Seit Jahren streiten sich lesbische Aktivistinnen und der LSVD Berlin-Brandenburg (LSVD BB) um ein würdiges Gedenken an die lesbischen Inhaftierten im KZ Ravensbrück. Eine geleakte Email des Vorstandes des LSVD BB offenbart die Schärfe des Streits.
Stephanie Kuhnen, Ina Rosenthal, Anja Kopfbinger und Petra Abel von der „Initiative Autonome Feministische Frauen" (vorne) bei der diesjährigen Gedenkveranstaltung für die im Nationalsozialismus verfolgten Lesben in Berlin.
Ein Vorstandsmitglied des LSVD BB schrieb dem Screenshot zufolge im August 2017 an andere Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter der Senatsverwaltung eine Mail mit „weichgespülten Grüßen“ in der er dazu aufrief, „kein weiteres Öl ins Feuer" zu gießen und damit „den Krawalllesben weiteres Futter zu liefern“. Gegenüber queer.de bestätigte LSV BB Geschäftsführer Jörg Steinert die Echtheit der Email, relativierte aber: „Die Äußerung erfolgte aus akuter Verärgerung über das Verhalten einzelner Personen." Die Wortwahl sei vom Verfasser bereits kurz nach dem Versenden bedauert worden.
Ein handfester Familienstreit unter dem Regenbogen also, der alte Gräben zwischen Lesben und Schwulen offenbart, die lange Zeit zugeschüttet schienen.
Worum geht es?
Die Initiative Autonome Feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich, die seit Anfang der 1990er-Jahre an den Gedenkfeiern in Ravensbrück teilnehmen, haben sich „auf historische Spurensuche lesbischen Lebens in der NS-Zeit gemacht und konnten einiges an Forschung und Wissen zusammentragen", das sie veranlasste, eine Gedenkkugel zu entwerfen und diese im KZ Ravensbrück installieren zu wollen. Die Inschrift sollte lauten:
„In Gedenken aller lesbischen Frauen und Mädchen im Frauen-KZ Ravensbrück und Uckermark. Lesbische Frauen galten als „entartet“ und wurden als „asozial“, als widerständig und verrückt und aus anderen Gründen verfolgt und ermordet. Ihr seid nicht vergessen!“
Seit sechs Jahren wird im zuständigen Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte zwischen dem LSVD BB und den Aktivistinnen gestritten. Nachdem seit einigen Jahren prinzipiell gewünscht ist, ein Mahnmal aufzustellen, ist nun Kernpunkt die Frage, ob Lesben wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden, oder „nur“ aufgrund anderer „Vergehen“ in die Todeslager der Nazis verschleppt wurden.
Der LSVD BB schließt sich dabei Einschätzung seines Fachbeauftragten an:
„Alexander Zinn hat sich mit diesen Fragen im Rahmen seiner Dissertation eingehend beschäftigt. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass sich eine Verfolgung weiblicher Homosexualität durch das NS-Regime nicht nachweisen lässt. Mehr noch: Es gibt plausible Gründe, warum die Nazis zwar homosexuelle Männer verfolgten, denen sie unterstellten, den »nationalsozialistischen Männerstaat« zu »zerstören«, nicht aber lesbische Frauen.“ (Quelle)
Dieser Einschätzung folgte laut LSVD BB* der Beirat gestern und stimmte für den Vorschlag des LSVD BB, der folgende Inschrift vorsieht – auf einem neuen LSVD BB-Entwurf – einer Kugel aus Metall:
„Den lesbischen Frauen aller Verfolgtengruppen“
Also eine explizite Abgrenzung des Merkmals lesbisch von der Verfolgung im Dritten Reich. Dem widersprechen andere Historiker*innen vehement.
*UPDATE: LSVD BB DOCH NICHT GEWINNER?
Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte teilte am 11. Oktober über eine Pressemitteilung mit, dass sie keine Entscheidung für einen der vorliegenden fünf Widmungstexte getroffen habe.
Der LSVD BB reagierte umgehend und griff seinerseits die Stiftung an.
„Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg kritisiert die Leitung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten für die Missachtung der Mehrheitsentscheidung im Beirat. Der Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, in den die verschiedenen Verfolgtengruppen des Nationalsozialismus Vertreterinnen und Vertreter entsenden, wird damit in seiner Bedeutung degradiert."
KOMMENTAR
Lesben waren Opfer
Aus welchen fadenscheinigen Gründen eine Frau in der NS-Diktatur auch „offiziell“ ins KZ gesteckt wurde, erübrigt sich, wenn sie dort mit Einlieferung als lesbisch geoutet und der damit verbundenen „Extrabehandlung“ ausgeliefert war.
Diesbezügliche Inhaftierungslisten liegen mir vor. Aber hey, das war ja gar nicht so? Und die Verfolgung von Schwulen war viel schlimmer? Mag sein, dass sie organisierter war und brutaler. Aber die Verfolgung von Lesben deswegen mit dem jetzigen Text komplett zu negieren, als wenn Lesben ein glückliches diskriminierungsfreies Leben geführt hätten, nur leider ja auch mal Jüdinnen, Bibelforscherinnen (Zeugen Jehovas) oder Kommunistinnen waren? Warum dann das Merkmal auf den Inhaftierungslisten?
Auf Anfrage reagierte der Geschäftsführer des LSVD BB dünnhäutig und verwies mich auf seine Pressemitteilung und die oben zitiertem AG Rosa Winkel.
Es ist ein wenig wie bei der Diskussion über die Ehe für alle – dem schwulen Opfer wird nichts weggenommen, wenn des lesbischen Opfers ebenfalls und ausgesprochen gedacht wird. Aber vielleicht geht es einigen Streithähnen ja auch gar nicht so sehr um die Sache, sondern viel mehr um Projektförderungen, Zuwendungen oder ganz profan Macht und Ansehen. Dass dabei einmal mehr Frauen auf der Strecke bleiben, juckt doch die deutsche Eiche (männlich) nicht.
*Christian Knuth
UPDATE 12. OKTOBER – LSVD STEIGT AUS
Der Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg hat heute Morgen in einer Pressemitteilung bekanntgegeben, dass er seinen Antrag für das lesbische Gedenken in Ravensbrück zurückziehe. Begründet wird der Schritt damit, dass durch die festgefahrene Situation in den Gremien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten keine zeitnahe Realisierung des bereits seit sechs Jahren angedachten Gedenkens möglich sei:
„Der Landesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes hat sich diese Entscheidung nach der jahrlangen engagierten Arbeit von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern nicht leicht gemacht. Im Interesse eines baldigen Gedenkzeichens halten wir diesen Schritt für notwendig und wünschen der Stiftung und allen Beteiligten ein gutes Gelingen.“ (LSVD BB)