Die zunehmend queerfeindliche Stimmung in der Gesellschaft erreicht verstärkt auch Schulen. Zu diesem Schluss kommt das LSBTIQ*-Aufklärungs- und Antidiskriminierungsprojekt WiR* – Wissen ist Respekt aus Köln.
„Wir beobachten, dass immer mehr Schüler*innen von ihren Eltern an der Teilnahme an den Workshops gehindert oder auf ihren eigenen Wunsch entschuldigt werden”, sagt Dominik Weiss, Projektleiter von WiR*. „In den letzten Monaten nahmen in Extremfällen bis zu zwei Drittel einer Klasse nicht an Workshops teil. In einigen wenigen Fällen mussten die Workshops sogar wegen zu geringer Schüler*innenzahl von den Schulen abgesagt werden.”
Die Workshops von WiR* klären über Lebensweisen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans, inter und queeren Menschen auf, helfen Vorurteile zu reflektieren und leisten einen Beitrag für ein tolerantes Schulklima und eine offene Gesellschaft. Dies ist aktuell wichtiger als je zuvor. Denn Rechtsextreme und Radikale in allen Bevölkerungsgruppen machen mit populistischen Botschaften und Verschwörungstheorien wie der so genannten „LGBTIQ*- und Genderideologie” und „Frühsexualisierung” Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans, inter und queere Menschen verächtlich und erklären sie zum Hassobjekt. Einige Eltern, aber auch Jugendliche fallen auf diese Strategie herein.
„Ich hasse Schwule.”
„Wir bemerken, dass die Stimmung in den Workshops sich verändert hat. Neben vielen Schüler*innen, die offen und zugänglich sind, gibt es immer mehr, die dem Thema deutlich ablehnend gegenüberstehen. Sie äußern dies auch zunehmend laut, stören die Workshops bewusst durch ihr Verhalten und sind in Teilen verbal aggressiv”, sagt Weiss.
Foto: anyway e.V. / Marius Steffen
Ehrenamtliche aus dem anyway mit Aussagen von Schüler*innen, die sie so während der Aufklärungsworkshops zu hören und zu lesen bekamen.
In den Feedbacks zu den Workshops schrieben Schüler*innen zuletzt auch häufiger Sätze wie, „In euren Workshops werden Lügen erzählt!“, „Meine Eltern sagen, LGBTIQ* ist Quatsch!“, „Es gibt nur Mann und Frau!“, „Ich hasse Schwule“ oder „Wenn meine Schwester lesbisch wäre, würde ich sie schlagen und von zuhause rausschmeißen“. Vereinzelt kam es nach Workshops zu Anrufen im anyway, in denen einzelne Ehrenamtliche des Aufklärungsprojekts beleidigt oder lächerlich gemacht wurden.
Teufelskreislauf: Mehr Nachfrage trotz endlicher Kapazitäten
Das anyway ist mit seiner Feststellung gestiegener Queerfeindlichkeit in Aufklärungsworkshops nicht allein. Ähnliche Beobachtungen machen auch das Kölner Aufklärungsprojekt SCHLAU Köln sowie weitere Projekte in ganz NRW.
Die aktuelle Situation stellt die Antidiskriminierungsarbeit vor neue Herausforderungen. Bisher sind es meist speziell geschulte Ehrenamtliche, die die Workshops für Schulklassen durchführen – und zwar kostenlos und in ihrer Freizeit. Doch die queerfeindliche Stimmung trübt das Engagement, ist seelisch belastend und in Teilen überfordernd. „Es braucht viel mehr pädagogisches Standing und Qualifizierung, um die Workshops unter diesen Bedingungen durchführen zu können”, sagt Dominik Weiss. Ehrenamtsgewinnung und -management sowie Ausbildung kosten hingegen mehr Zeit.
Zusätzlich wollen auch Schulen verstärkt gegen queerfeindliche Stimmung in Teilen der Schüler*innenschaft vorgehen und fragen immer häufiger Workshops an. Weil die Kapazitäten begrenzt sind, gibt es teilweise lange Wartezeiten und einige Anfragen können gar nicht bedient werden.
„Die Aufklärungsarbeit befindet sich in einem Teufelskreislauf wie wir ihn in den letzten 25 Jahren nicht im anyway hatten”, sagt Jürgen Piger, geschäftsführender Vorstand des anyway e.V. „Mehr Queerfeindlichkeit sorgt für mehr Nachfrage zu herausfordernden Bedingungen. Mit unseren aktuellen Ressourcen können wir aus diesem Kreislauf nicht herausbrechen.”