Derzeit werden in Deutschland mehrere Staatsverträge mit den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten (ARD/ZDF usw.) novelliert. Ganz im Norden (NDR) und ganz im Süden (BR) wird dabei leider einmal mehr auf queere Repräsentanz verzichtet. Das wird im Zweifel noch die Gerichte beschäftigen. Wir beschäftigen uns aber damit, dass „der Staatsfunk“ mit seiner „Zwangsgebühr“ seit Jahren im Shitstorm von ganz rechts steht, und wollen der Sache auf den Grund gehen. Dafür schnackten wir mit Luca Renner, die von der thüringischen Landesregierung bereits das zweite Mal als Vertreter*in des LSVD in den ZDF-Fernsehrat entsendet wurde. Wie Staatsfunk ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk denn nun und welchen Einfluss queerer Lebenswelten kann ein*e Fernsehrät*in überhaupt geltend machen?
Foto: Ben Groß
Luca Renner. Mitglied im Fernsehrat seit 8. Juli 2016 als Vertreter*in aus dem Bereich LSBTTIQ (Lesbische, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queere Menschen)" aus dem Freistaat Thüringen.
Was ist eigentlich ein Fernsehrat? Und wie setzt sich dieser zusammen? Nur Politiker*innen?
Es gibt aus jedem Bundesland eine Person, die die jeweilige Landesregierung vertritt. Das war’s an Politik. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor einigen Jahren – das sagte sinngemäß, dass zu viele Vertreter*innen aus der Politik in den Rundfunkräten und im Fernsehrat vertreten sind: Der Rest des Fernsehrates muss anderweitig besetzt werden. Es gibt feste Sitze, die per Staatsvertrag festgelegt sind, beispielsweise die katholische Kirche, die evangelische Kirche, die Caritas, der Verband der Opfer des Stalinismus. Verbände mit einer starken Lobby in der Politik. Jedes Bundesland hat außerdem die Möglichkeit, ein gesellschaftliches Thema zu benennen und dann eine Vertretung aus der Zivilgesellschaft für dieses Thema zu entsenden. Thüringen hat sich für das Thema LSBTTIQ* entschieden und somit einen Platz für unsere Community geschaffen. Dann wurden Bewerbungen von Verbänden angenommen, die in dem Bereich tätig sind. So bin ich da gelandet. (lacht)
„Es ist meiner Meinung nach ein Irrglaube, dass der Öffentlich-Rechtliche ein Problem mit Akzeptanz hätte.“
Und zwar schon in der zweiten Amtszeit. Die Staatsverträge sind sehr starr geregelt. Victoria Forkel und ich hatten im aktuellen hinnerk die Novellierung des NDR-Staatsvertrages auseinandergenommen (wir berichteten). Dort hat eine queere Vertretung wieder nicht funktioniert. Das berühmte Urteil zum ZDF ist ein Grundsatzurteil, das für alle Staatsverträge gilt. Dementsprechend hätte man erwarten können, dass bei einer Neustrukturierung dieses Thema berücksichtigt wäre. In Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist es nicht passiert. Genau genommen hat man sich darauf zurückgezogen, dass eine Verkürzung von Amtszeiten und eine begrenzte Wiederwahl Diversifizierung genug sei. Wie siehst du das?
Ich finde es ehrlich gesagt eine Katastrophe, weil ich glaube, dass nur, wenn wir auch teilhaben, unser Blickwinkel gewährleistet wird. Das ist so ähnlich, als wenn ich auf einen Bildschirm schaue: dann kann ich nicht gleichzeitig nach hinten schauen. Das heißt, dass ich nur nach hinten gucke, wenn mich jemand darauf aufmerksam macht: „Schau mal, was da gerade läuft.“ Genauso ist es in diesen Gremien. Wenn queere Personen nicht sichtbar sind und auf Themen folglich nicht aufmerksam machen können, führt das dazu, das queere Themen nicht im Bereich des Verhandelbaren liegen. Das ist der erste Punkt. Zweitens, und das finde ich lustig: Im derzeitigen Entwurf des NDR-Staatsvertrags ist es so, dass Männer, Frauen und diverse Personen Mitglied sein können. Aber das Präsidium des Rundfunkrats soll jeweils zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen bestehen. Ich hoffe, dass sie diesen Unfug noch auflösen. Es sind vier Personen, die im Präsidium vorgesehen sind. Da müsste man eine Quotierung finden. Ich würde sagen zwei Frauen, zwei diverse Personen. Männer waren die vergangenen Jahrzehnte in diesem Präsidium. – Das wird natürlich nicht passieren.
