Der Führer von Russlands Teilrepublik Tschetschenien soll an Corona erkrankt sein. Donnerstag wurde er Medien zufolge mit Lungenschäden in ein Moskauer Krankenhaus geflogen. Kadyrov ist für die massive Schwulenverfolgung in dem Land verantwortlich, die 2017 international bekannt wurde und seitdem aufs Schärfste verurteilt wird.
Berichte über die Verhaftung, Ermordung und Folter von Homosexuellen im Nordkaukasus kamen erstmals 2017 auf (wir berichteten). Auch Anfang 2019 schlugen Queeraktivisten aus Russland wieder Alarm: Trotz der öffentlichen Aufmerksamkeit sollen die als „gay purges“ bekannt gewordenen „Säuberungsaktionen“ nicht aufgehört haben (wir berichteten). Tschetschenien gilt daher seit Jahren als einer der queerfeindlichsten Orte der Welt.
Massiv verantwortlich für das Leid der Community in der russischen Teilrepublik soll Ramzan Kadyrov sein. Der tschetschenische Präsident bezeichnete die Hilferufe von Menschenrechtlern als Lügen – es gäbe gar keine Schwulen in dem Land, also könnten sie auch nicht ermordet werden. Er erklärte:
„Das ist Unsinn. Solche Leute haben wir hier nicht. Wir haben keine Schwulen. Wenn es welche gibt, bringen Sie sie nach Kanada. [...] Bringt sie weit weg von uns, damit wir sie zu Hause nicht haben. Wenn es hier welche gibt, nehmt sie mit, um unser Blut zu reinigen“.
Tschetschenien Gay Travel Index
Queerfeindlich, queerfeindlicher, Tschetschenien: Seit Jahren bildet das Land das Schlusslicht im Spartacus Gay Travel Index.
Medien berichten über ernste Erkrankung
Am Donnerstag gaben russische Medien bekannt, dass Kadyrov in ein Moskauer Krankenhaus geflogen wurde. Ein paar Tage zuvor habe er über grippeähnliche Symptomen geklagt. Laut der russischen Nachrichtenagentur Baza ist bereits seine Lunge beschädigt. Die Berichte wurden nicht von offizieller Stelle bestätigt. Baza hatte früh über die Corona-Erkrankung von Premierminister Mikhail Mishustin berichtet – was sich im Nachhinein als wahr herausstellte.
Seit Mittwoch wurde Kadyrov weder gesehen, noch wurden Neuigkeiten über seinen Gesundheitszustand bekannt. Am Dienstag soll er zuletzt auf seinem Telegram-Account online gewesen sein, sein Instagram-Account wurde letzte Woche gelöscht. Seine offizielle Seite im russischen Online-Netzwerk Vkontakte postet zwar weiterhin Updates, eine Erkrankung wurde jedoch nicht erwähnt.
Zwei tschetschenische Politiker bemühten sich am Freitag, die Gerüchte zu dementieren. Der Parlamentspräsident Magomed Daudow, der auch die Coronavirus-Task Force der Republik leitet, sagte auf Instagram, dass Kadyrov gesund sei und alle Gerüchte eine Lüge wären. Der Informationsminister Dzhambulat Umarov postete ein Zitat, das vom tschetschenischen Staatsoberhaupt stammen soll:
„Sie mögen es nicht, wenn ich schweigsam bin. Es ist nichts Persönliches. Ich schweige nur, wenn ich ... AM DENKEN bin“.
Kadyrov für Frieden in Russland mitverantwortlich?
Kadyrov gilt als unersetzlich für den Frieden im Nordkaukasus – eine Darstellung, die er selbst kräftig gefördert hat, nachdem er 2007 von seinem engen Verbündeten Vladimir Putin eingesetzt wurde, um einen schwelenden Aufstand in der Region zu unterdrücken. Während Kadyrovs Vater im ersten blutigen Tschetschenienkrieg in den 1990ern noch für die Unabhängigkeit der Teilrepublik kämpfte, setzte er sich im zweiten Krieg Anfang der 2000er für eine friedliche Lösung ein. 2004 wurde er von Rebellen getötet.
Die Menschenrechtsspezialistin Ekaterina Sokiryanskaya bezeichnete die tiefe Verbundenheit zwischen Putin und Ramzan Kadyrov als elementar für das derzeitige Verhältnis von Tschetschenien zu Russland – es sei eine Beziehung, die nicht einfach an einen anderen Führer vererbt werden könne, so Sokiryanskaya gegenüber der New York Times.
Foto: Kremlin.ru / CC BY 4.0 / wikimedia.org