Das Bundesverfassungsgericht entschied heute, dass Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, ein drittes Geschlecht eintragen lassen können.
Baby
„Ist es ein Junge oder ein Mädchen?" – Es ist ein Mensch!
Bis Ende kommenden Jahres hat der Gesetzgeber jetzt Zeit, eine Neuregelung zu schaffen, die neben „männlich" und „weiblich" eine dritte Option im Geburtenregister zulässt. Damit diese neue Option nicht wieder zu einer Diskriminierung Andersgeschlechtlicher führt, gab das Gericht den Auftrag, es müsse sich um eine „positive Bezeichnung des Geschlechts" handeln. Der Begriff „sonstiges" dürfte damit schon einmal ausscheiden. Vorgeschlagen wurden unter anderem „divers" und „inter" bzw. „inter/divers".
Der Fall
Geklagt hatte ein Intersexueller, der als Mädchen eingetragen worden war. Dabei hatte eine Chromosomenanalyse ergeben, dass er weder Frau noch Mann ist. Trotzdem verlor er mit seinem Anliegen „inter/divers" eintragen zu lassen durch alle gerichtlichen Instanzen.
Die Empfehlung des Ethikrates
Bereits 2012 hatte der Deutsche Ethikrat, dass „ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung vorliegt, wenn Menschen, die sich aufgrund ihrer körperlichen Konstitution weder dem Geschlecht weiblich noch männlich zuordnen können, rechtlich gezwungen werden, sich im Personenstandsregister einer dieser Kategorien zuzuordnen."
Die Empfehlung des Ethikrates sah vor, dass der Eintrag nach der Geburt ausbleibt, bis die betreffende Person in einem Alter selbst über ein Geschlecht entscheiden könne. Seit 2013 gilt diese Regelung, allerdings mussten sich die Personen dann für „männlich" oder „weiblich" entscheiden.
LSVD mit neuen Beratungsprojekt für Intergeschlechtliche
Intergeschlechtliche Menschen - Menschen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale - sind in Deutschland immer noch wenig sichtbar, ihre Körperlichkeit ist kaum akzeptiert. Variationen der Geschlechtsmerkmale gelten in vielen Fällen weiterhin als behandlungsbedürftig, geschlechtsverändernde Operationen an intergeschlechtlichen Kleinkindern und Kindern finden weiterhin statt. Die Kostendeckung für eine patient_innen-zentrierte medizinische Versorgung ist hingegen oft nicht gesichert. Diskriminierung in der Schule und im Arbeitsleben gehören zur Alltagserfahrung intergeschlechtlicher Menschen. Eine flächendeckende Beratungsstruktur für intergeschlechtliche Menschen und ihre Familien ist noch lange nicht erreicht.
Das neue bundesweit agierende Projekt „Miteinander stärken. Selbstbestimmt intergeschlechtlich leben“ des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) will hier ein Zeichen der Veränderung setzen: Es will Aktivist*innen und Fachkräfte aus der Community und Bündnispartner*innen stärken und mit ihnen gemeinsam Strategien und Bündnisse für gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt entwickeln. Das Projekt wird in Kooperation mit in Kooperation mit Intersexuelle Menschen e.V. und OII Deutschland e.V. durchgeführt.
Reaktionen
Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Geschlechtseintrag von intersexuellen Menschen im Geburtenregister erklärt der Bundesvorsitzende der Liberalen Schwulen und Lesben (LiSL), Michael Kauch:
„Das Bundesverfassungsgericht hat einer neuen Regierungsmehrheit im Bundestag einen klaren Auftrag bis Ende 2018 gegeben. Die Neuregelung für Intersexuelle ist ohne jeden Verhandlungsspielraum zu ändern.
In diesem Zusammenhang sollte in den aktuell stattfindenden Sondierungen zudem eine Reform des weitgehend verfassungswidrigen Transsexuellengesetzes vereinbart werden. Dies gebietet der Sachzusammenhang - in beiden Fällen geht es um die geschlechtliche Identität.
Konkret sollte die Namens- und Personenstandsänderung Transsexueller erleichtert und die Übernahme aller geschlechtsangleichenden Maßnahmen durch die Krankenkassen gesetzlich festgeschrieben werden. Außerdem brauchen wir unbedingt einen konkreten Aktionsplan des Bundes für Vielfalt und gegen Homo- und Transphobie."
Bundesvereinigung Trans* begrüßt BverfG-Urteil zum dritten Geschlechtseintrag
René_ Hornstein vom geschäftsführenden Vorstand der Bundesvereinigung Trans* sagt hierzu: „Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesem Beschluss die Rechte von Menschen gestärkt, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Es hält fest, dass sich nicht mit den zwei Geschlechtern identifizierende Personen in ihrer geschlechtlichen Identität durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt sind und dass sie vor Diskriminierung zu bewahren sind. Sich nicht als Mann oder Frau zu identifizieren darf nicht dazu führen, von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen zu werden oder gar weniger vor Diskriminierung geschützt zu sein. Nun ist der Gesetzgeber aufgefordert, dieses und vergangene Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Situation transgeschlechtlicher und intersexueller Menschen zu berücksichtigen und in Gesetzesvorhaben umzusetzen."
Kai* Brust vom erweiterten Vorstand der Bundesvereinigung Trans* führt aus: „Dieses historische Urteil des Verfassungsgerichts zeigt, dass das Thema geschlechtliche Vielfalt und nicht-binäre Identität einen Schritt weiter in der Gesellschaft angekommen ist. Das Gericht lässt dem Gesetzgeber nun den Spielraum, entweder ganz auf die Registrierung von Geschlecht zu verzichten oder eine dritte positiv benannte Geschlechtsoption zu schaffen. Beide Modelle wurden bereits von der Bundesvereinigung Trans* gefordert. Die Bundesvereinigung Trans* gratuliert den Menschen von der Kampagne zur Dritten Option zum Erfolg!"
Jörg Litwinschuh, Geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH):
„Dieses Urteil ist historisch und eine Stärkung der Rechte und Sichtbarkeit intersexueller Menschen! Eine Änderung des Personenstandsgesetzes war aus unserer Sicht längst überfällig. Intersexuelle Menschen sind nicht krank und nicht behandlungsbedürftig: Das Urteil trägt weit über Deutschland hinaus zur Enttabuisierung, Sichtbarkeit und Akzeptanz intersexueller Menschen bei.“