In Münster sucht die Polizei nach einer brutalen Prügelattacke auf einen Helfer am Rande einer Veranstaltung zum Christopher Street Day (CSD) weiter nach dem Tatverdächtigen. Inzwischen seien schon mehrere Hinweise eingegangen, sagte eine Polizeisprecherin am Dienstag in der nordrhein-westfälischen Stadt. Zudem seien für Dienstag weitere Zeugenvernehmungen geplant, die hoffentlich neue Ansätze und eine „heiße Spur“ erbrächten.
Der Tathergang
Ein Unbekannter hatte am Samstag während der CSD-Demonstration in Münster nach Angaben der Polizei mehrere Teilnehmerinnen massiv homophob beleidigt und bedroht. Als ein 25-jähriger Zeuge einschritt, schlug er diesem mehrfach mit der Faust ins Gesicht. Der Helfer verlor das Bewusstsein und stürzte rückwärts mit dem Hinterkopf auf den Boden. Er wurde mit schwersten Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Sein Zustand war laut Polizeisprecherin am Dienstag weiterhin ernst.
Die Tätersuche
Laut Zeugen handelte es sich bei dem Angreifer um einen jungen Mann im Alter von etwa 18 bis 20 Jahren. Nach der Attacke entfernte er sich mit einem etwa gleichaltrigen Begleiter. Die Polizei richtete eine Ermittlungskommission zur Aufklärung ein und bat Zeuginnen und Zeugen um Hinweise auf den Verdächtigen, der unter anderem eine sehr weit geschnittene Jeans und einen Anglerhut trug.
Die Metaebene
Foto: Christian Knuth
Georg Roth
Vorstandsmitglied Georg Roth (Dritter von Links) von der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) bei der Auftaktveranstaltung zum „Nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie" der SPD-Bundestagsfraktion im Mai 2016. Rechts im Bild SCHWUSO-Bundesvorsitzender Ansgar Dittmar und Alfonso Partisano von Enough is Enough.
Was ist außer Entsetzen als Reaktion auf eine solche Tat möglich? Seit über zehn Jahren erforscht Berlin mit der Initiative Berlin tritt ein für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt (ISV) das in einem bundesweit bis heute leider einmaligen und erfolgreichen Feldversuch. Seit ebenfalls inzwischen über zehn Jahren steht ein Teil der ISV als Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie in den Koalitionsverträgen von inzwischen der vierten Bundesregierung. Arnulf Sensenbrenner, Landesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) NRW, wendet sich dahingehend in einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit und die Politik:
In diesen Stunden sind unsere Gedanken bei Malte, seinen Angehörigen und Freund*innen. Wir hoffen, dass er sich von dem brutalen Angriff wieder vollständig erholen kann. Die Polizei Münster und der polizeiliche Staatsschutz müssen diese transfeindliche Gewalttat schnell aufklären und als das einordnen, was sie ist: eine politisch motivierte Straftat.
Wenn unsere Community noch nicht einmal beim Christopher-Street-Day sicher ist, zeigt das, wie sehr LSBTIQ*-feindliche Hasskriminalität unsere Freiheit einschränkt. Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche, nicht-binäre und queere Menschen haben ein Grundrecht darauf, frei und sicher leben zu können. Es ist die Aufgabe des Staates, diese Grundfreiheiten zu garantieren und zu schützten.
Sowohl im Bund als auch in Nordrhein-Westfalen brauchen wir ein engagiertes Zusammenwirken von Politik, Sicherheitsbehörden, Justiz und Zivilgesellschaft. Zwar fördert das Land NRW derzeit den Aufbau einer Meldestelle „Queerfeindlichkeit“, jedoch brauchen wir deutlich mehr Maßnahmen, die vor allem auch in der Fläche wirken. Dazu gehört nicht nur die Benennung von hauptamtlichen LSBTIQ*-Ansprechpersonen bei der Polizei und den Staatsanwaltschaften. Die Behörden müssen bei der Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt auch verstärkt mit LSBTIQ*-Organisationen zusammenarbeiten, um Vertrauen zu schaffen, Opfern angemessen zu helfen und damit die Anzeigebereitschaft zu steigern. Es braucht zielgenaue Konzepte zur Prävention, zur Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz sowie zur ausreichenden Unterstützung von Opferhilfe-Einrichtungen.
Jeden Tag gibt es mindestens drei Gewalttaten gegen LSBTIQ* – über 1.000 Taten allein im Jahr 2021. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs der gemeldeten Taten. Tagtäglich werden in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche, nicht-binäre und queere Menschen (LSBTIQ*) in Gewalt ausleben.
Kommission des BMI konstituiert sich
Foto: Rosa Geschichte. Schwul-lesbisches Archiv Münster / Repro: Stadt Münster.
CSD Münster
In Münster fand 1972 die erste Schwulendemonstration der Bundesrepublik statt. Es war der erste CSD in Deutschland.
➡️ zum Artikel Erste Schwulendemo 1972
➡️ zum Artikel Münster erhält queere Dauerausstellung
Immerhin kann Sensenbrenner aber Fortschritte der im Dezember bei der Innenministerkonferenz geforderten Kommission zur Erarbeitung von Strategien und Maßnahmen gegen LGBTIQ*-Feindlichkeit (männer* berichtete) vermelden.
Nachdem das BMI mehr als ein halbes Jahr zu dieser Kommission geschwiegen hat, soll im September die erste Auftaktsitzung des Arbeitskreises „Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt“ stattfinden. Der LSVD-Bundesverband wird Teil dieses Arbeitskreises sein.
*AFP/bro/ckm/LSVD-NRW/ck
Hintergrundinformationen
- Homophobe Gewalt: Angriffe auf Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) - Zahlen/ Statistik zu homophober und transphober Gewalt / PMK Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung
- Alltag: Homophobe und transfeindliche Gewaltvorfälle in Deutschland - Chronik von Straftaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI)