Versprechen gehalten: Die Europäische Kommission veröffentlichte am 12. November ihre allererste Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ+ in der EU – wie von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union im September angekündigt (wir berichteten). Bei der Strategie handelt es sich um einen fünf-Jahres-Plan, der gezielte Maßnahmen beinhaltet, einschließlich rechtlicher und finanzieller Mittel.
43% der befragten Queers in der EU fühlen sich diskriminiert – 2012 waren dies nur 37%, heißt es in dem Factsheet der Europäischen Kommission, das sich auf die europaweite Befragung durch die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2019 bezieht (m* Hintergrund). Die Kommission hat sich die Daten und Fakten angeschaut und sich mit den Ungleichheiten und Herausforderungen, denen die Community gegenübersteht, beschäftigt. Der Rechtsruck in der EU sowie die Beschneidungen von Grundrechten queerer Menschen in diversen Mitgliedsstaaten dürften dazu beigetragen haben, dass das Thema recht weit oben auf der Agenda der Kommission stand und nicht im Schreibtisch versauerte. Erst in dieser Woche verschärfte sich die Situation für Queers noch einmal in Polen (wir berichteten) und Ungarn (wir berichteten).
Hat erst die Bundeswehr gequeert und will das nun auch mit Europa tun: Ursula von der Leyen
Ebenso wichtig: das in der Thematik nachhaltig engagierte Drei-Frauen-Team aus Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Vizepräsidentin, sowie der Kommissarin für Werte und Transparenz, Vera Jourová und Gleichstellungskommissarin Helena Dalli. Die EU möchte endlich, wie von vielen Queeraktivist*innen gefordert und gehofft, aktiv einschreiten. In den kommenden fünf Jahren soll sichergestellt werden, dass queere Menschen „in all ihrer Vielfalt sicher sind und die gleichen Chancen auf Wohlstand und volle Teilhabe an der Gesellschaft in allen EU-Ländern haben“, so die Kommission.
• Sicherheit von Leib und Leben
Die Verbesserung der Sicherheit von Queers ist eines der vier Kernbereiche der Strategie: Für 2021 ist eine Initiative geplant, um Hassdelikte in die Liste der EU Verbrechen aufnehmen zu lassen – einschließlich homophober Hassverbrechen und homophober Hassreden. Auch Geld soll fließen, um Hassverbrechen gegen Queers zu verhindern: Finanzierungsmöglichkeiten werden bereitgestellt, um Initiativen zu unterstützen, die auf die Bekämpfung von Hassdelikten, Gewalt und Hassreden gegen Mitglieder der Community abzielen.
• Kampf gegen Diskriminierung
In der Strategie wird der rechtliche Schutz vor Diskriminierung als Schlüssel zur Förderung der LGBTIQ*-Gleichstellung bezeichnet. Die Kommission plant, hierzu eine Bestandsaufnahme durchzuführen, insbesondere im Bereich der Beschäftigung. Der Bericht über die Anwendung der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf wird bis 2022 veröffentlicht. Im Anschluss an den Bericht wird die Kommission etwaige Rechtsvorschriften vorschlagen, insbesondere zur Stärkung der Rolle der Gleichbehandlungsstellen und bezogen auf die Gefahr der Diskriminierung in Systemen der künstlichen Intelligenz.
• Regenbogenfamilien
Auch um den Schutz von queeren Familien ist die Kommission besorgt, da aufgrund unterschiedlicher nationaler Gesetzgebung diverse Familienbande nicht immer anerkannt werden, sobald die Familie EU-Binnengrenzen überschreitet. Da dies zu Problemen und Leid, besonders auch bei den Kindern, führen kann, soll eine Gesetzesinitiative veröffentlicht werden, die die wechselseitige Anerkennung von Elternschaft fordert. Außerdem soll geprüft werden, ob dies auch für die wechselseitige Anerkennung von geschlossenen zivilen Partnerschaften und Ehen gelten kann.
• Internationaler Einfluss
Ferner möchte die Kommission Maßnahmen zur LGBTIQ*-Gleichstellung auch in Ländern außerhalb der EU vorantreiben und global tätig werden. Im Rahmen des Instruments für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI), des Instruments für Heranführungshilfe (IPA) und des Asyl- und Migrationsfonds sollen diverse Möglichkeiten geprüft werden.
Grundrechte sind keine Ideologie
„Das ist es, worum es in Europa geht und wofür wir stehen“
sagte die Vizepräsidentin und Kommissarin für Werte und Transparenz, Věra Jourová bei der Vorstellung der Strategie in Brüssel.
Die tschechische Politikerin betonte dass sich in der EU jeder frei fühlen sollte, so zu sein wie er ist – ohne Angst oder Verfolgung. Sie sagte:
„Diese erste Strategie auf EU-Ebene wird unsere gemeinsamen Anstrengungen verstärken, um sicherzustellen, dass jeder gleich behandelt wird.“
Es gehe daher auch nicht um vermeintliche westliche Ideologien sondern um die grundlegenden Rechte von EU-Bürger*innen.
Helena Dalli, die Kommissarin für Gleichstellung, verkündete im Juli die ersten Sanktionen der EU gegen polnische Kommunen, die sich als „LGBT-freie Zonen“ deklariert hatten: Ihnen wurden finanzielle Mittel verweigert (wir berichteten). Zur nun vorgelegten Strategie ließ die maltesische Sozialdemokratin mitteilen:
„Von der vollen Einbeziehung und Akzeptanz, die LGBTIQ-Menschen verdienen, sind wir noch weit entfernt. Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten vertraue ich darauf, dass wir Europa zu einem besseren und sichereren Ort für alle machen können.“
Foto: EU Kommission
Helena Dalli, EU-Kommissarin für Gleichstellung
Die EU habe sich durch die Strategie als ein Vorbild im Kampf für Vielfalt und Integration behauptet, dem andere folgen müssten, so Dalli. Auch sie betonte, Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung seien Grundwerte und Grundrechte der Europäischen Union.
„In dieser Hinsicht fordert die Strategie diejenigen Mitgliedstaaten, die keine nationale LGBTIQ-Gleichstellungsstrategie haben, auf, eine solche zu verabschieden und dabei die spezifischen Gleichstellungsbedürfnisse der LGBTIQ-Menschen in ihrem Land zu berücksichtigen.“
Damit ist übrigens auch Deutschland angesprochen, das nach wie vor auf dem queerphoben Auge blind ist und unter anderem die aktuelle Antidiskriminierungsrichtlinie der EU seit dem Jahr 2008 blockiert. Die nächsten fünf Jahre werden zeigen, ob der Mix aus Anreizen finanzieller Art und klaren Vorgaben funktioniert und Veränderungen für ein Europa der Gleichheit erreicht werden.