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Originalartikel vom 23. November 2021
Homophobe Gewalt: Hamburg setzt Zeichen, Ex-Bürgermeister muss als Kanzler liefern
Für den 24. November plant ein breites gesellschaftliches Bündnis in Hamburg eine Protestaktion auf dem Spielbudenplatz und im queeren Ausgeh- und Wohnviertel St. Pauli. Auch der Zweitligist FC. St. Pauli wird Regenbogen zeigen.
Foto: J. Blum
WunderBar
Die WunderBar ist auch als Hamburgs queeres Wohnzimmer bekannt
Vor gut vier Wochen erschütterte laut Initiatoren der Aktion „Der Kiez ist bunt“ ein Vorfall vor der beliebten WunderBar die Öffentlichkeit und große Teile der LGBTIQ*-Community: Aus heiterem Himmel schlugen demnach zwei Passanten vor dem Lokal minutenlang auf zwei friedliche Gäste der dort stattfindenden Halloween-Party ein. Mittlerweile qualifiziert auch die Polizei die Tat als einen Akt von Homophobie – der Staatsschutz ermittelt. Die WunderBar-Macher klagen an:
„Anhand vieler Reaktionen unserer Gäste stellen wir fest: Gewalt gegen Schwule ist wieder ein Thema. In den Wochen vor dem Ereignis kam es im Bereich der Reeperbahn zu weiteren schweren Körperverletzungen wegen der sexuellen Orientierung der Opfer. Im Stadtpark ereigneten sich in der jüngsten Vergangenheit regelrechte Hetzjagden mit dem Auto gegen schwule Männer.“
Bundesweit kam es 2020 zu 782 Straftaten von Hasskriminalität gegenüber queere Menschen, ein Anstieg von 36% gegenüber dem Vorjahr – die Berliner Polizei schätzt die Dunkelziffer auf 80 bis 90 Prozent. Berlin ist dabei auch das einzige Bundesland, dass eine konsequente Statistik führt und die Dunkelziffer durch präventive und offensive Antigewaltkampagnen senken konnte.
Regenbogenbeflaggung soll Aufmerksamkeit erzeugen
Am 24. November will die WunderBar gemeinsam mit Hamburg Pride e.V., dem Lesben- und Schwulenverband Hamburg (LSVD), der AIDS-Hilfe, dem St. Pauli Pastor Sieghard Wilm und dem schwulen Checkpoint Hein & Fiete ein sichtbares Zeichen gegen Homophobie setzen und wird von 20 Uhr bis 21 Uhr die Fassade des Klubhaus St. Pauli in Regenbogenfarben erstrahlen lassen. Zudem werden alle Wirt*innen, sowie Geschäftstreibende St. Paulis gebeten, an diesem Tag als Zeichen der Vielfalt eine Regenbogenfahne auszuhängen, die ihnen Mitarbeitende von Hein & Fiete schon am Dienstag zur Verfügung stellen. Die Kosten der Flaggen trägt die WunderBar.
Forderungen dürften noch diese Woche erhört werden
Die Petition und Kampagne ,,Deine Stimme gegen Hass“ hat bereits 50.000 Menschen zu einer Unterschrift bewegt. Unter den Unterstützer*innen sind prominente Stimmen, wie Jochen Schropp, Hape Kerkeling und Jendrik Sigwart. Die Petition fordert eine einheitliche Datenlage über Hasskriminalität gegen LGBTIQ*, eine gemeinsame Strategie der Innenministerkonferenz und die Bildung einer unabhängigen Expert*innenkommission.
Exakt solche Maßnahmen erwartet das politisch interessierte Publikum von den zurzeit immer noch verhandelnden Koalitionspartner*innen in Spe: FDP, Grüne und SPD treten seit über zehn Jahren für einen bundesweiten Aktionsplan gegen Queerfeindlichkeit ein, scheiterten aber am Widerstand von CSU und CDU. Noch in dieser Woche soll der Entwurf eines Koalitionsvertrages vorgestellt werden. *ck
UPDATE 25. November 2021
200 Demonstrierende und ein Koalitionsvertrag mit Antworten
Foto: Oliver Greve / Hamburg zeigt Flagge
Rund 200 Menschen versammelten sich am 24. November bei eisigen Temperaturen auf dem regenbogenbuntgeschmückten und -beleuchteten Hamburger Kiez (Reeperbahn/Spielbudenplatz) und setzten ein deutliches Zeichen gegen Homo- und Transphobie.
Das Schicksal wollte es so, dass zur gleichen Zeit ganz Nachrichtendeutschland in den Hauptnachrichten über den am Nachmittag vorgestellten Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Grüne und FDP informiert wurde. Dieser plant endlich, das Problem geschlechtsbezogener und orientierungsbezogener Hassgewalt gleich von mehreren Seiten aus anzugehen. In dem 178-Seiten-Vertrag heißt es:
Queeres Leben
Um Queerfeindlichkeit entgegenzuwirken, erarbeiten wir einen ressortübergreifenden Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und setzen ihn finanziell unterlegt um. Darin unterstützen wir u. a. die Länder bei der Aufklärung an Schulen und in der Jugendarbeit, fördern Angebote für ältere LSBTI und bringen in der Arbeitswelt das Diversity Management voran, insbesondere im Mittelstand und im öffentlichen Dienst. {...} Geschlechtsspezifische und homosexuellenfeindliche Beweggründe werden wir in den Katalog der Strafzumessung des § 46 Abs. 2 StGB explizit aufnehmen. Die Polizeien von Bund und Ländern sollen Hasskriminalität aufgrund des Geschlechts und gegen queere Menschen separat erfassen. (Quelle)
Foto: Tobias Schwarz / AFP
Olaf Scholz am 24. November 2021
Der ehemalige 1. Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Olaf Scholz, könnte als Bundeskanzler also durchaus der Mann werden, der maßgeblich daran beteiligt sein wird, queerfeindliche Gewalt in Deutschland nachhaltig bekämpft zu haben. Glück auf!