Die Entscheidung zur Wiederholung von Bezirks- und Abgeordnetenhauswahlen kam zwar nicht überraschend, allerdings kam sie so spät, dass Parteien zum Redaktionsschluss der aktuellen Wahlausgabe unserer blu noch gar nicht im Wahlkampfmodus organisiert waren. Geschafft hat es aber neben der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) auch Stefan Evers, Mitglied des Abgeordnetenhauses, Generalsekretär der CDU Berlin. Unser Interview:
Foto: Dirk Reitze
Die FDP sagt, an der Neuwahl seien alle Parteien schuld inklusive der CDU. Welche Versäumnisse habt ihr zu verantworten?
Die FDP würde wie die SPD die Verantwortung für das Wahlchaos am liebsten den Bezirken zuschieben. Das kennen wir, das wird in Berlin gerne so gemacht. Die Bezirke allerdings haben den Senat frühzeitig gewarnt, dass die Wahl unter den gegebenen Umständen nicht reibungslos funktionieren konnte. Das hat Andreas Geisel genauso ignoriert wie die Warnungen der Landeswahlleitung. Bemerkenswert, dass er immer noch im Amt ist.
Was sagt es über den Zustand der rot-rot-grünen Regierung aus, wenn erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Landeswahl wiederholt werden muss?
Es ist das erste Mal, dass eine Landesregierung nicht einmal in der Lage war, eine funktionierende Wahl sicherzustellen. Das sagt eigentlich alles über diesen Senat aus. Das Urteil des Verfassungsgerichts zur Wahlwiederholung kann man ja nur so verstehen: So wie Berlin regiert wird, so darf es nicht bleiben.
Wenn es so schlecht um die Strukturen der Verwaltung bestellt ist, wie soll ein Senat unter Führung der CDU dies überhaupt in absehbarer Zeit beheben können?
Berlin ist nicht auf dem Mars gebaut. Es braucht keine Raketenphysik, um die Strukturen der Stadt gründlich zu reformieren. Wir können uns ein Beispiel an Hamburg nehmen: Eine Millionenstadt, ebenfalls in Bezirke gegliedert. Und so ziemlich alles funktioniert dort besser, weil Zuständigkeiten klar geregelt sind und es eine starke gesamtstädtische Steuerung gibt. Das geht auch in Berlin.
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Foto: M. Rädel
Berlin
Friedrich der Große als Skulptur in den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte: Der alte Fritz gilt als Urvater des liberalen Berlin – ginge es nach ihm, sollte jede*r Berliner*in „nach seiner Façon selig werden“. Seinen Job als absolutistischer Herrscher fasste er ebenfalls im Sinne der Aufklärung auf und bezeichnete sich als „ersten Diener des Staates.“ Wahlen musste der mit – teilweise selbst gestreuten – Homogerüchten fast schon kokettierende Alleinherrscher im Gegensatz zu den in unserem Wahlspezial Vorgestellten freilich nicht über sich ergehen lassen.
Schaut regelmäßig auf männer.media/topics/wahlen und männer.media/regional/blu vorbei, um dort unter anderem ein Interview mit der Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarrasch zu lesen. Ihr Einsatz für immerhin die Hälfte der Berliner*innen, die kein KFZ führen, polarisierte enorm und könnte die Wahl mitentscheiden. Auch DIE LINKE wittert ob der Dramatik auf dem Wohnungsmarkt Morgenluft – in neues juristisches Gutachten sieht doch noch Chancen, den Mietenvolksentscheid umzusetzen und tausende Wohnungen unter Marktpreis aus den Fahrwassern von Wohlstandsvermehrung grauer Kapitalmarktteilnehmer in kommunales Eigentum rückzuführen. Wir sprachen mit Gloria Viagra, die im mondänen aber irgendwie auch immer noch alternativen Bezirk Prenzlauer Berg um Stimmen für die Sozialisten kämpft. Auch die FDP wird sicher noch den ein oder anderen Wahlkampfcoup produzieren.
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Was wären die drei wichtigsten Maßnahmen, die ein CDU-geführter Senat in Angriff nehmen würde.
Berlin braucht eine Staatsreform. Die Stadt muss endlich für alle funktionieren. Das ist nach der Wahl die wichtigste Aufgabe. Sie muss im Schulterschluss der demokratischen Parteien gelingen. Das ist sicher ein Kraftakt, und wir haben nicht viel Zeit. Aber es kann bis zum Ende der Legislaturperiode gelingen und spätestens ab 2027 in Fahrt kommen. Ein besseres Berlin ist möglich. Es geht auch darum, Berlin gut durch die Krise zu bringen – das Abgeordnetenhaus hat drei Milliarden Euro für Unterstützung und Entlastungen der Berlinerinnen und Berliner bereitgestellt. Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Geld schnell und unbürokratisch bei denen ankommt, die es wirklich brauchen. Wir müssen auch das Lagerdenken in der Verkehrspolitik überwinden. Anstatt das Auto überall verbieten zu wollen, brauchen wir smarte, pragmatische, angepasste Lösungen. Wir werden den Ausbau von Park&Ride-Plätzen vorantreiben, die Ladeinfrastruktur für Elektromobilität voranbringen und die A100 fertig bauen, um die Innenstadt vom Verkehr zu entlasten. Kreuzungen müssen für Radfahrer sicher werden, und wo wir schon beim Thema Sicherheit sind: Videoüberwachung an Fahrradparkplätzen würde dafür sorgen, dass man sein Rad an den Bahnhöfen endlich sicher abstellen kann.
An welcher Stelle kommt die Unterstützung der Berliner Community in Deutschlands queerer Hauptstadt?
Wir alle sind auch Berliner und wollen in dieser Stadt gut und sicher leben. Eine Politik für alle ist auch eine Politik für die queere Community. Aber natürlich wollen wir auch in diesem Bereich Schwerpunkte setzen. Die Bekämpfung von Hasskriminalität steht bei der CDU naturgemäß weit oben, aber auch kaum beachtete Themen wie das queere Leben im Alter wollen wir stärker in den Fokus rücken.
Gegenwärtig scheint es politisch gewollt zu sein, dass die Polizei den nationalstaatlichen Hintergrund von Gewalttätern gegenüber LGBTIQ*-Mitgliedern nicht nennt. Für wie hilfreich hältst du das?
Ich finde, wer Probleme nicht benennt, der leistet keinen Beitrag zu ihrer Lösung. Hier geht es ja nicht um das Ausspielen von Minderheiten gegeneinander – es geht darum, gezielte Präventionsarbeit leisten zu können in bestimmten Milieus und Communitys.
Was will die CDU gegen die Ausweitung von Parallelgesellschaften in Berlin durch fehlgesteuerte Zuwanderung unternehmen?
Deutschland ist mehr denn je auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen. Deshalb plädiere ich auch für ein modernes, liberales Einwanderungsrecht – aber gleichzeitig für ein restriktives Asylverfahrensrecht. Die aktuellen Regeln für Asylverfahren werden vielfach missbraucht und laufen faktisch auf eine ungesteuerte Zuwanderung hinaus. Die Probleme erleben wir täglich. Leider wird diese Debatte nicht sachlich geführt und von rechts wie links vergiftet.
Wo sieht sich Stefan Evers in einem neuen Senat?
Hauptsache, ich kann einen Beitrag dazu leisten, dass Berlin besser funktioniert. Dafür gibt es an allen Ecken und Enden eine Menge zu tun.
*Interview: Olaf Alp