Zwei Nachrichten, ein düsterer Trend: Sowohl aus Deutschland als auch aus Großbritannien erreichten uns diese Woche Meldungen, die von Gegnern geschlechtlicher Vielfalt gierig aufgesogen werden dürften. Einmal mehr sollen die Taten oder die bloße Existenz einzelner trans* Personen herhalten, um einer ganzen Gruppe Rechte abzusprechen oder sie unter Generalverdacht zu stellen. Doch sowohl der tragische Fall aus Potsdam als auch das Urteil aus London zeigen bei genauerem Hinsehen vor allem eines: Die Instrumentalisierung von Einzelfällen für pauschale Diskriminierung ist eine durchschaubare und gefährliche Taktik – oft befeuert durch einflussreiche Netzwerke im Hintergrund.
Der Fall aus Potsdam: Tragödie mit Fragezeichen

Grafik: Transrespect.org
TDOR 2016
In Potsdam wurde ein Mensch südafrikanischer Herkunft wegen Totschlags an einem Wachmann zu fast 13 Jahren Haft verurteilt. Der Fall ist an sich schon eine Tragödie. Brisant für die Debatte um trans* Rechte wird er dadurch, dass die verurteilte Person sich selbst als trans* Frau bezeichnete. Das Gericht folgte dem jedoch nicht und sprach sie zuletzt als Mann an. Der Grund: Ein psychiatrisches Gutachten, das die „weibliche Identität in Zweifel zog”. Angeblich sei die Selbstidentifikation erst im Asylverfahren geäußert worden und eher Ausdruck von Wunsch nach Aufmerksamkeit und Kompensation geringen Selbstwerts. Praktisch, nicht wahr?
Zudem fiel die Person während der U-Haft in einer Frauen-JVA durch übergriffiges Verhalten auf und wurde daraufhin in ein Männergefängnis verlegt. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, wie dieser Fall von transfeindlichen Kreisen ausgeschlachtet wird: „Seht her, die lügen nur!” oder „Transfrauen sind eine Gefahr für cis Frauen!”. Dass hier ein Gericht und ein Gutachter die Identität infrage stellen und es um das Verhalten einer einzigen, zudem offenbar psychisch belasteten Person geht, wird dabei geflissentlich ignoriert werden. Die Tat selbst, die Tötung eines Menschen, ist furchtbar – sie aber als Argument gegen die Rechte und die Anerkennung aller trans* Personen zu missbrauchen, ist infam.
Großbritannien: Rückschritt per Gerichtsurteil und die perfide Täter-Opfer-Umkehr
Fast zeitgleich liefert das Oberste Gericht in London Wasser auf die Mühlen der Transfeindlichkeit. In einem Urteil zum Gleichberechtigungsgesetz von 2010 stellten die Richter klar: Mit „Frau” sei nur eine „biologische Frau” gemeint. Ein Schlag ins Gesicht für alle trans* Frauen und ein Sieg für die Aktivistengruppe „For Women Scotland”. Sie kämpft dafür, trans* Frauen den Zugang zu Schutzräumen und anderen für Frauen vorgesehenen Einrichtungen zu verwehren.
Besonders perfide wird diese Forderung, wenn man bedenkt, dass gerade trans Frauen überdurchschnittlich häufig Opfer von Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, werden. Statistiken belegen ihre extreme Vulnerabilität. Gerade sie sind also oft auf Schutzräume wie Frauenhäuser angewiesen. Ihnen diesen lebensnotwendigen Zugang unter Verweis auf extrem seltene Problemfälle oder konstruierte Gefahren zu verwehren, ist eine klassische, bösartige Täter-Opfer-Umkehr. Man nimmt den Opfern den Schutz, indem man sie pauschal zu potenziellen Tätern erklärt.
Geld, Glaube, Gelegenheiten: Die Netzwerke des Hasses
Die schottische Regierung hatte zuvor eine inklusivere Haltung vertreten und anerkannt, dass trans* Frauen mit einem offiziellen Gender Recognition Certificate (GRC) unter das Gesetz fallen. Doch die Kampagnen von Gruppen wie „For Women Scotland” sind oft deshalb so lautstark und erfolgreich, weil sich hier eine unheilige Allianz gebildet hat: Sogenannte „genderkritische” Feministinnen (bekannter als TERFs – Trans-Exclusionary Radical Feminists) arbeiten eng mit rechtskonservativen, evangelikalen und rechtspopulistischen Netzwerken zusammen. Ob internationale Zusammenschlüsse wie „Agenda Europe” oder deutsche Initiativen wie die „Initiative Familienschutz” – sie alle eint das Ziel, LGBTQIA+-Rechte zurückzudrängen und ein rigides, biologistisches Geschlechterbild mit passendem Familienmodell aus der Mottenkiste des letzten Jahrhunderts zu zementieren.
Prominente Schützenhilfe, wie im Fall von „For Women Scotland” durch J.K. Rowling, verleiht diesen Bestrebungen zusätzliche Reichweite und Normalität. Genau diese Netzwerke nutzten gezielt Einzelfälle wie den der trans* Frau Isla B., die vor ihrer Transition Straftaten begangen hatte und kurzzeitig in einem Frauengefängnis saß, um Stimmung zu machen – und ignorieren dabei die realen Schutzbedürfnisse unzähliger trans* Frauen.
Instrumentalisierung und Generalverdacht
Beide Fälle – der kriminelle Akt in Potsdam und die juristische Definition in London – werden als „Beweise” gegen die Rechte und die Anerkennung von trans* Menschen herangezogen werden. Sie passen perfekt ins Narrativ derjenigen, die trans* Personen als Bedrohung oder als nicht „echt” darstellen wollen. Es ist die alte Leier: Die Verfehlungen oder komplexen Situationen Einzelner werden genutzt, um einer ganzen Minderheit zu schaden. Diese Taktik wird durch die finanzielle und ideologische Unterstützung aus rechtskonservativen und evangelikalen Kreisen, die strategisch mit TERF-Gruppen kooperieren, massiv verstärkt und professionalisiert.
Wir müssen klar benennen: Weder rechtfertigt die Straftat einer Person, die sich (ob nun vom Gericht anerkannt oder nicht) als trans* identifiziert, eine Diskriminierung aller trans* Menschen, noch darf die Angst vor konstruierten Bedrohungsszenarien dazu führen, hart erkämpfte Rechte wieder abzuschaffen. Gerade weil trans Frauen so oft Gewalt erleben, brauchen sie Schutzräume dringender denn je. Ihnen diesen Schutz zu verwehren, ist nicht nur logisch absurd, sondern menschenverachtend. Die überwältigende Mehrheit der trans* Personen will nichts weiter als sicher und anerkannt leben. Lassen wir nicht zu, dass Einzelfälle – befeuert von gut vernetzten Hass-Allianzen – zur Rechtfertigung für pauschale Ausgrenzung werden, die gerade die schutzbedürftigsten unter uns trifft. *Christian Knuth