
Am 27. Juni 2025 hat die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag eine „Große Anfrage“ (Drucksache 21/683) zum Thema „Förderung sowie Unterstützung von LGBTIQ*- und Gender-Projekten sowie Abtreibung im Ausland“ eingereicht. Das umfangreiche Dokument mit 101 Fragen ist nicht nur eine Ansammlung von Detailfragen an die Bundesregierung; es ist ein strategisches Manöver, um die fortschrittliche Außen- und Entwicklungspolitik Deutschlands im Bereich der Menschenrechte, insbesondere in Bezug auf LGBTIQ*-Rechte und reproduktive Gesundheit, anzugreifen und zu delegitimieren. Die Anfrage selbst dient als Plattform zur Verbreitung reaktionärer Narrative und zur Infragestellung international anerkannter Menschenrechtsstandards.

Foto: Odd Andersen / AFP
AfD Bundestagsabgeordneter Beatrix Storch
Die Bundesregierung fördert und unterstützt weltweit Nichtregierungsorganisationen, die sich für LGBTIQ*-Rechte einsetzen. Dies basiert auf dem LSBTI-Inklusionskonzept für die Außen- und Entwicklungspolitik, das bereits im März 2021 unter einer unionsgeführten Bundesregierung verabschiedet wurde. Auch der „Aktionsplan Queer leben“ von 2022 sieht Maßnahmen zur Unterstützung von Queers im Bereich der Außenpolitik vor. Die 2023 veröffentlichten Leitlinien des Auswärtigen Amtes für eine feministische Außenpolitik fokussieren sich ebenfalls auf Genderfragen, „marginalisierte Gruppen“ (LSBTI beziehungsweise LGBTIQ*) sowie die „reproduktive Gesundheit“.
Obwohl die Fragesteller betonen, „dass sie für die Rechte von Homosexuellen im Rahmen der allgemeinen Menschenrechte eintreten“, widerspricht der Ton und Inhalt der Anfrage dieser Behauptung fundamental. Die wiederholte Infragestellung von Begriffen wie „reproduktive Gesundheit“ (oft als „lies: Abtreibung“ kommentiert) oder die kritische Beleuchtung der Unterstützung von Kampagnen zur Legalisierung der sogenannten „Homo-Ehe“ zeigt eine klare ablehnende Haltung gegenüber diesen Rechten.
Eine Analyse der Provokation: Punktgenaue Missinterpretation

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AfD Bundestagsabgeordneter Beatrix Storch
Die AfD scheint den Bericht des Aktionsplans „Queer leben“ sehr selektiv und „punktiert“ zu lesen, um daraus provokative Fragen zu generieren.
Tatsächlich hätten sich etwa ein Drittel bis ein gutes Drittel (circa 30 – 35 %) der gestellten Fragen bereits durch eine gründlichere Lektüre des Berichts selbst beantworten lassen.
Viele Fragen zielen zudem auf sehr spezifische Finanzierungsbeträge, detaillierte rechtliche Einschätzungen oder Meinungsbildungen der Bundesregierung zu kontroversen Themen ab.
Tools, die genutzt werden können, Ressentiments zu schüren und die Politik der Bundesregierung in ein negatives Licht zu rücken.
Ein klassisches Beispiel dafür, wie Anfragen im Parlament missbraucht werden können, um eine politische Agenda voranzutreiben, die auf Ablehnung und Spaltung basiert.
Unsere Flop 3 Fragen: Offene Feindseligkeit und Diffamierung

