Am kommenden Sonntag blickt Europa – und ganz besonders die queere Community – mit angehaltenem Atem nach Polen. Die Präsidentschaftswahl steht an, und selten war eine Richtungswahl so wegweisend für die Zukunft des Landes und die Rechte von LGBTIQ*-Menschen. Auf der einen Seite steht der liberale, pro-europäische Hoffnungsträger Rafal Trzaskowski, auf der anderen der rechtsnationalistische, von der PiS gestützte Karol Nawrocki, ein Mann, dessen Vorbild Donald Trump ist. Man ahnt, was das für uns bedeuten könnte.
Die Kandidaten im Queer-Check
Rafal Trzaskowski (53): Hoffnungsschimmer für eine progressive Wende

Foto: Marcin Golba / NurPhoto / AFP
Rafal Trzaskowski
Rafal Trzaskowski
Der amtierende Bürgermeister von Warschau ist vielen noch von der knappen Niederlage gegen den bisherigen PiS-Präsidenten Andrzej Duda 2020 in Erinnerung. Trzaskowski, Mitglied der liberalen Bürgerplattform von Premierminister Donald Tusk, gilt als polyglotter Intellektueller (Kritiker nennen ihn spöttisch „Bonjour“) und überzeugter Europäer. Entscheidend für uns: Er hat sich wiederholt für die Rechte von Frauen und gleichgeschlechtlichen Paaren starkgemacht. Als Bürgermeister von Warschau unterzeichnete er eine Erklärung zum Schutz der Queer-Community – ein Affront für die Rechtsnationalen. Ein Sieg Trzaskowskis würde der Regierung Tusk den nötigen Spielraum geben, um dringend benötigte Reformen anzustoßen, etwa beim Abtreibungsrecht, aber potenziell auch bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, ein Thema, das die Tusk-Regierung bereits auf der Agenda hat. Die PiS-Blockade durch Präsident Duda könnte mit Trzaskowski endlich ein Ende haben.
Karol Nawrocki (42): Düstere Aussichten mit dem PiS-Schattenmann

Foto: Andrzej Iwanczuk / NurPhoto / AFP
Karol Nawrocki
Karol Nawrocki
Der Historiker Nawrocki tritt zwar parteilos an, wird aber massiv von der rechtsnationalistischen PiS unterstützt – jener Partei, die Polen von 2015 bis 2023 regierte und das Land mit ihrer LGBTIQ*-feindlichen Rhetorik und Politik („LGBT-freie Zonen“, Angriffe auf die „Gender-Ideologie“) international isolierte. Nawrockis Wahlkampfslogan „Polen zuerst“ und seine Bewunderung für Donald Trump lassen Böses erahnen. Sein Fokus auf eine angebliche „nationale Identität“ und die Kritik an Hilfen für ukrainische Flüchtlinge („fehlende Dankbarkeit“) zeichnen das Bild eines Mannes, der eher auf Spaltung als auf Versöhnung setzt. Für die queere Community in Polen, die unter der PiS-Regierung massiv gelitten hat und immer noch um grundlegende Rechte kämpft, wäre eine Präsidentschaft Nawrockis ein herber Rückschlag. Seine Präsidentschaft würde wohl eine Fortsetzung der Blockadepolitik Dudas bedeuten und jegliche progressive Gesetzgebung, insbesondere im Bereich Queer-Rechte, mit einem Veto belegen.
Was steht konkret auf dem Spiel?
Polen rangiert auf der „Rainbow Map“ von ILGA-Europe seit Jahren auf einem der hintersten Plätze innerhalb der EU, was die Rechte und die soziale Akzeptanz von LGBTIQ*-Personen angeht. Die aktuelle Regierung unter Donald Tusk hat zwar erste Schritte unternommen, um das Rad zurückzudrehen und beispielsweise die Finanzierung von Organisationen zu stoppen, die gegen LGBTIQ*-Rechte hetzen. Auch über die Einführung von eingetragenen Lebenspartnerschaften wird diskutiert. Ein Präsident Nawrocki hätte jedoch die Macht, solche Gesetzesvorhaben per Veto zu stoppen und die unter der PiS etablierte queerfeindliche Rhetorik fortzuführen.
Mit der jüngst veröffentlichten Rainbow Map 2025 liefert ILGA-Europe ein umfassendes Bild der rechtlichen Lage von LGBTIQ*-Personen in 49 europäischen Staaten.
Die PiS-Jahre haben gezeigt, wie schnell ein gesellschaftliches Klima kippen kann. Die systematische Dämonisierung von LGBTIQ*-Menschen durch staatliche und staatsnahe Medien hat tiefe Wunden hinterlassen. Während Trzaskowski für einen Bruch mit dieser Vergangenheit steht und die Chance auf eine offenere, tolerantere Gesellschaft verkörpert, droht mit Nawrocki eine Zementierung des Status quo oder gar eine weitere Verschärfung.
Externe Einflüsse und die Macht des Präsidenten

Foto: Wojtek Radwanski / AFP
Polen Präsidentschaftswahl
Die Wahl bewegt in Polen die Massen
Zusätzlich brisant wird die Wahl durch Berichte über russische Einflussnahmeversuche mittels Fake-Accounts in sozialen Medien, die polarisierende Themen wie Migration und Sicherheit befeuern. Auch Trumps offene Unterstützung für Nawrocki („Du wirst gewinnen“) wirft Fragen auf. Der polnische Präsident hat zwar begrenzte exekutive Befugnisse, ist aber Oberbefehlshaber der Streitkräfte, gestaltet die Außenpolitik mit und hat vor allem ein Vetorecht bei Gesetzen. Dieses Veto kann nur mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament überstimmt werden – eine hohe Hürde.
Stichwahl wahrscheinlich
In aktuellen Umfragen liegt Trzaskowski mit rund 32,5 Prozent vor Nawrocki (ca. 25 Prozent). Es ist jedoch davon auszugehen, dass keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht. Eine Stichwahl am 1. Juni gilt als sehr wahrscheinlich und wird dann zur eigentlichen Zerreißprobe.
Für die LGBTIQ*-Community in Polen und für alle, denen ein offenes, demokratisches und europäisches Polen am Herzen liegt, sind die kommenden Wochen von entscheidender Bedeutung. Die Wahl zwischen Trzaskowski und Nawrocki ist eine Wahl zwischen Hoffnung auf Fortschritt und der Angst vor einem weiteren Rückfall in dunkle Zeiten. *ck/AFP/Redaktion