Die Lage für die polnischen LGBTI-Aktivist*innen, die sich gegen die von den Rechtskonservativen geplante Auslöschung queeren Lebens in Polen zur Wehr gesetzt haben, spitzt sich zu. Mit SLAPP-Klagen will der polnische Staat erreichen, dass ihre Stimmen verstummen.
Im April 2019 bezeichnete Jarosław Kaczyński, Chef der rechtspopulistischen Partei PiS, die „LGBT-Ideologie“ als „Bedrohung für die polnische Gesellschaft“ (wir berichteten). Fortan erklärten sich immer mehr PiS-freundliche Regionen zu „LGBT-freien Zonen“ (männer*-Dossier zum Thema).
Statt tatenlos zuzusehen, haben sich mutige queere Aktivist*innen dagegengestellt und angefangen, die Weltöffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, wie der polnische Staat die queere Community in Polen auszumerzen versucht, im Geiste zumindest .
Jakub Gawron, Paulina Pajak, Paweł Preneta und Kamil Mazcuga gehörten zu den Ersten, die die Entwicklung des Hasses für alle sichtbar gemacht haben. Auf ihrer interaktiven Landkarte, dem „Atlas of Hate“, konnte die Öffentlichkeit die besorgniserregend schnelle Zunahme „LGBT-freier Zonen“ in Polen mitverfolgen.
Aktivist*innen drohen Gerichtsverfahren
Nun fordert ihr Engagement seinen Tribut. Der polnische Staat hat gegen die Initiator*innen der Webseite Jakub Gawron, Paulina Pajak und Paweł Preneta Anklage erhoben (nur Kamil Maczuga blieb bis jetzt davon verschont) und fordert erhebliche finanzielle Entschädigungen.
Grafik: Jakub Gawron / https://atlasnienawisci.pl
Auch der Initiator des Fotoprojekts „LGBT-free Zones“, Bart Staszweski, sieht sich zahlreichen gerichtlichen Klagen ausgesetzt.
Staszweski, der sehr aktiv in der polnischen Queer-Community ist, fotografierte sogenannte „LGBT-freie Zonen“ und ihre queeren Bewohner*innen, um die Menschen hinter den Beschlüssen der Gemeinden und Landkreise zu zeigen. Durch sein Fotoprojekt erhöhte sich weltweit die Aufmerksamkeit für die Problematik in Polen (wir berichteten). Dieser Einsatz wird ihm jetzt zum Verhängnis.
Foto: facebook.com/profile.php?id=100008152054340
Bart Staszewski
Aktivist Bartosz Staszewski beim Pride in Kielce.
Ebenfalls vor Gericht stehen drei polnische Frauen, die ein Poster der Jungfrau Maria angefertigt hatten, auf dem Maria einen Heiligenschein in Regenbogenfarben trägt – für den polnischen Staat eine „Verletzung religiöser Gefühle“. Am Mittwoch begann der Prozess gegen Elżbieta Podleśna, Anna Prus und Joanna Gzyra-Iskandar Podleśna.
SLAPP – Strategic Lawsuits Against Public Participation
SLAPP-Klagen (Strategic Lawsuits Against Public Participation), also „strategische Klagen gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit“, werden jene angestrebten Gerichtsverfahren genannt, die einzig und allein dazu dienen, Andersdenkende einzuschüchtern und zu zermürben. Die Taktik ist einfach: Irgendwann zwingen finanzielle Kosten, zeitlicher Aufwand und psychische Belastungen Kritiker*innen in die Knie – völlig mutlos geben sie auf.
Die Europäische Kommission hat im Europäischen Aktionsplan für Demokratie festgehalten, dass der Zweck solcher Klagen darin besteht,
„Kritiker zu zensieren, einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, indem man ihnen so lange die Kosten für die Verteidigung aufbürdet, bis sie ihre Kritik oder Opposition aufgeben“.
Deshalb stellen SLAPP-Klagen für die Europäische Kommission
„eine besondere Form der Schikane dar, der Journalisten und andere am Schutz des öffentlichen Interesses beteiligte Personen zunehmend ausgesetzt sind“.
LGBTI-Intergroup im Europäischen Parlament
Terry Reintke, stellvertretende Vorsitzende der Grünen/EFA Fraktion und Co-Vorsitzende der LGBTI-Intergroup im Europäischen Parlament, kommentierte die neueste Entwicklung in Polen wie folgt:
„Gerade heute sind die Stimmen von Aktivist*innen besonders gefragt, die das diskriminierende Vorgehen der Regierung durch ihr Engagement oder künstlerische Mittel anprangern. Die Zivilgesellschaft muss über die Freiheit verfügen, zu widersprechen, zu kritisieren und Missstände anzuprangern ohne rechtliche Konsequenzen zu befürchten.“
Die LGBTI-Intergroup im Europäischen Parlament steht in regelmäßigem Kontakt mit den Angeklagten, um die Entwicklungen besser zu verstehen und den Opfern die nötige Unterstützung zukommen zu lassen.
Gemeinsam mit weiteren europäischen Akteur*innen will die LGBTI-Intergroup weiterhin dafür sorgen, dass Homophobie und Diskriminierung in Polen von der Europäischen Union wahrgenommen und entsprechend geahndet werden, so wie von Ursula von der Leyen im September 2020 in ihrer Rede zur Lage der Union versprochen hatte (wir berichteten).