Zum Schicksal von lesbischen Frauen, die im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert waren, gibt es zahlreiche Publikationen. Im letzten Jahr erregten Äußerungen eines promovierten Historikers aus Berlin Aufsehen, der sich damit zu Wort meldet, es gäbe keine Nachweise für die tatsächliche Inhaftierung und eine wie auch immer gestaltete Gedenkkugel sei somit geschichtsverfälschend. Der LSVD Berlin-Brandenburg berief sich bei der Erinnerungsarbeit für Frauen in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück auf diese Einschätzung. (blu berichtete)
Aus meiner Sicht entbehrt der Vorwurf, es gäbe keine Nachweise, jedweder Grundlage: In den Überlieferungen des ITS in Bad Arolsen haben sich zwar keine Originalzugangsbücher des ehemaligen KZ Ravensbrück erhalten, jedoch sind die wenigen zeitgenössischen Abschriften dieser Lagerbücher dort teilweise erhalten geblieben. Aus diesen sind zwei Seiten zum vorliegenden Themenkomplex von großem Interesse – nämlich die Zugangsliste vom 30. November 1940: In ihr werden unter den fortlaufenden Nummern 11 und 26 zwei Frauen mit dem Einlieferungsgrund lesbisch genannt. Bei diesen Frauen handelt es sich um Elli Smula und um Margarete Rosenberg, geborene Quednau.
Beiden Frauen ist gemeinsam, dass sie nicht nur als politisch verfolgt eingetragen wurden, wie dieses in der ersten Zeile bei anderen Häftlingsfrauen vermerkt worden ist, sondern als Ergänzung noch der Vermerk lesbisch auftaucht. Bei keinen anderen Frauen – soweit überblickbar – taucht dieser zusätzliche Hinweis auf. Nicht in diesen beiden Dokumenten und auch nicht in den anderen, erhalten gebliebenen Zugangslisten.
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Historikerin Claudia Schoppmann hat auf Privatinitiative einen Stolperstein für Elli Smula verlegen lassen. Eine Anerkennung des Merkmals lesbisch als Verhaftungsgrund wurde dennoch im Gedenken abgestritten.
Foto: Auszüge aus Zugangsliste KZ Ravensbrück, 30.11.1940, 1.1.35.1/3761551 und 376552, ITS Digital Archive, Bad Arolsen
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Auszüge aus Zugangsliste KZ Ravensbrück, 30.11.1940, 1.1.35.1/3761551 und 376552, ITS Digital Archive, Bad Arolsen
Wie ist dieses zu bewerten? Aus den bislang bekannten Quellen zur Verfolgung sexueller Minderheiten im Nationalsozialismus ist eine spezielle Kategorisierung lesbischer Frauen als Einweisungsmerkmal in ein KZ nicht bekannt. Auch ist bislang keine schriftliche Anweisung des NS-Reichssicherheitshauptamtes bekannt, aus welchem dieser Sachverhalt hervorgehen würde. Insgesamt widersprechen diese Angaben dem gängigen Muster der Verfolgungen von Menschen aufgrund homosexueller Handlungen in der NS-Zeit. Doch auch nach dem 30. Januar 1933 gab es beispielsweise weiterhin Verurteilungen von Frauen nach § 175 StGB. Doch diese Dokumente gehen über die Verfolgung nach diesem Paragraphen eindeutig hinaus.
Foto: Tobias Nordhausen / Flickr / CC BY-NC-SA 2.0
KZ Ravensbrück
Das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, Gedenkstätte 2012.
Foto: Tobias Nordhausen auf Flickr, Lizenz CC BY-NC-SA 2.0
Gleichwohl sind diese Dokumente ein Beleg dafür, dass es hier einen bislang kaum beachteten Diskriminierungspunkt gegeben hat. Und zwar zeitgenössisch. Und auch nicht nachträglich dazu erklärt.
Ich plädiere dafür, diese beiden Fundstellen als Nachweis anzusehen, dass es mindestens zwei Frauen im ehemalige KZ Ravensbrück gegeben hat, die wegen ihrer lesbischen Liebe dort inhaftiert gewesen sind. An einem dritten, eindeutigen Fall, arbeitete ich gerade; dieser ist jedoch zu komplex, um hier angerissen zu werden – er wird demnächst publiziert werden.
*Dr. Christian-Alexander Wäldner
Hintergrundinformationen zur Verfolgung von Lesben im Nationalsozialismus
Englisch: sexualityandholocaust.com
Deutsch: www.lesbengeschichte.org