Als Reaktion auf den Übergriff gegen eine queere Person in der Frankfurter Innenstadt haben sich YouTuber in Frankfurt am Main entschieden gegen die Diskriminierung von LGBTIQ*s gestellt.
Am 15. November gegen 20.15 Uhr wurde „Kweendrama“, unter diesem Namen ist das 20 Jahre alte Opfer in sozialen Netzwerken bekannt, von einer Gruppe junger Männer erst beleidigt und anschließend getreten und geschlagen – mitten in der Frankfurter Innenstadt.
Zu dieser Uhrzeit waren auf der Zeil, einer belebten Einkaufsstraße in Frankfurt am Main, noch viele Besucher*innen unterwegs. Von den Umstehenden hat niemand versucht, einzugreifen, im Gegenteil: Die meisten haben die Situation mit ihren Smartphones gefilmt.
Aufnahmen des Übergriffs machten in den sozialen Medien schnell die Runde. Gepostet wurde der Clip offenbar zunächst auf dem Messengerdienst „Snapchat“, betitelt sind die Szenen mit Sätzen, wie „Ffm ist todeswitzig“ und „Transe wird tod gehauen“.
YouTube-Videos als Ursache?
Soweit der Tathergang. Dem Angriff geht eine längere Vorgeschichte voraus, die nach Frankfurt am Main führt, wo sich eine YouTuber-Szene etabliert hat. Die YouTuber nennen sich „BrEso“, „Gazi D“ usw., sie drehen ihre Streetvideos häufig in der Frankfurter Innenstadt und setzen dabei gerne auf Provokation. Das spätere Opfer ist in den Videos oft zu sehen.
Bereits Anfang November ereignete sich eine ähnliche Situation. In einem Video des YouTubers „Gazi D“ ist zu sehen, wie „Kweendrama“ (von den anderen meist „Burak“ genannt) beleidigt und angegriffen wird. Der anschließende Part, in dem „Kweendrama“ verprügelt wird, wurde herausgeschnitten. Perfide daran ist: Der YouTuber verspricht, diesen Abschnitt nachzuliefern, sobald er 30.000 Follower hat.
Am Ende des Clips spricht „Gazi D“ mit „Kweendrama“ über das gerade Erlebte. „Kweendrama“ ordnet den Vorfall als Übergriff gegen die LGBTIQ*-Community ein und spricht auch davon, dass Hater es auf Leute wie sie abgesehen hätten.
Ab Timecode 10:12 beginnt das Gespräch.
Am 8. November filmt ein YouTuber namens „Breso“ eine Diskussion zwischen „Kweendrama“ und mehreren Jugendlichen, auch mutmaßliche Täter der späteren Prügelattacke sind anwesend. Im Gespräch geht es um die Frage, wie tolerant man sich gegenüber Schwulen und trans* Personen verhalten soll. Bei den Jugendlichen herrscht Unverständnis, transphobe Beleidigungen fallen, die Situation eskaliert.
Ab Timecode 00:57 beginnt die Diskussion.
Sechs Tage, nachdem dieses Video auf YouTube erschien, kam es schließlich zum eigentlichen Übergriff gegen „Kweendrama“. Das Video, auf dem zu sehen ist, wie sie von einer Gruppe Jugendlicher regelrecht zusammengeschlagen wird, ging sofort viral. Die sozialen Medien überschlugen sich mit Kommentaren wie „Ffm ist todeswitzig“ oder „Transe wird tod gehauen“.
Staatliche Ignoranz von homo- und transfeindlichen Hassverbrechen
In einer ersten Stellungnahme sprach das Polizeipräsidium Frankfurt am Main von mehreren Festnahmen, nachdem ein 20-Jähriger von einer größeren Personengruppe zunächst beleidigt und später durch Schläge und Tritte angegriffen wurde. Einen homo-/transfeindlichen Hintergrund erwähnt der Polizeibericht nicht.
Erst einen Tag später steuert die Polizei nach. In der zweiten Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main werden „transphobe bzw. transfeindliche Beweggründe“ nicht mehr ausgeschlossen. „Diese möglicherweise geschlechterdiffamierende Motivation der Täter wird nun intensiv in die umfangreichen Ermittlungen miteinbezogen“, verspricht die Behörde und ruft Zeugen auf, sich zu melden (unter der Rufnummer 069/755-35108 oder per E-Mail unter: e-jugend-hdjr-hoechst.ppffm@polizei.hessen.de).
Staatliche Ignoranz von homo- und transfeindlichen Hassverbrechen hat System. Das mussten wir erst kürzlich wieder feststellen, als der Mord an einem Schwulen in Dresden am 4. Oktober nicht als das benannt wurde, was er war: ein islamistisch-homophobes Hassverbrechen (wir berichteten).
Anstieg von Homophobie unter Migranten
In der migrantischen Bevölkerung ist seit einigen Jahren eine zunehmende Homophobie zu beobachten. Sie reicht von Beleidigungen und Beschimpfungen über die Anwendung von Gewalt bis hin zu regelrechten Hetzjagden auf queere Menschen.
2017 veröffentlichte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Studie zur Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland.
Die Ergebnisse der Studie belegt, dass Befragte, die einen Migrationshintergrund haben, Homosexuellen und Transgender gegenüber signifikant negativer eingestellt sind als Befragte ohne Migrationshintergrund.
So stimmten 34 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund, aber nur 19 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund homophoben Einstellungen zu. 25 Prozent der Befragten mit, aber nur 19 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund neigten zu abwertenden Einstellungen gegenüber trans* Personen.
Grafik: Antidiskriminierungsstelle des Bundes
YouTuber werden ihrer Vorbildfunktion gerecht
Wie kann ein gegen die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität gerichtetes Verbrechen als solches erkannt und geahndet werden, wie eine Gesellschaft präventiv dagegen vorgehen? Indem man sie benennt.
Es mag sein, dass Beef und Gedisse mit anschließenden Schlägereien, frei nach dem Motto „Alles für den nächsten Klick“, bei den Jugendlichen an der Tagesordnung stehen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, wie schnell Grenzen überschritten werden. Auf das queere Opfer ist nicht nur eine Person losgegangen, wie sonst in den Videos üblich. Eine ganze Gruppe hat auf sie eingeschlagen. Auch hat es viel zu lange gedauert, bis jemand eingegriffen hat. Passanten haben die Szene gefilmt, statt dazwischenzugehen.
Vorfälle wie die Attacke auf „Kweendrama“ sind deshalb auch immer Warnzeichen und dürfen nicht verschwiegen werden. Auch die Frankfurter YouTuber-Szene hat das erkannt. In vielen weiteren Videos, die nach dem Vorfall veröffentlicht wurden, haben sich YouTuber entschieden gegen die Diskriminierung von Queers und diese Formen der Gewalt gestellt. Ehrenmenschen!