Wenn uns Rassendiskriminierung aufregt, dann sollte dies auch bei Homophobie so sein. Hier gibt es ein deutliches „Separate (Rassendiskriminierung vs. Homophobie) but equal (gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit)“. Von Sven Paßmann.
„Separate but equal“ war die der ehemaligen US-amerikanischen Rassendiskriminierung zugrunde liegenden Losung. Auswirkungen dieser Doktrin manifestierten sich in öffentlichen Örtlichkeiten gleicher Aufgabe, die aber für jeweils nur eine bestimmte Personengruppe zugänglich waren – somit also jeweils zwei Ausgaben hatten oder zumindest getrennte Abteile aufwiesen. D.h. es gab u.a. zwei getrennte Orte des Einkaufens, der Hygiene, des Vergnügens bis hin zu zwei Abteilen in öffentlichen Bussen und Bahnen, deren Separierung lediglich auf der Hautfarbe der Menschen basierte – für heutige Menschen unvorstellbar.
Ihren Anfang nahm diese Praxis in der Sklaverei-Geschichte der noch jungen USA. Mit der Zeit zog sich die Praxis der Sklaverei aber immer mehr in die südlichen Staaten der USA zurück und mündete schließlich in einem der weltweit bekanntesten Bürgerkriege, der wiederum zu einer vollständigen Aufhebung der Sklaverei führte - zumindest auf dem Papier. Eine gute Zusammenfassung über diesen Teil der Geschichte der USA bietet diese Hausarbeit.
Die ideologische Grundlage der Sklaverei wurde dabei in nicht unerheblichem Maße auch von der christlichen Religion getrieben. Mehrere Bibelstellen wurden hier als Grundlage der Sklaverei angeführt, um sie zu rechtfertigen. Doch dieser Ansatz wurde alsbald immer mehr in Frage gestellt. Eine durchaus begrüßenswerte Entwicklung. Zumal sie deutlich macht, das gläubige Menschen sich durchaus darüber bewusst sein können, das die Bibel einen historischen Kontext reflektiert, der irgendwann einfach nicht mehr funktionieren kann und das dies dem Glauben selbst nicht widersprechen muss.
Dass der christliche Grundsatz „all men are created equal“ nach dem Bürgerkrieg nun Schritt für Schritt dann auch auf die afroamerikanische Bevölkerung ausgedehnt wurde (siehe Hausarbeit), ließ als Gegenreaktion eine Welle an wissenschaftlichen Arbeiten zu Beginn des 19. Jhd. entstehen, die gezielt „herausfinden“ sollten, dass Rassendiskriminierung gar keine Diskriminierung ist, sondern das eine Separierung aufgrund der Unterschiedlichkeit einfach ganz natürlich ist. Nun, wer fühlt sich da nicht an die Ideen der Nazis erinnert.
Interessant hierbei ist: Sklaverei und vor allem die spätere Rassentrennung wurde auch in jüngster Vergangenheit von christlich-rechten Gruppierungen immer noch über die Bibel gerechtfertigt.
Bob Jones Sr., der Gründer-Präsident der Bob Jones University (1960): “White folks and colored folks, you listen to me. You cannot run over God’s plan and God’s established order without having trouble. God never meant to have one race. It was not His purpose at all. God has a purpose for each race.“
Judge Leon M. Bazile, 1959: „Almighty God created the races white, black, yellow, malay and red, and he placed them on separate continents. And but for the interference with his arrangement there would be no cause for such marriages. The fact that he separated the races shows that he did not intend for the races to mix.”
Insbesondere der christliche-fundamentale Ku Klux Klan scheint sich seit der Wahl von Präsident Trump wieder großer Beliebtheit zu erfreuen und fühlt sich erstarkt. Zur Erinnerung, was zu der Hochzeit des Ku Klux Klan typisches Sprech war:
Theodore Bilbo, Governor von Missisippi, Ku Klux Klan Mitglied, nach dem Entscheid für ein Anti-Lynch-Gesetz: „(The Bill) will open the floodgates of hell in the South. Raping, mobbing, lynching, race riots, and crime will be increased a thousandfold; and upon your garments and the garments of those who are responsible for the passage of the measure will be the blood of the raped and outraged daughters of Dixie, as well as the blood of the perpetrators of these crimes that the red-blooded Anglo-Saxon White Southern men will not tolerate.“
Und sonst so?
