Deutschlands Nachbarland Polen tritt die Rechte queerer Menschen derzeit mit Füßen: Mehr als 80 Kommunen und Städte erklärten sich seit Mitte letzten Jahres zu „LGBT-freien Zonen“. Von der Regierungspartei PiS initiiert soll dadurch die „radikale“ Homo-Propaganda eingeschränkt sowie Kinder und Familienwerte beschützt werden.
Langsam rollt eine Protestwelle an. Nach ins Leere verhallenden Appellen der Europäischen Union beendete letzte Woche die französische Stadt Saint-Jean-de-Braye als erste Gemeinde ihre Städtepartnerschaft mit der polnischen Stadt Tuchów, die sich zur „LGBT-freien Zone“ erklärte (wir berichteten). Auch deutsche Städte, allen voran Weimar, geraten bezüglich ihrer Schwesterstädte langsam in Erklärungsnot.
Solidarischer Bier-Boykott
Nun wurde von polnischen Queeraktivisten eine weitere Protestaktion gestartet. Sie machten bekannt, dass eine Gala der Wochenzeitung Gazeta Polska von einer großen polnischen Brauerei gesponsert wurde. Warum ist das relevant? Es war die als rechtsnationalistisch geltende Gazeta Polska, die im Juli letzten Jahres an die NS-Zeit erinnernde Sticker für „LGBT-freie Zonen“ verteilte und damit der feindlichen Stimmung einen noch hässlicheren Stempel aufdrückte (wir berichteten).
Auf der letzte Woche stattfindenden Gala der polnischen Zeitung wurde zudem Jarosław Kaczyński, Vorsitzender der erzkonservativen Regierungspartei PiS, zum dritten Mal zur Person des Jahres gekürt. Kaczyński machte sich in der Vergangenheit als Homofeind einen Namen. So versuchte er beispielsweise, CSDs zu verbieten und bezeichnete die queere Bewegung als aus dem Westen importierte Bedrohung gegen den polnischen Staat, die polnische Identität und das Fortbestehen der ganzen Nation. (wir berichteten)
Die Brauerei Kompania Piwowarska kontrolliert circa 45% des polnischen Biermarktes. Sie vertreibt in Polen1 auch die in Deutschland beliebten Biermarken Tyskie, Lech und Pilsner Urquell. Tyskie gilt mit einem Marktanteil von 18% als beliebtestes Bier in Polen. Und es ist das wohl bekannteste polnische Bier weltweit. Es wird auch in die USA, Australien und Teile Asiens importiert. In Nordrhein-Westfalen ist es die beliebteste Import-Marke – noch vor holländischen Bieren.
Die polnischen Queeraktivisten, die die Protestaktion gegen die Brauerei ins Leben riefen, wandten sich zur Unterstützung auch gezielt an die deutsche Presse und Community. Der Post von Initiator Krzysztof Tyczyński fordert auf: „Kupuj świadomie!" was so viel heißt wie:
„Kaufen Sie bewusst!“
Update 7. Juni 2020 🍻 „Pilsener Urquell“ in Deutschland tschechisch-japanisch, nicht polnisch
In der ursprünglichen Version des Artikels stand, dass Pilsener Urquell zur Brauerei Kompania Piwowarska gehöre. Dies stimmt seit 2017 nur für den Vertrieb der Marke in Polen. Ein aufmerksamer Leser schrieb uns dazu:
„Pilsener Urquell wird zwar in Polen durch die zur Asahi gehörende Piwowarska vertrieben, gebraut wird es allerdings von der tschechischen Plzeňský Prazdroj, a.s. Diese Brauerei gehört einhundertprozentig zu Asahi Europa, die auch in Deutschland den Vertrieb von Pilsener Urquell direkt verantwortet.“
Folgerichtig merkt er für den Boykottaufruf der polnischen Aktivist*innen an:
„Ein Boykott von Pilsener Urquell ist nur in Polen auch ein Boykott von Piwowarska.“