Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf für das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet und damit den Weg für eine vereinfachte Änderung des Geschlechtereintrags bei den Behörden freigemacht. Demnach sollen Menschen nur noch eine einfache Selbstauskunft beim Standesamt abgeben müssen, wenn sie den Vornamen oder den Geschlechtseintrag im Personenstandsregister ändern wollen.
Die Regelung soll das seit 1981 geltende Transsexuellengesetz ablösen. Bisher müssen Betroffene für eine Änderung des Geschlechtseintrags zwei psychologische Gutachten einreichen. Dann entscheidet das zuständige Amtsgericht. Betroffene kritisieren das Verfahren als langwierig, teuer und entwürdigend.
„Das geltende Recht schikaniert transgeschlechtliche Menschen“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). „Wir wollen diesen unwürdigen Zustand beenden.“ Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) betonte, die Reform diene „dem Schutz lang diskriminierter Minderheiten und ist ein gesellschaftspolitischer Fortschritt“.
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Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus und Bundesjustizminister Marco Buschmann kommentierten am 23. August 2023 auf einer Pressekonferenz vor dem Kanzleramt den Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz
Die Neuregelung richtet sich an transsexuelle, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen. Transsexuelle sind Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Als intergeschlechtlich werden Menschen bezeichnet, die körperliche Geschlechtsmerkmale aufweisen, die nicht ausschließlich männlich oder weiblich sind. Unter nicht-binär werden Menschen verstanden, die sich selbst nicht in die gängige Geschlechtseinteilung in Mann und Frau einordnen.
Nach dem Gesetzentwurf muss die Änderung nun drei Monate vor der Erklärung beim Standesamt angemeldet werden. Nach der Änderung gilt eine einjährige Sperrfrist für eine erneute Änderung.
Bei Kindern unter 14 sollen die Eltern die nötige Erklärung beim Standesamt einreichen können. Jugendliche ab 14 können dies selbst tun, allerdings nur mit Einverständnis der Eltern. Gibt es hier innerfamiliäre Konflikte, kann das Familiengericht die Entscheidung treffen.
Durch die Reform soll auch verhindert werden, dass gegen den Willen eines Menschen dessen frühere Geschlechtszuordnung oder der frühere Vornamen offengelegt wird. Hier droht ein Bußgeld.
Gesetz im Geiste des Misstrauens?
Intensive Debatten gab es im Vorfeld der Verabschiedung durch das Kabinett zur Frage des Hausrechts und zum Zugang zu geschützten Räumlichkeiten – etwa Saunen, Umkleidekabinen oder Frauenhäusern. Manche Frauenrechtlerinnen hatten Bedenken geäußert, solche Schutzorte generell auch für trans* Personen öffnen zu müssen. Das Selbstbestimmungsgesetz lässt das private Hausrecht nun unberührt. „Was heute verboten ist, wird verboten bleiben“, betonten Justiz- und Familienministerium.
Laut Buschmann wurden auch Bedenken ausgeräumt, dass Kriminelle sich den Identitätswechsel zunutze machen und auf diese Weise den Strafverfolgungsbehörden entziehen. Um dies zu verhindern, nähmen die Standesämter nun eine Abfrage bei den Behörden vor, „die mit Fahndungsaufgaben betraut sind“, sagte der Justizminister.
Daran kam Kritik von der Linksfraktion. Die vielen einschränkenden Regelungen im Gesetz würden den Geist des Misstrauens gegenüber den Betroffenen widerspiegeln. „Dass generell die persönlichen Daten zur Änderung des Geschlechtseintrags an den Verfassungsschutz, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, das Bundesflüchtlingsamt und weitere Behörden weitergegeben werden sollen, ist höchst bedenklich“, erklärte die queerpolitische Sprecherin der Fraktion, Kathrin Vogler. „Ich bezweifle, dass diese und weitere Regelungen grundrechtskonform sind.“
Weiters kritisierte Vogler, dass das Gesetz erst im November kommenden Jahres in Kraft treten soll. Das sei „völlig indiskutabel“.
Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU) betonte, der Wunsch Betroffener nach Änderungen müsse ernst genommen werden. Die Ampel-Regierung schlage aber den falschen Weg ein: „Die vorgesehene bedingungslose und jährliche Wechselmöglichkeit ohne eine Beratungspflicht und auf bloßen Zuruf auf dem Standesamt wird der Bedeutung des Geschlechts in unserer Rechtsordnung nicht gerecht.“
Der Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) forderte den Bundestag auf, aus seiner Sicht weiterhin diskriminierende Regelungen im Entwurf zu korrigieren. Auch der Bundesverband Trans* sieht im parlamentarischen Verfahren „noch deutlich Luft nach oben“.
Auch Teile von Bündnis 90/Die Grünen sehen im Entwurf noch verbesserungswürdige Punkte. Tessa Ganserer, stellv. Mitglied im Gesundheitsausschuss, und Nyke Slawik, stellv. Mitglied im Familienausschuss, erklärten: „Es gibt jedoch gegenwärtig noch mehrere Punkte, die ganz klar nicht unseren Ansprüchen an ein gutes Selbstbestimmungsgesetz entsprechen. Das verbindet uns mit dem großen Teil der Bürgerrechtsorganisationen und queeren Verbänden, für deren zahlreiche Stellungnahmen zum Referent*innenentwurf wir sehr dankbar sind. Wir teilen die dort vorgebrachte Kritik in vielerlei Hinsicht, weswegen wir uns mit Nachdruck dafür einsetzen werden, im bevorstehenden parlamentarischen Verfahren den Entwurf nachzubessern. Dies betrifft u.a. den Verzicht auf eine dreimonatige Anmeldefrist, Klarstellung zu irreführenden und möglicherweise diskriminierenden Ausführungen zum Hausrecht, selbstbestimmte Inanspruchnahme des Verfahrens für Jugendliche ab 14 Jahren und ein Abstammungsrecht, das allen trans, inter und nicht-binären Menschen die Anerkennung ihrer Elternschaft garantiert.“ *AFP/sah