Fundamental denkende Christen haben dieses „Separate but equal“ nie abgelegt. Es gehört praktisch zu der DNA ihres Glaubens. Die großen monotheistischen Religionen leben von dem Anspruch, zu definieren, was normal ist und was nicht. Ein einzelner Gott kann (rein theoretisch oder halt offiziell) keinen Widerspruch erzeugen. Er alleine bestimmt. Im Gegensatz zu den polytheistischen Religionen, deren Glaubensgrundsätze aufgrund der Vielgestaltigkeit der Charaktere der Götter und den Diskursen zwischen ihnen bestimmt wurden.
Es verwundert wenig, das jedes wichtige Thema menschlicher Sozialisation und deren Erkämpfung (Frauenrechte, Rassendiskriminierung, LGBTIQ-Rechte usw.) von der Kirche vehement bekämpft wurde - nach dem Prinzip der moralischen Überlegenheit, die ein „Normal“ und ein „Anders“ definiert. Der eigentliche Grundsatz der Nächstenliebe wurde von den obersten Stellen und deren Anhängern scheinbar als nicht übergeordnet genug empfunden.
Das fängt an bei dem willkürlichen, (zeitlichen und Bibel-textlichen) Kontext missachtenden Herauspicken von Bibelversen, um Homosexualität abzuwerten. Vor allem bei streng Gläubigen funktioniert dies wunderbar und wird bei ihnen im besten Fall als „Liebe den Sünder, aber verurteile die Sünde“ interpretiert.
Und hört noch lange nicht bei dem Versuch auf, wissenschaftliche Kongresse zu Gender und Sexualität abzuhalten („Gender und Sexualpädagogik auf dem Prüfstand der Wissenschaften“ der „Demo für alle“-Initiative am 23.1.2016), oder Heilungsansätze für Homosexualität zu entwickeln.
Gerne wird der Homosexualität auch mal wissenschaftlich das Angeborensein abgesprochen, die Tatsache ausnutzend, das man bisher tatsächlich nichts fand. Aber dies hat bisher 1. auch keiner in Bezug auf Heterosexualität verlangt und 2. ignoriert es die Tatsache, dass dies bei praktisch allen höher organisierten, sozial lebenden Lebewesen auf der Erde vorkommt und damit einfach natürlich ist.
Im Wissen, dass aufgrund der Säkularisierung in vielen Staaten biblische Gebote und Verse keine rechtliche Bindung haben bzw. kein Gehör, sehen sie gerade auch hier in der Wissenschaft die Möglichkeit, gegensteuern zu können. Sie schufen sich mittels der Wissenschaft und der gezielten Umdeutung wissenschaftlichen Vokabulars (diese Analyse von Christian Maluck macht es sehr deutlich) ein vermeintliches Deckmäntelchen für die Behauptung, man sei ja nicht gegen eine bestimmte Gruppe. Aber es gäbe doch eindeutige Anzeichen, dass man hier unterschiedlich behandeln müsse. Die Parallelen zur Geschichte der Sklaverei und Rassendiskriminierung sind da doch auffällig.
Lebenspartnerschaft vs. Ehe – ein modernes „separate but equal“
Seit 2001 existiert in Deutschland die eingetragene Lebenspartnerschaft für Homosexuelle – durchgesetzt gegen den großen Widerstand der Kirchen und der politischen Rechten. Wir vergessen dabei mal ganz kurz, dass die Einführung der Lebenspartnerschaft ehemals schon vehement bekämpft wurde, mit Argumenten die an den Satz von Theodore Bilbo erinnerten.
Und auch wenn diese Institution ein großer Erfolg im Kampf Homosexueller für Gleichberechtigung ist, dämmerte es doch einigen, dass hier im Kern ein „separate but equal“ installiert wurde. Die Angleichung der Rechten und Pflichten beider Institutionen ist nahezu abgeschlossen. Doch fehlen vor allem der verfassungsrechtliche Schutz und das Adoptionsrecht in der Lebenspartnerschaft, der auch weiterhin großen Widerstand in christlichen Kreisen erzeugt.
So ist der Ruf nach einer Ehe für alle auch ziemlich bald sehr kräftig geworden und wurde mit der Bundestagswahl 2013 auch in das Wahlkampfprogramm einiger Parteien aufgenommen. Aber – wer konnte es sich denken – der Widerstand ließ nicht lange auf sich warten. Man bestand auf die nun gültige Gesetzeslage, wo man doch nun viel für die Gleichberechtigung Homosexueller getan habe. Aber eine Institution für Menschen egal welchen Geschlechts, das ginge nicht. Denn: Homosexualität und Heterosexualität sind eben nicht gleich. Und die Ehe wäre ja laut Grundgesetz festgelegt auf Frau und Mann. Deswegen sind zwei Institutionen, die im Grunde dasselbe meinen und auch fast beinhalten, völlig rechtens.
