Menschen, die Blut spenden wollen, dürfen in Zukunft nicht mehr aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität zurückgewiesen werden. Das hatte der Bundestag am 16. März 2022 gemäß Koalitionsvertrag mit einer Änderung des Transfusionsgesetzes beschlossen (männer* berichtete).
Auf Basis des Transfusionsgesetzes hat die Bundesärztekammer (BÄK) zusammen mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sowie unter Beteiligung des Bundesgesundheitsministeriums und des Robert Koch-Instituts die „Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten“ überarbeitet. Sie legt unter anderem Kriterien für die Zulassung, Rückstellung und den Ausschluss von Personen zur Blutspende fest.
Das ist neu
Die neue Fassung der Hämotherapie-Richtlinie wurde am 4. September veröffentlicht. Zukünftig ist eine spendewillige Person für vier Monate von der Spende zurückzustellen, die innerhalb der letzten vier Monate ein Sexualverhalten aufgewiesen hat, das ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt. Die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität der spendewilligen Person oder ihrer Sexualpartnerinnen bzw. -partner spielen bei der Bewertung des Risikos keine Rolle mehr. Zum risikobehafteten Sexualverhalten gehören:
- Sexualverkehr mit insgesamt mehr als zwei Personen,
- Sexualverkehr mit einer neuen Person, wenn dabei Analverkehr praktiziert wurde,
- Sexarbeit und deren Inanspruchnahme,
- Sexualverkehr mit einer Person, die mit Hepatitis B, Hepatitis C oder HIV infiziert ist oder die in einem Endemiegebiet/Hochprävalenzland für diese Viren lebt beziehungsweise von dort eingereist ist.
Neu ist auch, dass telemedizinische Verfahren der Untersuchungen zur Spendetauglichkeit eingesetzt werden können. Darüber hinaus wurden die Regelungen bezüglich der Spenderimmunisierung zur Gewinnung von Hyperimmunplasma in die Richtlinie eingegliedert.
Den neuen gesetzlichen Vorgaben entsprechend sind die oberen Altersgrenzen für Spendewillige entfallen. Bisher lag die Höchstaltersgrenze bei der Erstspende bei über 60 Jahren und für Wiederholungsspenden bei über 68 Jahren, wobei nach individueller ärztlicher Entscheidung auch Ältere spenden konnten. Jetzt muss die Eignung bei über 60-Jährigen mindestens im Abstand von fünf Jahren überprüft werden.
Noch diskriminierender als zuvor?
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die alte Hämotherapie-Richtlinie als Diskriminierung bezeichnet. „Ob jemand Blutspender werden kann, ist eine Frage von Risikoverhalten, nicht von sexueller Orientierung“, sagte er und versprach Besserung.
Foto: Rolf Vennenbernd / POOL / AFP
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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
Die Deutsche Aidshilfe kommt jedoch zu dem Fazit, dass ein Ende der Diskriminierung mit der neuen Richtlinie noch lange nicht in Sicht ist. Im Gegenteil:
„Die neuen Regeln sind weder wissenschaftlich evident noch beenden sie die Diskriminierung. Die Bundesärztekammer hat es geschafft, die meisten schwulen Männer weiterhin auszuschließen, ohne dies klar zu benennen. Die neue Regelung hält sogar noch weitere potenzielle Spender*innen unnötig von der Spende ab,“
warnt Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH). Ausgeschlossen werden sollen in Zukunft Menschen, die in den letzten vier Monaten Analverkehr mit neuen Partner*innen hatten. Zu einer Rückstellung führt fortan außerdem Geschlechtsverkehr mit HIV-positiven Menschen sowie „Sexarbeit oder deren Inanspruchnahme“.
Die Frist von vier Monaten ist nicht nachvollziehbar und wird nicht erläutert. Ein HIV-Labortest zum Beispiel kann eine HIV-Infektion nach sechs Wochen ausschließen. Es bleibt ein großes Fragezeichen. Warum werden keine sensibleren Testverfahren angewendet, um die Frist weiter zu verkürzen? Die BÄK bleibt die Antwort auf diese Frage erneut schuldig.
Analverkehr an sich ist kein Risiko. Diese Annahme ist stigmatisierend. Schutzmaßnahmen wie Kondome und die HIV-Prophylaxe PrEP, zu denen die Prävention ermutigt, werden in der neuen Analverkehr-Klausel nicht berücksichtigt. Außerdem wird damit ein neuer Personenkreis stigmatisiert, der vorher nicht betroffen war: Heterosexuelle Menschen, die Sex mit mehr als zwei Partner*innen in vier Monaten oder Analverkehr mit nur einer Person hatten – unabhängig vom realen HIV-Risiko.
Geschlechtsverkehr mit HIV-positiven Menschen darf kein Ausschlussgrund mehr sein. Unter wirksamer HIV-Therapie – heute der Regelfall – gibt es beim Sex kein Übertragungsrisiko. Das hat die WHO gerade erst ausdrücklich bekräftigt.
Sexarbeit oder deren Inanspruchnahme dürfen kein Ausschlussgrund sein – denn ob Sex entgeltlich oder privat stattfindet, beeinflusst das HIV-Risiko nicht. Unter Sexarbeiter*innen kommt HIV nicht häufiger vor als in der Gesamtbevölkerung
Ein großer Irrtum bleibt weiterhin erhalten: Angebliche Monogamie ist keine verlässliche Schutzmethode. Menschen können nur über ihr eigenes Verhalten verlässliche Angaben machen. „Sexualverkehr ausschließlich innerhalb einer auf Dauer angelegten Paarbeziehung von nicht-infizierten Partnern oder Partnerinnen“ ist eine Scheinsicherheit.
DAH und andere Verbände komplett ignoriert
Die BÄK stellt fest, sie habe gemeinsam mit dem mitverantwortlichen PEI erneut die „Handlungsfähigkeit der ärztlichen Selbstverwaltung unter Beweis gestellt“. Doch hat sie bei der Ausarbeitung zum wiederholten Mal die Erfahrungen und das Wissen zahlreicher kompetenter Verbände komplett außen vor gelassen. Für DAH-Vorstand Sven Warminsky unverständlich.
„Die Ampelregierung hat die Verantwortung trotz der schlechten Erfahrungen der letzten Jahre erneut allein in die Hände der Bundesärztekammer gelegt. Die gesetzliche Vorgabe an die bisher Verantwortlichen hat nicht gereicht. Damit steht die Regierung nun in der Pflicht, ihr Versprechen einer diskriminierungsfreien Lösung auf anderem Wege einzulösen.“
Mit der Veröffentlichung einer inakzeptablen Regelung habe die BÄK eine neue Runde in der öffentlichen Diskussion vom Zaun getreten, die niemand gewollt hat, so der DAH-Vorstand weiter.
„Die Konsequenz aus dieser unausgegorenen Neuregelung kann nur eine sein: Zurück auf Los. Ein Neustart mit neuen Regeln, ein öffentlicher Diskurs und Transparenz von Anfang an. Niemandem ist damit gedient, das ewige Ritual von Neuregelung durch medizinische Gremien und öffentlicher Kritik daran weiter zu wiederholen. Warum nicht gleich gemeinsam eine Lösung erarbeiten?“