Im hinnerk konnten wir immerhin berichten, nach hartnäckigem Nachfragen, dass die Bürgerschaft ein Willensvotum abhalten will, um den Staatsvertrag abzuändern. Das ist dramatisch, wenn man bedenkt, dass so was nur alle 15 Jahre passiert ...
Beim Bayerischen Rundfunk ist es das Gleiche! ** Die Begründung fällt jedoch noch diffuser aus. Die sagen: „Wir wissen gar nicht, wie viel LGBTIQ*-Personen es in Bayern gibt.“ Auf eine Anfrage von der Abgeordneten der Grünen, Tessa Ganserer, kam die Antwort: „Das fällt unter den Datenschutz. Wir können nicht erheben, welche sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität die Menschen in Bayern haben. Deswegen wissen wir gar nicht, ob Queers eine relevante Gruppe sind, die in den BR-Rundfunkrat rein soll.“
Seit 2015, also seit dem Aufleben der AfD, herrscht eine wahnsinnige Kritik gegenüber dem Beitragsservice (ehemals „GEZ“). Es gibt gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein großes Misstrauen, die politische Unabhängigkeit wird per se abgesprochen. Wie siehst du das? Wie arbeitet ein Fernsehrat? Wie könnt ihr Einfluss auf das Programm nehmen, und nehmt ihr Einfluss?
Laut Staatsvertrag können wir das überhaupt nicht. Unsere Hauptaufgabe ist die Programm-Beobachtung. Das heißt, wir schauen uns an, was gesendet wurde, bewerten das und geben dem Sender Hinweise:
Was war gut, was war schlecht? Was würden wir uns möglicherweise anders wünschen? Welche Aspekte haben gefehlt?
Wir greifen in keiner Weise in die journalistische Freiheit ein – gerade was Nachrichten etc. angeht. Das wäre auch ein Unding. Mensch könnte das mal testen. Aber ich bin sicher: Wenn das gemacht wird, kann Mensch die ganze Abneigung und den ganzen Trotz der ZDF-Redaktionen kennenlernen. Ich werde so was niemals probieren. Es ist auch nicht mein Anliegen. Genau so verhält es sich im fiktionalen Bereich. Ich kann natürlich sagen: „Ich wünschte mir mehr queere Figuren und Geschichten im Programm, um das ein bisschen breiter zu machen.“ Ich habe jedoch keinen Einfluss darauf, was im Endeffekt produziert wird und mit wem es produziert wird. Ich finde, das ist auch richtig so. Es ist meiner Meinung nach ein Irrglaube, dass der Öffentlich-Rechtliche ein Problem mit Akzeptanz hätte. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man, dass diese massiv gestiegen sind, besonders bei Nachrichten. Über den Filmbereich kann man streiten. Das wissen wir alle. Aber das, was es ausmacht, das, was wichtig ist, nämlich Informationen zum täglichen Geschehen in Deutschland und der Welt, das hat eine wahnsinnig hohe Anerkennung in der Gesellschaft. Die Menschen, die behaupten, dass es nicht so wäre, sind eine kleine, laute Minderheit. Das muss man immer wieder im Hinterkopf haben. Ja, der Öffentlich-Rechtliche hat ein Problem, aber das Problem liegt ganz woanders.
„Mittlerweile gibt es sogar Formate des Öffentlich-Rechtlichen auf Tiktok.“
Am Öffentlich-Rechtlichen klebt der Eindruck, dass er mit den neuen Medien nicht klarkäme, Jugendliche nicht erreiche. Ich sage das deshalb, weil ich gemerkt habe, dass da unglaublich viel passiert ist. Es gibt großartige Programme. Wie kann man das offensiver vermarkten?
Ich glaube und weiß auch, dass die Sender Inhalte für junge Menschen produzieren, weil ich das tagtäglich sehe. Funk ist das beste Beispiel. Mittlerweile gibt es sogar Formate des Öffentlich-Rechtlichen auf Tiktok. Da bin ich noch nicht mal – weil zu alt! (lacht) Ich glaube, dass man diese Altersgruppen durch Drittplattformen einbezieht. Bei den Formaten, die nur im TV laufen, sollte, ja muss man beispielsweise immer wieder Verweise auf Drittplattformen machen. Die Mediatheken sollten außerdem ausgebaut werden und so gestaltet sein, dass für alle Zielgruppen auf den ersten Blick etwas dabei ist.
