Im Prozess um den tödlichen, homophob-islamistisch motivierten Messerangriff in Dresden hat das sächsische Oberlandesgericht die Höchststrafe gegen den Angeklagten verhängt. Das Gericht verurteilte Abdullah A. unter anderem wegen Mordes und versuchten Mordes sowie gefährlicher Körperverletzung am Freitag zu lebenslanger Haft.
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Es ist eine Gewalttat mit Ansage. Über Jahre hat sich Abdullah A. radikalisiert, er wirbt für die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat und erwägt einen Anschlag in Deutschland. Im vergangenen Oktober dann sticht er in Dresden zu, tötet einen Menschen und verletzt einen weiteren schwer - aus "religiöser Verblendung" und "tiefverwurzelter Homophobie", Dass er die gerichtliche Instanz nicht anerkennt, macht A.einmal mehr deutlich, indem er beim Eintreten der Richter demonstrativ sitzen bleibt. Reue zeigt A. mit keiner Silbe. Gegenüber dem psychiatrischen Gutachter schildert er aber stundenlang Details und Motive seiner Tat, was als Geständnis gewertet wird.
Der als islamistischer Gefährder eingestufte Syrer Abdullah A. (21) soll am Abend des 4. Oktober in der Dresdner Altstadt ohne Vorwarnung auf zwei Männer aus Nordrhein-Westfalen eingestochen haben, die er als Homosexuelle zu erkennen glaubte. Ein 55-Jähriger starb kurz darauf im Krankenhaus, sein 53-jähriger Begleiter überlebte schwer verletzt. Die beiden Männer hatten gemeinsam in Sachsen Urlaub gemacht. A. entkam nach der Tat und wurde erst zwei Wochen später von der Polizei gefasst.
Tatmotiv: Homohass!
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GERMANY-CRIME-JUSTICE-TERRORISM-TRIAL
„Es hätte jeden treffen können", sagt der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats. „Im Prinzip war es ihm egal, wen er dort tötet, nur dass er Ungläubige treffen wollte." Die beiden Männer aus Nordrhein-Westfalen, die Urlaub in Dresden machten und an jenem Oktobertag durch die Altstadt bummelten, seien Opfer „seiner tiefverwurzelten Homophobie" geworden. Er habe die beiden als Repräsentanten einer von ihm als „ungläubig" angesehenen freiheitlichen Gesellschaftsordnung angesehen und ihr Leben auslöschen wollen.
A., ein als Islamist verurteilter Straftäter, der 2017 ein Selbstmordattentat in Dresden geplant haben soll, war erst fünf Tage vor der Tat aus der Haft entlassen worden. Während seiner knapp dreijährigen Haftstrafe fiel er durch seine Gewalttätigkeit auf – 2019 wurde er zusätzlich wegen tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung in zwei Fällen verurteilt. Ein Jahr später kam er trotzdem wieder auf freien Fuß. Doch nicht nur das: Politik und Staatsanwaltschaft zogen sich durch ihren Umgang mit dem homophob motivierten Anschlag großen Unmut von LGBTIQ*-Organisationen zu und mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, an einer systematischen Verschleierung beteiligt zu sein (wir berichteten).
Das eigentliche Tatmotiv Homohass wurde von Beginn an unter den Teppich gekehrt. Erst der Spiegel war es, der nach eigenen Recherchen entsprechende Vermutungen äußerte. An einer Gedenkveranstaltung des CSD Dresden e.V. nahm kein Mitglied der Bundesregierung teil. Außerdem gaben weder der Bundespräsident noch ein Mitglied der Regierung eine Stellungnahme zu dem mutmaßlichen Motiv und daraus schlussfolgernden Handlungsbekundungen ab – was bei rassistischen oder antisemitischen Hassverbrechen mit ideologischem Hintergrund üblich wäre.
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Oberstaatsanwalt Marcel Croissant
Der Prozess begann Mitte April, rund ein halbes Jahr nach der Tat. Das zu Beginn vehement vertuschte Tatmotiv Homohass stand nun endlich im Zentrum der Anklage (wir berichteten). In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wurde betont, die Tat sei offenkundig aus Hass auf Homosexuelle geschehen. Es hieß:
„Er wollte die beiden Tatopfer als Repräsentanten einer von ihm als ‚ungläubig' abgelehnten freiheitlichen Gesellschaft auslöschen.“
Einigkeit im Gerichtssaal: Angeklagter ist schuldig
Der Angeklagte schwieg zum Auftakt der Verhandlung, schilderte seine Tat gegenüber einem psychiatrischen Gutachter aber sehr detailliert. Reue empfand A. nach Angaben des Sachverständigen Norbert Leygraf nicht. Auch die Verteidigung sah die Vorwürfe als erwiesen an, forderte allerdings, den zur Tatzeit 20-jährigen Angeklagten wegen einer nötigen „Nachreife“ unter Anwendung des Jugendstrafrechts zu verurteilen.
Der verletzte 53-jährige Begleiter des Getöteten trat im Prozess als Nebenkläger auf. Sowohl seine als auch die Anwälte der Schwester des 55-jährigen Opfers schlossen sich dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft an. Mit dem heute gesprochenen Urteil folgten die Richter den Forderungen der Bundesanwaltschaft – es stellte eine besondere Schwere der Schuld fest, mit der eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren praktisch ausgeschlossen ist, und behielt sich zudem die anschließende Anordnung einer Sicherungsverwahrung vor.
Ganz zum Schluss des Prozesstages wendet sich der Vorsitzende Richter noch einmal persönlich an den Angeklagten. Dieser habe sich ein „Zerrbild Gottes" zurechtgezimmert, durch das er sich auserkoren sah, Menschen nur deshalb zu töten, weil er sie nicht als gottgefällig betrachtete.
„Ich bin selbst ein gläubiger Mensch, und deshalb sage ich Ihnen: Das, was Sie getan haben, ist wahrhaft gotteslästerlich gewesen."
Richter Schlüter-Staats mit erhobener Stimme in Richtung des Angeklagten
*AFP/lm/ck