Die Fachstelle für LSBTI* Geflüchtete der Schwulenberatung Berlin hat bei der Rechtsanwältin Juliane Linke eine rechtliche Expertise zum Thema „Bisexualität als Fluchtgrund“ in Auftrag gegeben, die kurz vor dem Jahreswechsel erschienen ist.
Bisexualität als „Wünsch Dir was“-Orientierung
Regelmäßig musste die Schwulenberatung Berlin in den letzten Jahren laut Pressemitteilung die Erfahrung machen, dass bisexuelle oder pansexuelle Geflüchtete mit spezifischen Problemen während des Asylprozesses konfrontiert wurden. Von Entscheider*innen wird Bisexualität demnach mitunter als eine Zusammensetzung aus Hetero- und Homosexualität missverstanden, zwischen denen die Betroffenen wählen könnten.
„Wird ein Antragsteller weiterhin freiwillig und aus eigenem Entschluss diskret leben, ist davon auszugehen, dass er diesen Lebensstil für sich akzeptiert. Flüchtlingsschutz kann unter diesen Voraussetzungen ausnahmsweise nicht festgestellt werden.“
Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Dienstanweisung- Asyl
Diskret leben statt Asyl
Gerichte haben in der Vergangenheit bisexuelle Personen darauf verwiesen, im Herkunftsland weiterhin ihren heterosexuellen Persönlichkeitsanteil ausleben zu können. Auf das Ausleben ihres homosexuellen Persönlichkeitsanteils könnten sie dagegen verzichten bzw. diesen geheim halten. So ist noch 2019 in einer Ausgangsentscheidung des Verwaltungsgerichts München zu lesen:
„Unter Berücksichtigung dessen, dass der Kläger bisexuell ist, ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass es dem Kläger nicht möglich ist, seine homosexuelle Veranlagung in der Öffentlichkeit zu verbergen und es ihm besonders wichtig ist, diese zu leben und zu zeigen. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger abgesehen von der Eheschließung im Bundesgebiet wichtig ist, mit seinem Mann zusammen zu wohnen und homosexuelle Verhaltensweise in der Öffentlichkeit zu zeigen. […] Die Tatsache, dass der Kläger Vater einer kleinen Tochter ist, zeigt vielmehr, dass er keine ausschließliche Prägung durch die Homosexualität hat und diese unschwer in der Öffentlichkeit verbergen kann. Der Kläger hatte offenbar nach seiner Rückkehr nach Deutschland eine Lebenspartnerschaft mit einer Frau, mit der er ein Kind hat. Bereits deshalb fehlt es an dem Tatbestandsmerkmal, dass eine relevante Rechtsgutsverletzung des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.“
Quelle: Vgl. Loeffl, Nicht homosexuell genug? Bisexuelle Geflüchtete im Asylverfahren (21. Januar 2021)
Diese Argumentation hat das Bundesverfassungsgericht zwar mittlerweile zurückgewiesen und auch der Europäische Gerichtshof hat bereits 2013 geurteilt, dass
„bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft […] die zuständigen Behörden vernünftigerweise [bzw. billigerweise] nicht erwarten [können], dass der Asylbewerber, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden, im Herkunftsland seine Homosexualität geheim hält oder seine sexuelle Orientierung nur zurückhaltend zum Ausdruck bringt“.
männer* berichtete HIER
Dennoch sind laut Expertise immer wieder indirekte Diskretionsverweise zu beobachten.
„Bisexualität wird damit eine Eigenständigkeit als sexueller Orientierung aberkannt und zu einem Lifestyle-Anhängsel von Heterosexualität degradiert. Neben einer klischeehaften und diskriminierenden Zuschreibung hat dies für bisexuelle Geflüchtete existenzielle Folgen. Denn Verfolger machen diese Unterscheidung im Zweifelsfall nicht, sondern bestrafen jegliche Abweichung von heteronormativen Lebensweisen.“
Stephan Jäkel, Schwulenberatung Berlin
Daher war es laut Schwulenberatung notwendig, den Themenkomplex mit einer rechtlichen Expertise behandeln zu lassen, die nun zum Download bereit steht.