Einmal im Jahr bewertet ILGA-Europe alle europäischen Länder im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte von LGBTIQ*-Personen und erstellt auf dieser Basis die Rainbow Map und den Rainbow Index.
ILGA-Europe sieht Europa vor einem Scheideweg:
Werden die Menschenrechte von queeren Personen geschützt und neue Gesetze für Gleichstellung und gegen Diskriminierung verabschiedet? Oder werden sie nicht umgesetzt bzw. sogar noch weiter ausgehöhlt?
Die diesjährige Bewertung verdeutlicht im Wesentlichen zwei Entwicklungen: Während die einst führenden Länder in Europa in ihren Verpflichtungen zur Gleichstellung von Queers zurückfallen, nehmen immer mehr Regierungen die Communities ins Visier und ergreifen aktive Maßnahmen zur Unterdrückung.
Hier die wichtigsten Ergebnisse der Rainbow Map 2020 im Überblick:
- In 49 % der Länder hat sich nichts zum Positiven verändert.
- Zum zweiten Mal in Folge bewegen sich die Länder auf dem Rainbow Index rückwärts, da bestehenden Schutzmaßnahmen zurückgenommen wurden.
- Trans*-Rechte sind der Ort, an dem der größte Teil der gegenwärtigen Bewegung in Bezug auf die LGBTI-Gleichstellung zum Guten oder Schlechten stattfindet.
- Andere Vorwärtsbewegungen, wenn auch in geringerem Umfang, betreffen Gleichstellungsmaßnahmen zum Schutz intersexueller Menschen vor Diskriminierung.
- Rückläufige Tendenzen sind am sichtbarsten, wenn bürgerliche und politische Rechte untergraben werden: LGBTI-Menschenrechtsverteidiger sind zunehmend gefährdet, Behörden ergreifen aktive Maßnahmen, um zivilgesellschaftliche Vereinigungen zu untergraben, und versuchen vermehrt, öffentliche Veranstaltungen zu verbieten.
ILGA Europe 2020
Die Zukunft sieht nicht rosig aus
Mit einem Verweis auf die Corona-Krise geben die Ergebnisse auch erste Hinweise darauf, dass der Gleichstellung von LGBTIʼs in Europa eine kritische Zeit bevorsteht. Denn in manchen Ländern zeichnet sich jetzt schon ab, dass sich rückläufige Tendenzen weiter verschärfen und so zu einer realen Bedrohung werden können. Einige Regierungen benutzen die Corona-Pandemie als Vorwand, „um ihre Agenda zur Beschneidung der Menschenrechte voranzutreiben“, erklärt Evelyne Paradis, Exekutivdirektorin von ILGA-Europe:
„Die Geschichte zeigt, dass diejenigen, die vor einer Krise schon verwundbar waren, nach einer Krise umso verwundbarer sind, weshalb wir allen Grund zur Sorge haben, dass die politische Selbstzufriedenheit, zunehmende Repression und sozioökonomische Schwierigkeiten in den nächsten Jahren für viele LGBTI-Menschen in Europa zu einer extrem schlechten Ausgangssituation führen könnte.“
IGLA-Europe hat die Entwicklung auf nationaler Ebene analysiert und Land für Land in einem Jahresbericht zusammengefasst, immer mit konkreten Beispielen für die Situation vor Ort. Untersucht und bewertet wurden jeweils sechs Kategorien: „Gleichheit und Nichtdiskriminierung“ (Rot), „Familie“ (Orange), „Hassverbrechen und Hassreden“ (Gelb), „Rechtliche Anerkennung des Geschlechts & körperliche Unversehrtheit“ (Grün), „Zivilgesellschaft“ (Blau) und „Asylpolitik“ (Lila).
Die Situation in Deutschland
Deutschland bewegt sich schon lange im Mittelfeld, aktuell liegen wir auf Platz 16. Laut Rainbow Index erfüllt Deutschland aktuell 51 Prozent der von der ILGA aufgestellten Kriterien für eine komplette Gleichstellung von LGBTI-Personen und liegt damit weit hinter Malta, das mit 89 Prozent den ersten Platz im Ranking einnimmt. Die ausführliche Bewertung zur Situation in Deutschland findet ihr HIER.
Insbesondere bei der rechtlichen und politischen Situation von transsexuellen Menschen besteht Verbesserungsbedarf, wie Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* erklärt:
„Die Rainbow Map 2020 zeigt mit einem Blick, dass die Situation von trans* Personen in Deutschland nicht zufriedenstellend ist. Sie sind regelmäßig Benachteiligung im Alltag ausgesetzt und erfahren überdurchschnittlich häufig Gewalt. Im Recht und im Gesundheitssystem sind Begutachtungen und weitere Diskriminierungen an der Tagesordnung. Wir fordern die längst überfälligen gesetzlichen Neuregelungen, damit geschlechtliche Selbstbestimmung gelebt werden und Deutschland zu Ländern wie Malta oder Belgien aufschließen kann!“
Zur Verbesserung der rechtlichen und politischen Situation von LGBTI-Personen in Deutschland empfiehlt ILGA-Europe:
- Gewährleistung des verfassungsmäßigen Schutzes von LGBTI-Personen durch ausdrückliche Bezugnahme auf sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und Geschlechtsmerkmale.
- Entwicklung eines fairen, transparenten Rechtsrahmens für die rechtliche Anerkennung des Geschlechts auf der Grundlage eines Selbstbestimmungsprozesses und frei von missbräuchlichen Anforderungen (wie Sterilisation, GID/medizinische Diagnose oder chirurgische/medizinische Intervention).