Im Januar sorgte ein Seminar zu LGBTIQ*-Themen in der Bundeswehr für großes Medienaufsehen. Setzt die Verteidigungsministerin falsche Akzente? Sind das wirklich die Probleme der Bundeswehr zu tun? Wir trafen uns mit Frau Dr. von der Leyen und fragten nach.
Foto: Bundeswehr
Ursula von der Leyen
Gibt es einen bestimmten Grund, einen Anlass, warum Sie das Thema sexuelle Identität in der Bundeswehr zur Chefsache gemacht haben?
Meine Berufs- und Lebenserfahrung steht dahinter. Ich bin ja, bevor ich Verteidigungsministerin wurde, Arbeitsministerin gewesen. Dort habe ich sehr genau beobachten können, wie sich der international hoch erfolgreiche deutsche Mittelstand aufstellt und das Prinzip der Vielfalt als Stärke erkannt hat. Weil er genau weiß, dass er im internationalen Wettbewerb nur bestehen kann, wenn er unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen integriert. Die entscheidende Frage ist doch, welche Fähigkeiten und Talente jemand einbringt. Nicht, wen er liebt. Soldatsein ist kein Beruf wie jeder andere, aber Menschen entfalten nur dann ihr ganzes Können, wenn sie sich respektiert und angenommen fühlen. Die Bundeswehr hat eine Viertelmillion Beschäftigte, die ihr Bestes für ihr Land geben wollen. Ob sie nun als Soldaten oder Zivilbeschäftigte bei uns arbeiten: Sie haben unterschiedliche Geschlechter, unterschiedliche sexuelle Orientierungen, Biografien oder Religionen. Aber sie haben eines gemeinsam, sie schützen uns und unser Land. Deshalb ist mir dieses Thema so wichtig.
Sie bezeichneten homophobe Vorkommnisse in Ihrer Rede als ein „bestürzendes Zeichen für einen Mangel an Führung, an Haltung, an Kultur.“ Können Sie das noch etwas genauer erläutern, wen haben Sie damit angesprochen?
Weil die große Mehrheit der Truppe einen tadellosen Dienst leistet und kameradschaftlich miteinander umgeht, ist es umso wichtiger, einige gravierende Vorkommnisse – von Schikanen bei der Ausbildung bis hin zu rechtsextremen Umtrieben – zu ahnden. Solche Verhaltensweisen dulden wir in der Bundeswehr nicht. Die Bundeswehr legt auch wegen unserer deutschen Geschichte großen Wert auf gute Führung und Kameradschaft, auf Respekt vor der Würde des Menschen.
Foto: BUNDESWEHR/HANNEMANN
Ursula von der Leyen
War das denn vorher nicht so?
Die Bedeutung der Inneren Führung und der Respekt vor dem Einzelnen sind Werte, die die Bundeswehr von Beginn an begleiten. Die Aufgaben der Bundeswehr haben sich in sechzig Jahren geändert, die Gesellschaft hat sich geändert. Aber Werte bleiben zeitlos. Um sie lebendig zu halten, muss jede Gesellschaft, aber auch jede Organisation, sich immer wieder selber überprüfen. Wir in der Bundeswehr müssen uns etwa vergewissern: Was ist angemessene militärische Härte in der Ausbildung? Die muss sein. Und wo fängt Schikane an? Was ist noch erlaubte Meinungsvielfalt, die wir in demokratischen Streitkräften tolerieren? Und wo ist die Grenze zum Extremismus überschritten? Wir kennen es doch alle, wie im Familienleben, das gute Zusammenleben und die Regeln müssen immer wieder erneuert werden. Das ist nie fertig. Wir erleben diesen Prozess ja auch gerade in unserer Demokratie.
Was meinen Sie?
Wir sind über Jahrzehnte selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dass die Grundwerte der Freiheit garantiert sind. Nun erleben wir in diesen Zeiten, dass wir alle wieder aufstehen und uns für gelebte Demokratie und ein einiges Europa einsetzen müssen. Ich bin aber überzeugt, dass wir gestärkt aus dieser Zeit herausgehen.
Sehen Sie sich als heterosexuelle Frau in einem männerdominierten Umfeld ganz besonders als „Straight Ally“, als Verbündete im Kampf gegen Diskriminierung? Gibt es Parallelen zwischen dem Kampf um Gleichberechtigung bei Frauen und dem Kampf gegen Diskriminierung sexueller Minderheiten?
Direkte Parallelen, nein. Ich weiß aber, wie Ausgrenzung schmerzen kann. Als ich ganz junge Ärztin war und gerade fertig mit dem Medizinstudium, kam ziemlich rasch das erste Kind. Für mich war klar, ich will mich liebevoll um mein Kind kümmern und meinen wunderbaren Beruf ausüben. Das Signal, das ich zunächst am Arbeitsplatz bekommen habe, war eindeutig: Mit Kind stellen wir dich an die Seite, Karriere machst du bei uns nicht mehr. Diese frühen Erfahrungen behält man im Gedächtnis. Ich habe auch nicht vergessen, wie das lähmt. Mein Mann und ich sind dann später schon mit drei Kindern in die USA gezogen. Dort war die Haltung eine ganz andere. Wir wurden angenommen als Familie mit zwei Elternteilen, die selbstverständlich gleichberechtigt zum Lebensunterhalt beitragen. Ich habe bemerkt, wie das beflügelt, wenn plötzlich Türen offenstehen. Ich habe mich in der Bundeswehr als Frau schnell akzeptiert gefühlt. Wie in anderen Organisationen ist entscheidend, was die Führung vorlebt. Man muss zeigen, dass Gleichstellung ein Thema ist, das einem wichtig ist. Deshalb setze ich so konsequent Akzente. Auch der LGBT-Kongress war ganz bewusst dazu gedacht, deutlich zu machen: Die Führung der Bundeswehr ist offen, ihr seid bei uns willkommen.
