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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Reformierter Christ), Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, und Bodo Ramelow, Thüringens Ministerpräsident (Protestant / EKD) auf dem Deutschen Katholikentag am 29. Mai 2024 in Erfurt
Das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) hat anlässlich des 30. Jahrestags der Abschaffung des Paragrafen 175 seine Mitschuld an der Diskriminierung von Homosexuellen bedauert. „Verurteilte Männer und jene, die des homosexuellen Lebens beschuldigt wurden, aber auch lesbische Frauen wurden an kirchlichem Engagement und beruflicher Tätigkeit in der Kirche gehindert,“ sagte die ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp in Berlin.
Paragraf 175 stellte bis 1969 sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern unter Strafe. Die vollständige Streichung des Gesetzes erfolgte erst 1994. „Die Vergangenheit lässt sich nicht ungeschehen machen, umso wichtiger ist es, die Abschaffung des Strafrechtsparagrafen 175 zu würdigen“, betonte Stetter-Karp.
„Ein sicherer Ort für queere Menschen”
Auch 30 Jahre nach der Abschaffung des Paragrafen 175 sei es wichtig und notwendig, dass Christen sich entschieden gegen Queerfeindlichkeit einsetzten. „Wir alle müssen daran mitwirken, dass die Kirche ein sicherer und heimatlicher Ort für queere Menschen ist“, so Stetter-Karp weiter.
46,7 Prozent der Deutschen waren 2022 Mitglied einer der beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften. Prognosen der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) sehen die Säkularen noch in diesem Jahrzehnt in der absoluten Mehrheit.
Quelle Daten: Wikipedia
Theologe Heek: Ein Skandal, der thematisiert werden muss
Für den Theologen Andreas Heek ist es ein Skandal, dass es den Paragrafen 175 überhaupt so lange gab. „Seine Abschaffung wurde von der katholischen Kirche nahezu still übergangen“, kritisierte Heek in einem Interview auf der Plattform katholisch.de.
Heek ist Geschäftsführer des Forums katholischer Männer (FkM). Der FkM ist Mitglied im Zentralkomitee und hatte bei der Frühjahrsvollversammlung des Dachverbandes eine Beschlussvorlage zu dem Thema eingebracht. Unter Federführung der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn soll eine Studie initiiert werden zur Erforschung der Beteiligung der katholischen Kirche an der Aufrechterhaltung des Strafrechtsparagrafen 175.
Die Geschichte der Verfolgung von anders Liebenden in Deutschland und der beschwerliche Weg der Aufarbeitung bis heute. Emotional, vielschichtig und lebendig:
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AIDS und die Selbstorganisation Homosexueller: Wendepunkte im Umgang der Kirche mit Homosexualität
Beim Umgang der katholischen Kirche mit Homosexualität hat laut Heek die Ausbreitung von AIDS in den 1980er-Jahren eine wichtige Rolle gespielt. „Die Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger auf den AIDS-Stationen waren damals die ersten Homosexuellen-Seelsorger“, sagte Heek. „Sie haben sich an die Betten der sterbenden Männer gesetzt und ihnen beigestanden, sofern diese das wollten.“ Diese Seelsorger seien „die ersten, die wirklich gezeigt haben, dass sie an der Seite von Homosexuellen stehen“.
Ein weiterer entscheidender Punkt war die Selbstorganisation von Homosexuellen. „Sie haben immer wieder versucht, mit der Kirche in Kontakt zu treten. Sie haben nicht nachgelassen in dem Wunsch, eigene Gottesdienste zu feiern, sich selbst zu vergewissern – und hatten in einigen Diözesen teilweise auch Erfolg“, so Heek weiter. Dadurch seien auch die Laienverbände nachdenklich geworden.
Beispiele der Selbstorganisation: HuK und #OutinChurch
Die Selbstorganisation von Homosexuellen hat eine entscheidende Rolle bei der Veränderung der Haltung in der deutschen katholischen Kirche gespielt. Die Ökumenische Initiative „Homosexuelle und Kirche“ (HuK) kämpft seit den 1970er-Jahren für die Anerkennung und Akzeptanz von Homosexuellen in der Kirche. Trotz erheblicher Widerstände hat HuK durch beharrliches Engagement und öffentliche Aktionen immer wieder auf die Diskriminierung hingewiesen und Erfolge erzielt. Dass HuK bis in die 1990er-Jahre von Katholikentagen ausgeschlossen wurde, zeigt die tief verwurzelte Homophobie innerhalb der Kirche.
Ein junges Beispiel ist die Initiative #OutinChurch. Diese Bewegung, die von mutigen LGBTIQ* innerhalb der deutschen katholischen Kirche ins Leben gerufen wurde, fordert die völlige Akzeptanz und Gleichstellung queerer Menschen. #OutinChurch hat durch Coming-Out-Aktionen und öffentliche Statements viel Aufmerksamkeit erregt und die Diskussion über die Rolle von LGBTIQ* in der katholischen Kirche in Deutschland intensiviert. Durch beharrlichen Einsatz und öffentliche Sichtbarkeit haben sie erreicht, dass Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der sexuellen Orientierung in Einrichtungen der katholischen Kirche nicht mehr erlaubt sein soll. Auch sind Segnungen homosexueller Paare inzwischen in vielen Diözesen möglich. Auch der Papst äußerte sich diesbezüglich zustimmend (m* Bericht).
Kritische Bewertung
Foto: Andreas Solaro / AFP
Würde vielleicht und könnte vielleicht und bleibt in letzter Konsequenz doch nur ein Mensch im Erfolgssystem: Papst Franziskus
Obwohl Initiativen wie HuK und #OutinChurch Fortschritte erzielt haben, bleibt die katholische Kirche als Institution meist hinter den Erwartungen der Laien zurück. Die Selbstorganisation dieser Gruppen ist bewundernswert und hat unbestreitbar positive Veränderungen angestoßen, doch die institutionelle Trägheit und die tief verwurzelte Homophobie als Doktrin in der Kirche stellen nach wie vor erhebliche Hindernisse dar. Für viele LGBTIQ* sind Diskriminierung und Ausgrenzung weiterhin an der Tagesordnung. Selbst beim Papst ist eher Ambivalenz denn Fortschritt zu beobachten (m* Dossier Papst).
A. d. R.: Wenn in Zitaten Kirche genannt ist, ist die Römisch Katholische Kirche gemeint
Quellen:
https://www.evangelische-zeitung.de/theologe-aids-brachte-wende-im-umgang-mit-homosexualitaet
https://www.evangelische-zeitung.de/katholiken-sehen-mitschuld-bei-diskriminierung-homosexueller