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AfD Bundestagsabgeordneter Beatrix Storch
Unter den 101 Fragen hat die männer* Redaktion drei herausgesucht, die die ideologische Stoßrichtung der AfD besonders deutlich machen. Sie fragen keine Informationen ab, sondern transportieren implizit diskriminierende Haltungen und sollen das Engagement für Menschenrechte untergraben:
Frage 57: Abnehmende „Soft Power“ Deutschlands aufgrund von Gender-, LSBTIQ- und Abtreibungsrechten.**
„Hat sich die Bundesregierung zu den Gründen und Ursachen der abnehmenden Soft Power, also der kulturellen Attraktivität Deutschlands, eine Auffassung gebildet, und wenn ja, wie lautet diese, insbesondere im Hinblick auf die nach den Fragestellern mögliche Unattraktivität der von Deutschland vertretenen Gender-, „Rechte“, „LGBTIQ-Rechte“ und dem nach Auffassung der Fragesteller vermeintlichen Recht auf Abtreibung, welche den traditionellen Werten im Globalen Süden und weiten Teilen der Welt widersprechen (vgl. www.heritage.org/life/commentary/us-promotion-abortion-abroad-ideological-colonialism-not-gender-equality), und welche Schritte will die Bundesregierung gegebenenfalls unternehmen, um der abnehmenden Soft Power Deutschlands entgegenzuwirken (bitte begründen, vgl. brandirectory.com/softpower/ranking [2020: Deutschland auf Rang 2; 2024: Deutschland auf Rang 5] sowie www.fr.de/panorama/umfrage-frankreich-deutschland-zusammenarbeit-wirtschaft-politik-arbeit-sympathie-respekt-macron-93516249.html)?“
Diese Frage ist perfide. Sie versucht, die Anerkennung von Menschenrechten als Ursache für einen angeblichen „Soft Power“-Verlust darzustellen. Sie spielt traditionelle Werte gegen universelle Rechte aus und suggeriert, dass Deutschlands Engagement für Gleichheit und Selbstbestimmung im globalen Süden als „ideologischer Kolonialismus“ wahrgenommen wird. Dies ist ein direkter Angriff auf die Grundfesten einer wertegeleiteten Außenpolitik.
Frage 78: Legitimation russischer Menschenrechtsverletzungen durch „traditionelle Werte“.
„Aus welchen rechtlichen Gründen begreift es die Bundesregierung als einen Menschenrechtsverstoß, wenn Russland „zur Erhöhung der Geburtenrate traditionelle Werte“ und Rollenbilder [fördert] sowie die „Thematisierung und Ausleben von LGBTIQ+-Orientierung im öffentlichen Raum sowie Geschlechtsumwandlungen“ verbietet (vgl. dserver.bundestag.de/btd/20/144/2014480.pdf, S. 123)?“
Die Frage offenbart eine alarmierende Tendenz zur Relativierung von Menschenrechtsverletzungen. Indem sie Russlands repressive Politik gegenüber LGBTIQ* unter dem Deckmantel „traditioneller Werte“ in Frage stellt, versucht die AfD, autoritäre Praktiken zu legitimieren und die deutsche Position zur Verteidigung von Menschenrechten als unbegründet darzustellen. Dies ist ein Angriff auf die universelle Geltung der Menschenrechte.
Frage 99: Schaffung eines Tages gegen „Christophobie“ zur Instrumentalisierung religiöser Gefühle.
„Sieht die Bundesregierung einen Anlass, ähnlich zum „Internationalen Tag gegen Homophobie, Biphobie und Transphobie“ einen Tag gegen Christophobie (Christenfeindlichkeit) einzurichten beziehungsweise für dessen Einrichtung mit der Initiierung einer Resolution in der UN-Generalversammlung einzutreten (bitte begründen)?“
Hier wird versucht, die Anliegen von Christen, gegen die Anliegen von LGBTIQ*-Personen auszuspielen. Die Frage instrumentalisiert religiöse Gefühle, um eine Täter-Opfer-Umkehr zu inszenieren und die Bedeutung des Internationalen Tages gegen Homophobie, Biphobie und Transphobie zu untergraben. Ein Versuch, Spaltung zu säen und die Dringlichkeit des Schutzes von LGBTIQ*-Rechten zu relativieren.