maczuga, Paulina Pająk und Paweł Preneta, etwas dagegen zu unternehmen. Sie erstellten eine interaktive Karte, auf der die Aktionen der polnischen Gemeinden dokumentiert und überwacht werden – den so genannten 'Atlas of Hate' (polnisch: 'Atlas nienawiści'). Auch die Gemeinden, die gegen die Beschlüsse stimmten oder sie inzwischen revidierten, sind auf der Internetseite verzeichnet.
Daran, dass die Weltöffentlichkeit auf die queerfeindliche Situation in Polen aufmerksam wurde und die Regierung aufforderte, den radikalen Kurs zu ändern, haben die vier einen erheblichen Anteil. Das sehen die Kommunen und lokalen Regierungseinheiten offenbar ähnlich: Sie verklagten die Aktivist*innen wegen Verleumdung. Die erste Anhörung findet am 20. Juli in Ostrołęka statt – Kläger ist hier der Bezirk Przasnysz. Bei der nächsten Anhörung am 29. Juli in Nowy Sącz klagt der Bezirk Tatry. Weitere Verhandlungstermine werden folgen: Es klagen noch die Landkreise Opoczno, Przysucha, Tarnów und – vermutlich – Gromadka.
36.000 Euro Strafe für den Kampf gegen Homophobie
Jede der fünf lokalen Regierungsbehörden fordert umgerechnet jeweils rund 4434 Euro Entschädigung, die die vier aus eigener Tasche bezahlen müssten. Doch die Verwaltungen fordern nicht nur Geld: Sie möchten auch eine Entschuldigung, die auf der Webseite des 'Atlas of Hate' veröffentlicht sowie auf den Stufen des Europäischen Parlaments in Brüssel und in einem eigens dafür gemieteten Konferenzraum der polnischen Presseagentur verlesen wird.
Dadurch kämen noch rund 8868 Euro für die Reise nach Brüssel sowie 5442 Euro für den Konferenzraum der Polnischen Presseagentur hinzu – was insgesamt eine Summe von etwa 36.000 Euro ergibt. Die aus Gromadka erwartete Klage würde die Gesamtkosten auf 200.000 PLN erhöhen (44.338 Euro). Eine Summe, die laut der Organisation „Kampagne gegen Homophobie“ höher sein soll als die addierten Jahresgehälter der vier Aktivist*innen.
Kuba Gawron weist auf die Unverhältnismäßigkeit und verfassungswidrige Paradoxie der Anklage hin:
„All dieses Geld fließt in den Haushalt eines Landes, in dem Meinungsfreiheit und Antidiskriminierung im politischen Leben in der Verfassung verankert sind.“
Die Regierung schikaniert Aktivist*innen
Der Staat bezweckt mit der Klage etwas, das weitreichender ist als die Summe der Forderungen: Mit so genannten „SLAPPs“ (steht für: „Strategic Lawsuit Against Public Participation“, deutsch: „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“) werden Aktivist*innen und Regierungskritiker*innen auf der ganzen Welt mundtot gemacht – durch langwierige und kostspielige Verfahren sollen sie zum Schweigen gebracht sowie andere abgeschreckt werden. Die Klagen wurden in dem vorliegenden Fall zudem an die Arbeitsplätze der vier Angeklagten geschickt, um ihnen indirekt mit weiteren Konsequenzen wie dem Verlust des Arbeitsplatzes zu drohen.
Das Team der polnischen Queerrechtsorganisation Kampania Przeciw Homofobii (deutsch: Kampagne gegen Homophobie), das die Aktivist*innen unter anderem mit juristischem Beistand unterstützt, erklärt:
„Die Geschichte von Kuba, Kamil, Paulina und Paweł ist ein Beispiel dafür, wie weit eine homophobe Regierung gehen wird, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, die für Menschenrechte eintreten.“
Erste Erfolge durch unermüdlichen Kampf der Menschenrechtler
Seit Aktivist*innen wie das Atlas-Team die Welt und besonders die EU auf die queerfeindliche Entwicklung aufmerksam machten, wurden bereits von sieben Gemeinden die Beschlüsse zurückgenommen, darunter die Kleinstadt Kraśnik (wir berichteten). Zudem wurde die Resolution laut der Kampagne gegen Homophobie im Jahr 2020 von keiner weiteren Gemeinde angenommen. Stattdessen verabschiedete das Europäische Parlament zwei Resolutionen, die der queeren Community in Polen helfen sollen und verhängte Restriktionen gegen die Gemeinden. Außerdem setzten zahlreiche westeuropäische Gemeinden ihre Partnerschaft mit betroffenen Gemeinden in Polen aus.
Foto: Wojtek Radwanski / AFP
Bilder, die Hoffnung machen: Mitte Juni demonstrierten rund 20.000 beim Pride in Warschau für Gerechtigkeit und Liebe (wir berichteten).
Doch es ist noch ein weiter Weg: Noch immer gelten 92 der homo- und transphoben Beschlüsse, deren Verwaltungsbezirke insgesamt 31% des Landes abdecken. Die Aktivist*innen des 'Atlas of Hate' versprechen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie wollen weiter an der Webseite arbeiten, weiter für ihre Vorstellung eines gerechten Polens kämpfen. Kamil Maczuga erklärte:
„Als wir mit unseren Aktivitäten begannen, haben wir Kritik von Konservativen und Fundamentalisten erwartet. Schließlich ist unser Ziel, die LGBT-Diskriminierung in ganz Polen zu stoppen. Egal, wie oft wir verklagt werden, unser Ziel ist es, weiter zu arbeiten. Das Grundrecht auf Sicherheit für die LGBT-Community, vor allem in kleineren Städten, ist unsere oberste Priorität. Keine Klage wird das ändern [...].“
Ob die langwierigen Verhandlungen und mögliche weitere Folgen ihres Handelns sie von ihrem Vorhaben am Ende doch noch abbringen werden, wird abzuwarten sein.