Und wem das Argument zu wenig war, der behauptete, wenn die Ehe für alle kommt, dann wären Tür und Tor geöffnet, das Menschen und Tiere oder Erwachsene ihre Kinder heiraten könnten. Ein Schelm, wer an Theodore Bilbo denkt.
Nur um das klarzustellen: es geht bei der Ehe für alle eben nicht auch um die Möglichkeit einer Heirat zwischen Kindern und Erwachsenen oder zwischen Menschen und Tieren. Solcherart Behauptungen offenbaren vielmehr ein merkwürdiges Verständnis dieser Menschen über deren eigene Ehe, die – so scheint es – wohl nicht primär auf ein einvernehmliches Eingehen in die Ehe in vollem Bewusstsein beider entstand.
Fragen wir uns also: Wieso darf so ein Ansatz, vorgetragen von Christen (u.a. Frau Erika Steinbach), immer noch die rechtsstaatliche, auf den Grundgesetzartikeln § 1.1, 2.1, 3.1 und 6 beruhende „Recht“ssprechung blockieren? Wieso dürfen pseudo-wissenschaftliche Ansätze von fundamental denkenden Christen Grundlage für einen Entzug des Rechts auf Ehe für alle in Deutschland sein?
Die Rassentrennung in Amerika (und in anderen Teilen der Welt) zeigte sehr deutlich, das „Separate but equal“ jeglicher Grundlage entbehrt. Wieso hält man dann in Bezug auf LGBTIQ in Deutschland immer noch daran fest, obwohl die Parallelen mehr als offensichtlich sind und dieses Denken abgeschafft gehört?
Rassendiskriminierung vs. Homophobie oder doch alles das selbe?
Rassendiskriminierung war schon alleine wegen unserer eigenen Geschichte etwas, was als zutiefst rechtes Gedankengut verpönt wurde – zu recht. Sie war und ist und sollte es immer sein: der Inbegriff der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Doch Rassendiskriminierung, machen wir uns nichts vor, war nie weg. Wir alle stehen vor einem Spalt, den wir fast für geschlossen gehalten hatten und merkten nicht, das er hinter uns weiter führte und dort Zeit hatte, unbemerkt größer zu werden. Und sie hatte schon immer Nebenspalten, „Kinder“, die man gerne ignorierte, weil sie halt wieder „anders“ waren und man sich gemütlich damit herausreden konnte, dass dem hier ja wohl etwas völlig zugrunde liegt.
Es dürfte – glaube ich – deutlich geworden sein, das sowohl der Homophobie als auch der Rassendiskriminierung argumentativ die selben Strukturen zugrunde liegen. Denn Menschenfeindlichkeit entsteht nicht einfach so, sie entwickelt sich und wird vor allem durch die Sprache getragen. Es wird ein „wir hier und die dort“ konstruiert und vor allem fundamental denkende Christen berufen sich dabei gerne auf ihren moralisch „überlegenen“ Anspruch der Bibel.
Wenn das aber nicht reicht oder der Ansatz in die säkulare Welt hinaus getragen werden muss, wird auch hier die Wissenschaft bemüht – History Repeating. Sei es über christlich-konservativen Thinktanks nahe stehenden Wissenschaftlern (Lawrence S. Mayer, Paul R. McHugh: Sexuality and Gender - Findings from the Biological, Psychological, and Social Sciences, The New Atlantis, 2016;) oder unvollständiges/partielles Zitieren von wissenschaftlichen Publikationen (siehe der Link zur DIJG früher im Text).
Was ist „normal“? oder die Frage nach dem Recht zu bestimmen
Und zu guter Letzt hilft immer noch das wunderschöne Wort „normal“. Normal war immer gut, um eine Dichotomie von wir und ihr zu konstruieren. Sei es bei Rassentrennung (Juden wurden/werden als nicht normal beschrieben) oder bei Homosexualität (wurde/wird auch als nicht normal beschrieben). Auch die Kultur der Flüchtlinge wird gerne als nicht „normal“ beschrieben, um deren „Nichtpassung“ zur Westlichen zu rechfertigen. Wie sonst lässt sich erklären, dass der Islam gerne auch als rückständig und frauenfeindlich beschrieben wird, im Gegensatz zur eigenen Kultur, die man als „normal“ empfindet.