Foto: Screenshot ZDF.de
Ein aktueller Beitrag in der Mediathek des ZDF – HIER anschauen
Ich muss nicht als Erstes das Herz-Kino, Krimis und dann die heute-Nachrichten sehen. Da würde ich als 17-Jährige sagen: „Wollt ihr mich verarschen?!“ Ich würde mir wünschen, dass das noch vielfältiger ist, zumindest auf den Startseiten. Kürzlich habe ich eine neue Funktion kennengelernt und finde sie ganz großartig: Es gibt in der Mediathek eine Leiste, die einem Angebote anzeigt, die über die eigenen Vorlieben hinausgehen. So wird der Blick erweitert. Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass nicht nur auf Quoten geschaut wird. Markus Lanz hat beispielsweise super Quoten, aber er spricht nur eine bestimmte Gruppe dieser Bevölkerung an. Ich glaube, dass es notwendig ist zu schauen, welche Gruppen spreche ich mit welchen Formaten an? Wen möchte ich noch mit ins Boot holen? Will ich nur nach Alter schauen oder möchte ich auch auf eine Migrationsgeschichte abzielen? Oder möchte ich auf behinderte Menschen oder auf queere Leute abzielen? Das Thema Diversity muss in Gänze massiv ausgebaut werden.
Da muss Geld in die Hand genommen werden und Menschen müssen gefördert werden.
Nicht weil sie es nicht können, sondern weil sie bisher nicht die Chance hatten, in dieser Häufigkeit Medien zu produzieren wie andere, die als vermeintlich normal gelten. Wenn ich nur einmal einen Essay im Deutschunterricht verfasse und soll das dann im Abitur schreiben, dann wackele ich. Wenn ich aber schon zehn Essays geschrieben habe, dann bin ich da sicherer. Deswegen finde ich Förderprogramme auch wichtig.
Könnt ihr als Fernsehrat Diversity auf den Tisch bringen? Gibt es Sitzungen, in denen jeder über Vorkommnisse spricht, über bestimmte Programmteile oder über Zuschriften von Zuschauer*innen? Wie funktioniert eure Arbeit?
Wir sind in Ausschüssen organisiert. Es gibt sechs Ausschüsse und ich bin mittlerweile in dreien davon. Zwei der sechs Ausschüsse sind die wichtigsten und auch größten. Das ist einmal der Bereich „Chefredaktion“, wo eher die Vertretungen aus dem politischen Bereich sitzen. Hier geht es hauptsächlich um Nachrichten, Sport und Politikmagazine. Dann gibt es den Ausschuss „Programmdirektion“, wo ich stellvertretende Vorsitzende bin. Den Ausschuss leite ich zusammen mit Pater Langendörfer, dem Vertreter der katholischen Kirche und ehemaligen Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz. Wir haben uns wahnsinnig gut angefreundet, ich bin begeistert von ihm und er von mir. Das ist ein Riesengewinn. Dogmatismus ist in der Zusammenarbeit nicht angesagt. Außerdem gibt es noch einen Ausschuss „Partnerprogramme“. Da geht es um Arte, 3sat, Phoenix, KiKa und Funk. Vom Ausschuss für Technik und Investition bin ich ganz weit weg! (lacht) Ich kann nicht mit Zahlen. Der Ausschuss für Strategie und Koordinierung (ASK) ist im Moment sehr relevant, weil die Wahl der Intendanz ansteht. Aus meiner Sicht wäre es schon gut, mal eine Intendantin beim ZDF zu haben, soweit sich den eine geeignete Interessentin* findet. Schließlich haben wir den wichtigen Ausschuss der Telemedien, der neben anderen Aufgaben die Digitalisierung des Senders maßgeblich mit voranbringt. Wir arbeiten also wie ein Parlament, wie der Bundestag. Wir haben Ausschüsse, die Sachthemen vorbereiten. Über diese wird dann kurz oder lang diskutiert und abgestimmt.