Wie wollen sie das Thema weiter vertiefen? Haben Sie auch vor, im Bereich der queeren Szene gezielt um Rekruten zu werben?
Die Bundeswehr wirbt wie alle anderen auch auf breiter Linie um Fachkräfte. Da stehen Können und Motivation an erster Stelle. Ansonsten machen wir keine Unterschiede. Ich habe aber eine Stabsstelle für Chancengleichheit, Vielfalt und gegen Diskriminierung eingerichtet. Ein offenes Ohr für Probleme zu haben und einen Hebel, Projekte und Initiativen umzusetzen, ist in einer Großorganisation enorm wichtig. Ich habe eben meine Erfahrungen als junge Frau geschildert, Sie kennen Erfahrungen als homosexueller Mann, aber es gibt noch viele andere, die erlebt haben, wie plötzlich Hürden auftauchten. Die Angehörigen der Bundeswehr sollen merken, dass solche Unterschiede bei uns keine Rolle spielen, sondern dass wir schätzen, was jeder Einzelne beitragen kann.
Sie kündigten eine wissenschaftliche Aufarbeitung von Diskriminierung in der Bundeswehr an und sprachen von einem pauschalisierten Ausgleich für erlittene Nachteile. Können Sie schon genauer sagen, was Ihnen vorschwebt?
Es ist noch nie systematisch analysiert worden, wie wir in der Vergangenheit mit dem Thema umgegangen sind. Wir haben in der Vorbereitung zum Kongress versucht, Beispiele aus der Vergangenheit zu finden, die wir präsentieren können. Da haben wir gemerkt, wie schwer das ist. Deshalb ist diese Studie so wichtig, die akribisch die Zeit zwischen 1955 und 2002 aufbereiten soll, denn ganz oft war der offizielle Entlassungsgrund, wenn jemand sich outete oder geoutet wurde, ein ganz anderer. Gesundheitliche Gründe oder Ähnliches. Es ist darum für uns sehr schwer, die Wahrheit aus den Akten herauszulesen. Die sprechen gar nicht über Homosexualität. Deshalb muss man Menschen daran setzen, die Spuren aufnehmen, um dann die korrekten Geschichten erzählen zu können. Im Anschluss muss man überlegen, für festgestelltes Unrecht eine Art pauschalen Ausgleich zu leisten – aber ich brauche erst einmal eine Grundlage.
Foto: Bundeswehr
Ursula von der Leyen
Wie gehen Sie mit Kritik an dem Seminar um? Selbst aus den Reihen der SPD wurde Ihnen vorgeworfen, „verfehlte Prioritäten“ zu setzen.
Die diskutierten Themen betreffen mehrere tausend Menschen in der Bundeswehr, die sich genauso tapfer für ihr Land einsetzen wie alle anderen. Ich habe nicht verstanden, warum die SPD ihnen die kalte Schulter zeigt. Es ist aber auch ein Gebot der Klugheit, sich für Vielfalt einzusetzen. Das Parlament schickt die Bundeswehr in schwere Einsätze. Dafür müssen wir sie gut ausstatten und die Truppe sorgfältig ausbilden. Ein wichtiger Faktor ist Sensibilität für die Bedürfnisse anderer Menschen. Wir haben Einsätze in Ländern, in denen Homosexuelle verfolgt und hingerichtet werden, in denen der Kampf zwischen Modernisierung der Gesellschaft und archaischen Strukturen ausgetragen wird. Unsere Soldatinnen und Soldaten und Zivilbeschäftigte sind sensibel und verstehen, wie sie mit kulturellen Gegebenheiten und Bedürfnissen der Bevölkerung vor Ort umgehen. Darum ist es ein Vorteil, Menschen mit unterschiedlichen Biografien in unseren Reihen zu haben. Sie bringen ihre Erfahrungen, Perspektiven und Kenntnisse ein. Das verbreitert nicht nur das Lagebild. Es ermöglicht der Truppe im Einsatz auch ganz anders umzugehen mit Menschen, die sie schützen soll.
Wie stehen Sie persönlich zur Öffnung der Ehe für Homosexuelle?
Meine Einstellung speist sich auch aus meiner Lebenserfahrung. Gesellschaften entwickeln sich weiter. Das kann ich in meiner eigenen, sehr großen und sehr konservativen Familie sehen. Ich habe einen homosexuellen Neffen und werde nie vergessen, wie er uns seinen Lebenspartner vorstellte. Meine hochbetagten Tanten freuten sich und sagten: Wie schön, dass der Junge jemanden gefunden hat, mit dem er den Rest seines Lebens verbringen möchte. Das hat mir gezeigt, wie sehr wir uns weiterentwickelt haben. Es geht um Werte, um Treue, um füreinander Sorgen und Einstehen. So etwas hat doch gerade in unserer schnelllebigen Zeit einen ganz hohen Wert. Es ist etwas Kostbares, und ich wünsche mir, dass diese Entwicklung fortschreitet. Deswegen habe ich auch im Bundestag für die Ehe für alle gestimmt.
*Interview: Christian Knuth