Mit einem Tag Verspätung gratulierte auch Polens Staatspräsident Andrzej Duda zur ersten Medaille für Polen bei den Olympischen Spielen. Über die Coming-outs der Athletinnen verlor Duda jedoch kein Wort. Eine versöhnliche Geste kam indes von einer konservativen polnischen Sportlerin.
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Originalnachricht vom 1. August 2021
Olympia: Polens erste Medaille gewinnt ... eine Lesbe!
Unsere Geschichte der Woche: Die olympische Ruderin Katarzyna Zillmann hat sich nach dem Gewinn der Silbermedaille für Polen diesen Mittwoch zu ihrer Homosexualität bekannt. Zillmann gewann mit ihrem Team Silber im Doppelvierer – anschließend grüßte sie im Staatsfernsehen ihre Freundin und löste in Polen eine Kontroverse aus. Nun möchte sie ihre durch Olympia gewonnene Popularität nutzen, um anderen Queers zu helfen.
Foto: Charly Triballeau / AFP
Katarzyna Zillmann, Ruderinnen Polen Olympia
Großer Jubel: Die Ruderinnen gewannen in einem spannenden Finale die Silbermedaille. Zillmann (ganz rechts) gelang anschließend noch ein ganz persönlicher Sieg.
Die olympischen Spiele sind aus queerer Sicht bereits jetzt ein voller Erfolg: Nie gab es mehr geoutete Teilnehmer*innen als dieses Jahr, folglich auch nie mehr Sichtbarkeit. Eine wichtige Botschaft für junge und natürlich auch ältere Queers und Sportler*innen auf der ganzen Welt. Nach Tom Daleys Goldgewinn am Anfang dieser Woche (wir berichteten), zog nun die polnische Ruderin Katarzyna Zillmann die Aufmerksamkeit auf sich. Strahlend sagte sie nach dem Gewinn dem staatlichen Fernsehsender TVP:
„Ich grüße meine Freundin sehr, Julia.“
Ein Geheimnis machte Katarzyna Zillmann aus ihrer lesbischen Beziehung zu Kanutin Julia Walczak bislang zwar nicht – so erklärte sie nach dem Gewinn gegenüber Pressevertretern, sie habe bereits früher mit Medien darüber gesprochen – die Geschichte wurde in Polen bloß nie veröffentlicht. Nun, da die Öffentlichkeit weiß, dass sie queer ist – und die Augen der Welt aufgrund des Olympiateilnahme auf sie gerichtet sind – möchte sie die neu gewonnene Plattform nutzen, betont die Silbermedaillengewinnerin.
„Ich weiß, dass ich auf diese Weise anderen helfen werde.“
Queere Sichtbarkeit in Polen vielleicht wichtiger als je zuvor
Besondere Signifikanz gewinnt Zillmanns mutiger Schritt durch ihr Herkunftsland Polen – das in den letzten Jahren durch rückschrittliche, diskriminierende Gesetzgebung auf sich aufmerksam machte. Obwohl sich inzwischen einige Kommunen dem Druck von außen beugten und von ihrer Entscheidung zurücktraten, hat sich zusammenaddiert noch immer mehr als ein Drittel der Landesfläche zur „LGBT-freien Zone“ erklärt. Auch abgesehen davon hat die Homophobie, befeuert durch die Regierungspartei PiS, stark zugenommen. Der Staat geht derweil mit Verleumdungsklagen gegen Aktivist*innen vor, um sie mundtot zu machen (wir berichteten).
Grüße an die Partnerin – etwas, das hierzulande völlig normal ist, löste in Polen eine Debatte aus, die selbst die Freude über den Gewinn der ersten Medaille in den Schatten stellte. Bereits bei der Eröffnungsfeier sorgte Sportschützin Aleksandra Jarmolinska für Schlagzeilen, als sie mit einer regenbogenfarbenen Maske auflief. In einem zuvor veröffentlichtem Video outete sie sich als homosexuell und erklärte, bald ihre Freundin im Ausland heiraten zu wollen.
