Mitarbeiter*innen von Disneys erfolgreicher Animationssparte Pixar üben Kritik am Schweigen des Disney-Konzerns zum „Donʼt Say Gay“-Gesetz. Außerdem soll Disney LGBTIQ*-Inhalte aus Pixar-Produktionen entfernt haben. Disney-Chef Bob Chapek gerät in Erklärungsnot.
„Nahezu jeder Moment offenkundiger schwuler Zuneigung wird auf Geheiß Disneys herausgeschnitten, ungeachtet der Proteste sowohl der Kreativteams als auch der Pixar-Führungsriege“, heißt es in einem Brief an die Geschäftsführung, unterschrieben von „den LGBTQIA+-Mitarbeitern von Pixar und ihren Verbündeten“.
„Wir bei Pixar haben persönlich wunderschöne Geschichten voller unterschiedlicher Charaktere miterlebt, die, nachdem sie von Disney-Unternehmensbewertungen zurückgekommen sind, zu Krümel dessen zerfallen sind, was sie einmal waren.“
Die Strategie von Disney und Pixar sei ausgesprochen homofeindlich, kritisierten die Mitarbeiter*innen in dem offenen Brief, den Journalist Judd Legum auf Twitter veröffentlichte. Die Pixar Animation Studios gehören seit 2006 zur Abteilung Walt Disney Motion Pictures Group der Walt Disney Company.
Förderte Disney das „Donʼt Say Gay“-Gesetz?
Die Anschuldigung von Pixar-Mitarbeiter*innen kommt, nachdem sich das Unternehmen lange geweigert hatte, öffentlich gegen das umstrittene „Donʼt Say Gay“-Gesetz in Florida Stellung zu beziehen. Das inzwischen verabschiedete Gesetz (männer* berichtete) verbietet, über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität „in einer Weise zu unterrichten, die nicht alters- oder entwicklungsgemäß für Schüler“ ist, und betrifft Kinder vom Kindergarten bis zur dritten Klasse. Durch die Formulierung ist aber nicht ausgeschlossen, dass es nicht auch auf ältere Kinder angewendet werden könnte. Darüber hinaus gibt das Gesetz Eltern die Möglichkeit, gerichtlich gegen Lehrer*innen vorgehen, wenn diese über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sprechen.
➡️ Mehr im Artikel „Don’t Say Gay“-Schulgesetz in Florida
Der Vorwurf der Pixar-LGBTIQ*s: Disney soll allen Politiker*innen, die den Entwurf unterstützten, Geld gespendet haben. In den letzten zwei Jahren sollen insgesamt 300.000 Dollar an 68 Politiker*innen in Florida geflossen sein.
Warme Worthülsen
Laut Variety hatte Disney in der letzten Woche folgende Erklärung abgegeben: „Der größte Einfluss, den wir bei der Schaffung einer integrativeren Welt haben können, liegt in den inspirierenden Inhalten, die wir produzieren, der Willkommenskultur, die wir hier schaffen, und den vielfältigen Gemeinschaftsorganisationen, die wir unterstützen, einschließlich derer, die die LGBTQ+-Community repräsentieren.“ Das empfanden die Beschäftigten als nicht ausreichend, ob der unterstellten Eingriffe in die Storylines der Pixar-Geschichten sogar verlogen. Sie fordern, dass der Konzern sich ausdrücklich von der diskriminierenden Gesetzgebung distanziert.
Foto: Alberto E. Rodriguez / Getty Images / AFP
Alan Bergman, Vorsitzender Disney Studios Content (l) und Bob Chapek, CEO Disney (r)
Disney-Chef Bob Chapek drückte nach den Vorwürfen in einer E-Mail an seine Mitarbeiter*innen demonstrativ seine Unterstützung für die LGBTIQ*-Community aus. In der von Variety veröffentlichte E-Mail schreibt Chapek, er möchte nicht, „dass jemand das Fehlen einer Erklärung mit mangelnder Unterstützung verwechselt. Wir alle teilen das gleiche Ziel einer toleranteren, respektvolleren Welt.
Wo wir uns vielleicht unterscheiden, ist die Taktik, um dorthin zu gelangen.“
In dem Memo vom Montag versuchte Chapek das politische Engagement des Konzerns zu relativieren: „Obwohl wir keinem Politiker aufgrund dieses Themas Geld gegeben haben, haben wir sowohl republikanischen als auch demokratischen Gesetzgebern einen Beitrag geleistet, die anschließend auf beiden Seiten der Gesetzgebung Stellung bezogen haben.“
Disney und Queers: eine schwierige Familie
Obwohl in den letzten Jahren durchaus queer zu lesende Charaktere in Disney-Produktionen den Status skurriler Sidekicks hinter sich lassen konnten und Profil zeigen durften, ist es noch ein langer Weg bis zu einer der gesellschaftlichen Struktur entsprechenden Repräsentation von LGBTIQ* in den Filmen und Serien der Megatraumfabrik. Der Konzern befindet sich alleine durch seine schiere Größe zwar einerseits in einer komfortablen Marktführerrolle und könnte – wie zum Beispiel Netflix – einfach mit leuchtendem Beispiel Fakten schaffen, tut dies aber bisher nicht. Oder schafft er sie doch? Der von Republikanern, Trump, Evangelikalen und sonstigen Erzkonservativen vorangetriebene Kulturkampf um die Deutungshoheit über den Begriff Familie, hat bereits eine tiefe Spaltung der Gesellschaft auf dem amerikanischen Heimatmarkt erzeugt. Dazu kommt die Queerfeindlichkeit auf dem zweitgrößten Absatzmarkt für Disneys Werke, China.
FOTO: Cornelia Menichelli / www.pixelio.de
Pottcast
➡️ Podcast-Tipp: Jenny Jecke (Stellvertretende Chefredakteurin Moviepilot) im Gespräch mit Massimo Maio (Deutschlandfunk Kultur)
Wohin Bob Chapek Disney letztlich führen wird, ist zurzeit nicht eindeutig vorauszusehen. Dass seine Belegschaft die Familie liberal und divers begreift, wird er in den vergangenen Tagen jedenfalls begriffen haben. An den Börsen dürfte das gestörte Familienverhältnis im Hause Disney ebenfalls nicht zur Erholung beitragen. Der Aktienkurs sank in den letzten zwölf Monaten um rund 35 Prozent.