Ungarn darf die Anerkennung des Geschlechts nicht rückwirkend verbieten, urteilte das ungarische Bundesverfassungsgericht. Am 12. März kassierte das Gericht eine im vergangenen Jahr eingeführte Zusatzbestimmung von Artikel 33, wonach das Verbot der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts in Dokumenten auch auf laufende Verfahren anzuwenden ist.
Im März letzten Jahres legte der stellvertretende Ministerpräsident Zsolt Semjén dem Parlament einen Gesetzesentwurf zur Aussetzung der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts vor (wir berichteten). Artikel 33 des Gesetzes nahm trans* und inter* Personen die Möglichkeit, ihr Geschlecht und ihren Namen in offiziellen Dokumenten ändern zu lassen. Transgender sind seither per Gesetz gezwungen, Dokumente zu verwenden, die nicht ihre Geschlechtsidentität und/oder ihren Geschlechtsausdruck widerspiegeln (wir berichteten).
Darüber hinaus enthält Artikel 33 die Bestimmung, dass die neue Regelung auch auf laufende Verfahren anzuwenden ist. Ein besonders problematischer Zusatz, da viele trans* Personen seit Jahren auf die Bearbeitung ihrer Anträge zur Anerkennung ihres Geschlechts warteten. All diese Anträge wurden nach Inkrafttreten des Artikel 33 von den Behörden unter Berufung auf die neuen Rechtsvorschriften abgelehnt.
Ein kleiner Erfolg ...
Dutzende Antragsteller*innen wollten sich das nicht gefallen lassen und klagten mithilfe der Háttér Gesellschaft und des Ungarischen Helsinki-Komitees gegen die Ablehnungsbescheide. Im Dezember 2020 gab ihnen das Gericht in Miskolc recht und forderte das Bundesverfassungsgericht auf, die Bestimmung, nach der das Gesetz auf bereits laufende Verfahren anzuwenden ist, für verfassungswidrig zu erklären.
Wie die Háttér Gesellschaft auf ihrer Webseite mitteilte, stimmte das Bundesverfassungsgericht den Kläger*innen und dem Gericht in Miskolc nun zu. In einer am 12. März veröffentlichten Entscheidung hob das Gericht die entsprechende Bestimmung auf. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts
„darf der Staat im Rahmen seiner Pflicht zum Schutz der Institutionen keinen verfahrensrechtlichen Rahmen schaffen, der ein durch das Grundgesetz garantiertes Recht in einer dem Grundgesetz widersprechenden Weise einschränkt“.
Außerdem verwies das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf eine Entscheidung aus dem Jahr 2018, in der die Möglichkeit einer Änderung von Geschlecht und Namen als uneingeschränktes Grundrecht von trans* Personen beschrieben wurde.
... mit großem Potenzial
Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist Artikel 33 nicht vollständig beseitigt, denn der Antrag des Gerichts Miskolc – und damit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – hat nur für laufende Verfahren Gültigkeit. Personen, die noch keinen Antrag gestellt haben, können daher nicht auf eine rechtliche Anerkennung ihres Geschlechts hoffen.
Die Háttér Gesellschaft kündigte aber bereits an, weiter dafür zu kämpfen, dass Artikel 33 für verfassungswidrig erklärt wird.
„Der Kampf endet nicht hier: Unser nächster Schritt ist, die Anerkennung nicht nur denjenigen, die vorher einen Antrag gestellt haben, zu ermöglichen, sondern allen trans Menschen.“