Dr. Michael Gommel.umschrieb das Problem dieses Wortes in seiner Doktorarbeit folgendermaßen (ab Seite 40):
„Humanbiologische Diskurse des 19. Jahrhunderts seien paradigmatisch für das,was Link eine protonormalistische Strategie nennt. Die biotische Dimension des Lebendigen sei dasjenige gewesen, woran das ’natürlich-Normale‘ abzulesen sein sollte.“ (Link J: Versuch über den Normalismus. 2., aktualisierte und erweiterte Aufl. Westdeutscher, Opladen Wiesbaden (1999))
Und weiter:
„Nach Link ist Normalität ”keine natural gegebene und nachwachsende Ressource, sondern stets Produkt von Normalisierung, d.h. von Normalisierungs-Dispositiven, und demnach exklusives Produkt moderner Gesellschaften.“ Mit anderen Worten: Normalität ist ein Kulturprodukt der Moderne und erfordert einen Willen zur Normalisierung.“
Und schließlich:
„Die von den normalistischen Verfahren kontinuierlich gemachten Diskontinuitäten (z.B. Antagonismen) sind stets schon als solche semantisch und insbesondere symbolisch (in der Regel durch Binäropposition) markiert: männlich vs. weiblich, gesund vs. krank,... Solche sprachlichen, in der Regel symbolisch verstärkten, Differenzzeichen suggerieren deutlich getrennte semantische Komplexe, ”Qualitäten“ genannt, zwischen denen eine symbolische Kluft liegt. Die normalistische Kontinuierung ’unterlegt’ solchen diskontinuierlichen semantischen und symbolischen Komplexen sozusagen eine kontinuierliche Fläche, auf der die ”Qualitäten“ dann wie Teppiche mit Zwischenräumen zu ’liegen’ kommen.“
Immer wieder vergessend, dass normal also ein künstlicher, wertender Begriff ist, der naturalistische Begebenheiten eben nicht adäquat widerspiegelt, wird er nichtsdestotrotz als Argument gegen die Ehe für alle, gegen Adoption und vielerlei anderer Rechte von LGBTIQ benutzt. Einfach indem man sich auf eine Dichotomie gemütlich zurücklehnt und dabei außer Acht lässt, das ein schon per se künstlich-wertender Begriff keine wahre Aussage über biologische und soziologische/gesellschaftliche Diversität treffen kann.
Fazit
Was das Christentum im ach so fortschrittlichen Westen in Bezug auf Rassendiskriminierung sich zu Schulden kommen lassen hat, sollte uns also die Augen öffnen, dass die selbe Argumentation auch in Bezug auf Homosexualität angewendet wird und zu lebendiger Homophobie führt.
Und wenn uns Rassendiskriminierung aufregt, dann sollte dies auch bei Homophobie so sein. Denn hier gibt es bei beiden ein deutliches „Separate (Rassendiskriminierung vs. Homophobie) but equal (gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit)“, dass aufzeigt, dass es in diesen beiden (und so vielen anderen Fällen) jeglicher Grundlage entbehrt. Es ist egal, ob man seine Homophobie mittels Wissenschaft oder religiöser Ansichten zu rechtfertigen versucht – sie gehört wie bei der geächteten Rassendiskriminierung abgeschafft.
Dass streng gläubige Christen ihr Weltbild auch erweitern können zeigten die Iren mit ihrem die ganze Welt überraschenden Referendum für die Ehe für alle.
Sven Paßmann ist 39 Jahre alt und hat zusammen mit Christian Maluck vor drei Jahren begonnen, bei den Facebook-Seiten „Demo für alle", „Familienschutz" und andere Ableger mit zu diskutieren, um die dort getätigten falschen Behauptungen und Tatsachenverdrehungen wieder gerade zu rücken. Sein früheres Engagement in der schwul-lesbischen Szene in Jena während seines Studiums (inkl. Vereinsvorsitzender bei queerschnitt eV.) setzt er hier wieder fort, da er feststellen musste, wie leicht es der Homophobie fiel, sich hinter dem Deckmantel einer vermeintl. Gender-Ideologie zu verstecken, um all die Errungenschaften aufs neue massiv zu bedrohen. Die Denk- und Diskussionsansätze, die er dabei verfolgt, speisen sich aus den Erkenntnisse der Biologie, Psychologie und Soziologie und anderer Wissenschaften und verfolgen ein ganzheitliches Bild.