Am Freitag soll das lang erwartete Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung eigentlich den Bundesrat passieren. In letzter Minute versuchen Konservative das zu behindern. Zusätzlich beschloss der Ärztetag in Mainz völlig überraschend eine hanebüchene Resolution. Was beide Initiativen verbindet: Sie operieren mit Falschdarstellungen und fördern die immer noch viel zu weit verbreiteten Vorbehalte gegen inter- und transgeschlechtliche Personen.
Bundesrat beschwört Terrorangst. Wirklich.
Foto: Bundesrat | Frank Bräuer
Bundesrat
Am Freitag den 17. Mai, also ausgerechnet am IDAHOBIT soll der Bundesrat das Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung durchwinken
In der Bundesratsdrucksache 195/1/24 vom 02. Mai 2024 empfiehlt der Ausschuss für Innere Angelegenheiten dem Bundesrat, den Vermittlungsausschuss einzuberufen, da das Gesetz Sicherheitsbedenken aufwerfe. Insbesondere fehle eine Pflicht zur Mitteilung von Namens- und Geschlechtsänderungen an Sicherheitsbehörden, was Identitätsverschleierungen ermöglichen könnte. Die Empfehlungen zielen darauf ab, das Gesetz dahingehend zu ändern, dass die zuständige Meldebehörde bestimmte Sicherheitsbehörden automatisch über solche Änderungen informiert. Es wird betont, dass die fehlende Übermittlung potenzielle Sicherheitsrisiken birgt, da Personen fälschlicherweise nicht als waffenrechtlich relevant oder als Extremisten identifiziert werden könnten.
Namensübermittlung steht im Gesetz
Klingt erstmal beängstigend und nach einem Fehler der federführenden Ampelregierung. Wenn es denn stimmen würde. männer* sprach mit Jenny Wilken von der Deutschen Gesellschaft für Trans- und Intergeschlechtlichkeit (dgti).
Laut Jenny Wilken basiert die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf falschen Annahmen. Richtig sei nämlich, dass das vorgelegte Gesetz zur Selbstbestimmung eine Übermittlung der Namensänderung an das Bundeszentralregister vorschreibe (Quelle). Es könne also nicht zur mühsam konstruierten Sicherheitsgefährdung durch den Missbrauch der Vornamensänderung durch Terroristen und psychisch erkrankter Waffennarren kommen. Hier liegt der Ball auch weiterhin im Spielfeld der zuständigen Behörden der Länder, die ihn nur über eine Abfrage im Bundeszentralrgeister verwandeln müssen.
Jenny Wilken hält die Fantasien über Männerhorden, die erst nach dreimonatiger Wartefrist ihren Geschlechtseintrag ändern wollen, um der Strafverfolgung zu entgehen, daher für haltlos und sagt:
„Es bleibt zu hoffen, dass die Mehrheit der Bundesländer am Freitag gegen den Beschluss des Innenausschuss, und damit gegen die die Verwandlung von Fakenews in reale, menschenrechtswidrige Gesetzestexte stimmt.”
Deutscher Ärztetag beschließt wider die Wissenschaft
Mensch mag der Politik eine gewisse Überschreitung der Grenzen zwischen Wahrheit und populistisch wirksamer Übertreibung noch verzeihen. Anders sieht es aber bei den Menschen aus, an die wir alle uns in der Not wenden. Ärzt*innen genießen ein hohes Maß an Grundvertrauen. Wir erwarten von ihnen nach aktuellen wissenschaftlichen Leitlinien bestmöglich versorgt zu werden. Um so erschreckender ist daher das, was auf dem 128. Deutschen Ärztetag in Mainz am 10. Mai vor sich ging.
Beratungszwang für Jugendliche?
Eine Gruppe fast ausnahmslos fachfremder Ärzt*innen schlug einen Beratungszwang für Minderjährige vor, die nach dem neuen Gesetz zur Selbstbestimmung nur ihren Vornamen, also den Personenstand ändern wollen. Der dgti nennt das eine psychologisch-psychiatrische Zwangsberatung trans* und nicht-binärer Minderjähriger die wie Erwachsene per se nicht an einer psychischen Störung leiden – für ein Stück Papier. Dies richte sich gegen Grundrechte, internationale Vereinbarungen wie die UN-Kinderrechtskonvention und die ICD-11 Klassifikation. Nicht ohne Grund haben sich psych. Fachkräfte gegen die nach dem Transsexuellengesetz noch nötige Begutachtung ausgesprochen. Der Beschlussantrag enthält die Falschbehauptung, eine Personenstandsänderung von Minderjährigen wäre ohne Zustimmung weiterer Beteiligter möglich.
Krasser Fail gegen Pubertätsblocker
Foto: Delia Giandeini, unsplash.com, gemeinfrei
Trans Pride
Ungleich komplizierter und dadurch vielen eventuell zu komplex, spielt ein weiterer Beschluss mit den aus den USA bekannten Ressentiments gegen sogenannte Pubertätsblocker. Die dgti erklärt ausführlich:
Bei trans* und nicht-binären Jugendlichen liegt eine sogenannte Geschlechtsinkongruenz im Jugend- und Erwachsenenalter (HA60, ICD11) vor. Die WPATH Standards of Care und die AWMF-S3-Leitlinie Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Diagnostik, Beratung, Behandlung liefern die Behandlungsgrundlagen bei Erwachsenen. Auch für Jugendliche geben die Standards of Care evidenzbasierte Empfehlungen, die in eine deutsche Leitlinie implementiert werden. Die AWMF S2k-Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik und Behandlung ist derzeit in der Fertigstellung und löst die bereits ausgelaufene und veraltete S1-Leitlinie: „Störungen der Geschlechtsidentität im Kindes- und Jugendalter“ ab. Bereits 1980 wurde im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 3. Edition die Diagnose „Gender identity disorder of childhood“ eingeführt. Trans*Jugendliche sind also kein Trend. Eine "soziale Ansteckung" entspringt der Imagination. Die Behauptung, dass pubertätsblockierende Medikamente, Hormontherapien und geschlechtsangleichende Maßnahmen bei trans*Jugendlichen keine Verbesserung der Geschlechtsdysphorie und der psychischen Gesundheit liefern würden, entbehrt jeglicher Grundlage. Die Evidenz der Studien belegt sehr wohl die verbesserte psychische Gesundheit, insbesondere auch die Suizidrate verringert sich dadurch.
Ethikgrundsätze einhalten!
Dennoch liegt die allgemeine Evidenz für die medizinische Behandlung von trans*Jugendlichen auch hier mit einem S2k-Niveau höher als die bisherigen Leitlinien. Jenny Wilkens erklärt das Fachchinesisch gegenüber männer* so:
„Das ist die höchste zu erwartende wissenschaftliche Einstufung. Aus gutem Grund werden an Kindern und Jugendlichen keine Kontrollstudien ohne Behandlung gemacht. In keinem Medizinbereich. DAS bedeutet Ethik in der Medizin, nicht, was die Ärzte*innen da erschreckenderweise faktennegierend durchgewunken haben.”
Insgesamt also noch mal die ganz großen Geschütze gegen ein Gesetz, das von Anfang an wie kaum ein anderes unter dem Dauerbeschuss von rechtskonservativen, rechtspopulistischen und evangelikalen Kräften stand. Möge die Vernunft obsiegen!