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Olaf Scholz
Seit Mittwochabend gehört die Ampel-Koalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz der Vergangenheit an – was bedeutet das für die Reformen und Projekte im Bereich der Queerpolitik? Was zunächst als vielversprechender Aufbruch für die Rechte und Gleichstellung von LGBTIQ*-Personen begann, steht nun auf wackeligen Beinen.
Hintergründe des Koalitionsbruchs
Die Ampel-Koalition zerbrach an unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Bundeskanzler Scholz entließ den Finanzminister Christian Lindner (FDP), was zu einem Dominoeffekt führte und den Rücktritt weiterer FDP-Minister zur Folge hatte. Verkehrsminister Volker Wissing kündigte an, sein Ministeramt zwar weiterhin ausüben zu wollen, allerdings die FDP zu verlassen. Die SPD will vorerst mit den Grünen in Minderheit weiterregieren. Grundlegende Fragen zur politischen Stabilität und zur künftigen Ausrichtung des Landes bleiben unbeantwortet.
Erreichte Fortschritte in der Queerpolitik
Die Ampel-Koalition kann für die Kürze ihrer Amtszeit einige Fortschritte in der Queerpolitik verzeichnen. Darunter die verstärkte Bekämpfung von queerfeindlicher Hasskriminalität und die Aufhebung der Einschränkungen bei der Blutspende für schwule Männer. Als weiterer Meilenstein gilt das kürzlich in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz, das es Menschen fortan erleichtert, ihren Geschlechtseintrag selbstbestimmt zu ändern.
Gefährdete queerpolitische Projekte
Das Ende der Koalition bringt zahlreiche Reformen und Projekte, die sich noch in der Planungsphase befinden, in Unsicherheit. Eine der zentralen Reformen, die gefährdet ist, betrifft das Abstammungsrecht. Diese Reform hätte das Ziel gehabt, queere Familien zu stärken und rechtliche Diskriminierungen für nicht-biologische Elternteile in lesbischen Partnerschaften abzubauen. Aktuell sind diese Elternteile gezwungen, eine Stiefkindadoption durchzuführen, um rechtliche Sicherheit zu erhalten. Zu weiteren Initiativen gehört der Aktionsplan „Queer leben" – ein umfassender Maßnahmenkatalog zur Unterstützung und zum Schutz queerer Menschen. Ohne die Unterstützung einer stabilen Regierung droht dieser Aktionsplan auf unbestimmte Zeit verschoben zu werden.
Auch die geplante Erweiterung des Diskriminierungsschutzes im Grundgesetz steht auf der Kippe. Die Aufnahme der „sexuellen Identität“ in Artikel 3 des Grundgesetzes hätte eine grundlegende Veränderung in Richtung umfassender Gleichstellung gebracht, jedoch erfordert sie eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Ob dieses Ziel nun noch realisierbar ist, bleibt fraglich. Die Modernisierung des Familienrechts, die eine rechtliche Anpassung an die Realität vielfältiger Familienformen ermöglichen und die soziale Absicherung aller Kinder gewährleisten sollte, ist ebenfalls in Gefahr. Dieses Vorhaben wäre ein bedeutender Schritt in der Anerkennung und Absicherung diverser Lebensgemeinschaften gewesen.
Reaktionen und Forderungen
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) reagierte mit Enttäuschung auf das Ende der Ampel-Koalition, zeigte sich jedoch entschlossen, weiterhin für die Umsetzung der vereinbarten Ziele zu kämpfen. Für den LSVD-Bundesvorstand, vertreten durch Henny Engels, galt der Koalitionsvertrag als Hoffnungsträger für spürbare Verbesserungen der Rechte von queren Personen.
Auch Vertreter*innen der Linkspartei, darunter Daniel Bache und Frank Laubenburg von Die Linke queer, äußerten ihre Enttäuschung und ihre Besorgnis über das Koalitionsende. Sie fordern, dass die rechtliche Gleichstellung queerer Menschen verfassungsrechtlich verankert wird, um Rückschritte bei Errungenschaften wie der Ehe für alle zu verhindern.
Ausblick und mögliche Konsequenzen
Das abrupte Ende der Ampel-Koalition wirft viele Fragen über die Zukunft der queerpolitischen Agenda in Deutschland auf. Die Befürchtung, dass wichtige Reformen und Projekte auf unbestimmte Zeit verschoben oder sogar vollständig aufgegeben werden könnten, ist allgegenwärtig. Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, ob und in welcher Form die begonnenen Initiativen weitergeführt werden können. Scholz will im Januar die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Danach könnte es laut Scholz bis Ende März Neuwahlen geben. *Quellen: LSVD, Tagesschau, Mediendienst Integration, Zeit