Mit Regenbogenfahnen und „OneLove“-Armbinden haben WM-Fans gegen die Anti-LGBTIQ*-Politik des Gastgeber Katar protestiert. Queere Araber*innen befürchten nun, der westliche Solidaritätsschub könnte einen gegenteiligen Effekt haben.
LGBTIQ*-Rechte in Katar – in dem Homosexualität illegal ist – und die Bedenken über die Verwendung der Regenbogenflagge während der Weltmeisterschaft waren im Vorfeld des internationalen Turniers, das am 20. November begann, ein schwelendes Thema. Die Kapitäne von sieben europäischen Fußballmannschaften hatten geplant, im Rahmen einer Kampagne zur Förderung der Vielfalt Armbinden mit dem Regenbogenmotiv „OneLove“ zu tragen, machten aber nach der Androhung von Disziplinarmaßnahmen durch die FIFA einen Rückzieher (männer* berichtete).
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All diese Solidaritätsbekundungen und Gesten gegen die Anti-LGBTIQ*-Politik haben eine Welle der Homophobie in der Golfregion ausgelöst, darüber sind sich Aktivisten und Mitglieder der Community einig. Denn für Menschen, die sich auf Diskretion verlassen müssen, um zu überleben, sind mit dieser Aufmerksamkeit neue Gefahren einhergegangen.
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Das Wappen von Wales, eingebettet in eine Regenbogenfahne.
„Sie [die westlichen Kampagnen] machen den Leuten eine Menge kaputt“, sagt etwa ein 32-jähriger Unternehmer aus dem benachbarten Golfstaat Bahrain, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will. „Ich verstecke nicht unbedingt, wer ich bin, aber ich laufe auch nicht mit einer Regenbogenflagge herum.“ Der gut gemeinte Einsatz für LGBTIQ*-Rechte habe viele Menschen in Bedrängnis gebracht, ist sich der Unternehmer sicher. „Niemand aus der Queer-Community hier wurde jemals nach seiner Meinung gefragt, was die Regenbogenflagge bewirken könnte“, sagte er.
„Es ist nicht schön, im Geheimen zu leben, aber es ist auch nicht schön, im Rampenlicht zu stehen“, so der Unternehmer, der sich Sorgen um die Zukunft macht. „Die Weltmeisterschaft wird zu Ende gehen, die FIFA wird abreisen, der Hass aber wird weitergehen“.
„Viel ruiniert“
Der Konflikt rund um die One-Love-Binde ist nur das jüngste Beispiel für das, was westliche LGBTIQ*-Initiativen in der mehrheitlich muslimischen Region, in der queere Menschen – Bürger*innen und Expats gleichermaßen – es vorziehen, im Verborgenen zu bleiben, auslösen können.
Als die US-Botschaften in Bahrain, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten die Regenbogenflagge hissten und anlässlich des Pride-Monats Solidaritätsbotschaften in den sozialen Medien posteten, sah sich der bahrainische Unternehmer mit einer scharfen Gegenreaktion konfrontiert. Behörden in der gesamten Golfregion gingen verstärkt gegen das vor, was sie als Versuche der Förderung von Homosexualität ansahen.
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Regenbogenfahne vor der US-Botschaft in Manama, der Hauptstadt Bahrains.
In Bahrain wurden Plakate aufgehängt, auf denen die Silhouette einer Familie unter einem Regenschirm zu sehen ist, die Schutz sucht, während eine Regenbogenflagge wie ein Wolkenbruch über sie hinwegfegt. Hollywood-Produktionen wie Disneys „Lightyear“ wurden aus den Kinos mehrerer Golfstaaten verbannt, weil sie angeblich gleichgeschlechtliche Beziehungen fördern. Behörden in Katar und Saudi-Arabien beschlagnahmten Spielzeug und Kleidung in Regenbogenfarben (männer* berichtete).
„Verpasste Gelegenheit“
„Religion ist am Golf nach wie vor von zentraler Bedeutung, auch wenn einige Gesetze und soziale Beschränkungen gelockert wurden“, erklärte die saudische Forscherin Eman Alhussein, die am Institut für die arabischen Golfstaaten in Washington arbeitet, gegenüber AFP. „Da viele Bürger der Golfstaaten nach wie vor konservativ sind, wird die Aufrechterhaltung einiger Grenzen als entscheidend angesehen, um allen Teilen der Gesellschaft gerecht zu werden.“
Die wachsende Kritik des Westens an der Anti-LGBTIQ*-Politik habe in der Region „keine Veränderungen bewirkt und wird dies wahrscheinlich auch nicht tun, zumindest nicht kurzfristig“, ist sich Alhussein sicher. „Die LGBTIQ*-Thematik wird wahrscheinlich nicht so bald zur Debatte stehen.“
Tarek Zeidan, Geschäftsführer der im Libanon ansässigen Helem – der ersten offiziell registrierten LGBTIQ*-Organisation in der arabischen Welt – beklagt eine „verpasste Gelegenheit“, positive Veränderungen in der Region zu bewirken.
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Tarek Zeidan, Geschäftsführer der LGBTIQ*-Organisation Helem im Libanon
„Ganz klar müssen wir [...] über Menschenrechte sprechen“, betont Zeidan in einem Interview mit GiveOut, das auf YouTube zu sehen ist. Aber „wenn Ihnen die Menschenrechte am Herzen liegen, sollten Sie die Stimmen der Menschen erheben, die tatsächlich Opfer von Gewalt sind“. Stattdessen aber habe man sich für Pride-Flaggen und die Sicherheit anreisender queerer Fans interessiert, so Zeidan.
Diese überwältigende Aufmerksamkeit für das, was er als „westliche Empörung“ bezeichnet, habe im Vorfeld der WM zu einer „Verhärtung der Fronten“ geführt. Den Preis dafür zahle letztlich die LGBTIQ*-Community. „Die Gegenreaktion wird wahrscheinlich sehr, sehr hart, wenn nicht tödlich sein“, sagte der Aktivist. „Die kommenden Jahre werden für LGBTQ-Menschen in der Region extrem hart werden.“ *AFP/sah