Zwei Frauen, die die Plattform der Olympischen Spiele nutzten, um sich mutig zu positionieren und ihrer Regierung zu zeigen: Sie lassen sich nicht einschüchtern. Denn sie wissen, dass es viele, viele andere gibt, die in ihrer Situation sind, allein, mutlos. Zillmann erklärte, sie habe bereits zuvor einige Nachrichten von jungen Mädchen erhalten, die Rudern trainierten. Anlass sei gewesen, dass sie ein T-Shirt trug, auf dem auf polnisch die Aufschrift zu lesen war „Sport gegen Homophobie“. Eines der Mädchen hätte ihr daraufhin ihre schwierige Situation zuhause geschildert und ihr dafür gedankt, dass sie ihr mit ihrer offenen Haltung sehr geholfen habe. Stolz betont Zillmann:
„Eine solche Nachricht genügt, um Tausende von Hasskommentaren und angewiderten Gesichtern völlig zu vergessen.“
Update vom 2. August 2021
Staatspräsident Duda gratuliert – 24 Stunden später
Ganze 24 Stunden ließ sich der sonst so sportbegeisterte Andrzej Duda Zeit, bis er zur ersten polnischen Medaille der Olympischen Spiele in Tokio Stellung nahm. Auf Twitter beglückwünschte der polnische Staatspräsident die Ruderinnen, indem er schrieb, er
„respektiere JEDEN, der hart trainiert, um Polen mit Würde zu vertreten. Mit großer Freude nahm ich die Silbermedaille unserer Ruderer entgegen. Herzlichen Glückwunsch und danke! Weiter so!”
Während der 24 langen Stunden, in denen Duda still blieb, entbrannte in Polen eine Diskussion darüber, ob sich das Staatsoberhaupt nur deshalb so lange Zeit lässt, weil Zillmann sich als lesbisch geoutet hat. Denn Andrzej Duda gilt als Politiker mit einer expliziten Anti-LGBTIQ*-Agenda. Die Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr gewann er vor allem durch seine hasserfüllte Rhetorik auf Kosten der queeren Community – „Sie versuchen uns davon zu überzeugen, dass sie Menschen sind, aber das ist eine Ideologie“ ist nur eine von Dudas homophoben Äußerungen, die er während des Wahlkampfs tätigte (wir berichteten).
Keine queere Sichtbarkeit in Polens Medienlandschaft
Entsprechend versuchten regierungsnahe Medien, das Coming-out der beiden Athletinnen so gut es geht zu ignorieren. Dabei hat die Ruderin Katarzyna Zillmann aus ihrer Homosexualität nie ein Geheimnis gemacht: „Ich habe es bereits in verschiedenen Interviews erwähnt, aber anscheinend wurde es nach der Bearbeitung nicht ausgestrahlt“, berichtete Zillmann. Mit ihrem Coming-out vor den Kameras des staatlichen Fernsehsenders TVP wollte sie die Aufmerksamkeit nutzen, um ein besseres Verständnis für die queere Community zu schaffen.
Der einst öffentlich-rechtliche Sender TVP ist mittlerweile eher eine Propagandamaschine der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Wie get to text berichtete, trennte sich TVP erst in der Woche zuvor von einem langjährigen Produzenten der Frühstücksfernsehsendung „Pytania Na Sniadanie“, weil in der Sendung eine Sängerin mit einer Regenbogenfahne um die Schultern auftauchte. Die Senderleitung bemängelte, dass der zuständige Produzent die Regenbogenfahne einblendete und begründete die fristlose Kündigung damit, dass der Regenbogen als Symbol die Gefühle mancher Zuschauer verletzen könnte.
Versöhnliche Geste von konservativer Sportlerin
Gratulation gab es auch von der Windsurferin Zofia Nocit-Klepacka. Eine Besonderheit, denn die Bronzemedaillengewinnerin der Olympischen Spiele in London 2012 ist sonst eher für ihre erzkonservativen Ansichten, die auch die LGBTIQ*-Community betreffen, bekannt. „Eine normale Familie besteht aus Frau und Mann. Nur wegen dieser Verbindung existiert noch die Menschheit. Das ist aber nicht der Fall bei Beziehungen von Mann und Mann oder Frau und Frau“, sagte Nocit-Klepacka in einem Interview. Solche und ähnliche Aussagen über Abtreibungen machten Nocit-Klepacka zur Heldin der Nationalkonservativen.
Doch ausgerechnet Nocit-Klepacka und Zillmann setzten am Freitag ein wichtiges versöhnliches Zeichen. Die beiden Athletinnen trafen sich im olympischen Dorf. Auf Facebook veröffentlichte Nocit-Klepacka ein Foto, auf dem sich die beiden im Arm halten. „Sport steht über allem. Kasia, dir und der ganzen Mannschaft Glückwünsche zu Silber“, schrieb die Windsurferin neben das Foto. Ein Botschaft, die zeigt, dass Sport nicht nur verbinden, sondern auch Vorurteile abbauen kann. Oder um es mit Zillmanns Worten gegenüber World Today News zu sagen:
„Lasst uns alle einander lieben. Entscheiden wir nicht, wen jemand lieben darf und wen nicht. Lasst uns die Augen offen halten für die Bedürfnisse anderer Menschen.“