Dann gibt es noch zwei Freundeskreise, diese gehören nicht in die offizielle Struktur des Staatsvertrages. Einen politisch schwarzen, in dem die konservativen Kolleg*innen sitzen, zum Beispiel der Minister Kai Klose aus Hessen; der schwarze Freundeskreis wird von unserem ehemaligen Verteidigungsminister Herrn Dr. Jung geleitet. Der politisch rote Freundeskreis wird vom derzeitigen ver.di-Vorsitzenden Frank Wernecke angeführt. Da sitzen alle drin, die sich links der CDU einsortieren. Ohne diese Freundeskreise läuft bei Besetzungen und Wahlen nichts. Wenn du nicht in einem Freundeskreis bist, hast du keine Chance bei irgendeiner Wahl. Ich finde das wahnsinnig schlimm.
Ist das ein ähnliches Problem wie die umstrittenen Fraktionszwänge im Bundestag?
Ja. Die sitzen sich sogar gegenüber wie im britischen Parlament. Das ist krass. Auf der rechten Seite vom Haus, natürlich die rechte Seite aus Blickrichtung des Vorsitzenden – selbstverständlich auch aus dem schwarzen Freundeskreis –, sitzt der schwarze Freundeskreis. Auf der linken Seite hast du den roten Freundeskreis. Ich sitze seit viereinhalb Jahren auf der Seite des schwarzen Freundeskreises, weil ich das albern finde und gerne sitze, wo ich möchte.
„Ein grünes oder linkes Programm würde ich mir wirklich anders vorstellen.“
Also eklatante politische Lagerbildung. Wie passt das zu einer Studie über die Parteinähe von Journalismus in den öffentlich-rechtlichen Medien? Es hieß dort, dass über neunzig Prozent der Menschen, die ein Volontariat oder eine Ausbildung beim öffentlichen Rundfunk machen, den Grünen oder Linken nahestehen würden. Ich hatte bisher nicht das Gefühl, dass wir einen links-grünen öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben, ganz im Gegenteil. Wie siehst du das?
Also wenn das so ist, dann freue ich mich, dass wir endlich diverse Redaktionen haben. Was das politische Meinungsbild angeht, wäre das vielleicht möglich, aber das, was als Output kommt, würde ich als Mitte bis konservativ bezeichnen. Eine Berichterstattung ist aber so oder so niemals parteipolitisch. Ein Kommentar kann parteipolitisch oder ähnlich sein, und auch beim ZDF geht das. Ein grünes oder linkes Programm würde ich mir wirklich anders vorstellen. Also ich sehe das tatsächlich nicht. Herr Lanz ist das beste Beispiel. Da würde ich niemals sagen, dass irgendetwas Linkes oder Grünes parteipolitisch eine Rolle spielt. Der schwarze Freundeskreis ist im Übrigen größer als der rote Freundeskreis. Selbst der Fernsehrat ist nicht linksgrün versifft – schade eigentlich. (lacht)
Wie schafft ihr eure Arbeit neben dem Beruf?
Das ist ein Riesenproblem. Für Menschen, die z. B. bei der katholischen Kirche arbeiten und für die Kirche in diesem Gremium sitzen, ist es das nicht. Für berufstätige Menschen wie mich ist es schwer organisierbar. Wir müssen Urlaub nehmen, also unbezahlten Urlaub, um an den Sitzungen teilzunehmen. Wir müssen dann immer schauen, dass die Arbeitgeber*innen mitmachen. Es ist unsäglich. Jeder ehrenamtliche Richter oder jede ehrenamtliche Richterin wird freigestellt und es gibt einen staatlichen Gehaltsausgleich an den Arbeitgeber. Bei den Rundfunkräten und beim Fernsehrat ist so eine Entschädigung und Freistellung in den Staatsverträgen noch nirgendwo vorgesehen. Das geht gar nicht. Für den MDR Staatsvertrag gab es kürzlich eine Anhörung und wir haben noch mal angemerkt, dass die bisherige finanzielle Regelung nicht geht. Mit den derzeitigen Regelungen sind die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen klar benachteiligt, was eine mögliche Sitzungsteilnahme und somit auch Teilhabe an den Prozessen angeht.
Foto: Screenshot ZDF.de
Reich wird mensch nicht im Fernsehrat
Reuters hat seit April 2021 eine weibliche Doppelspitze, erstmals in 170 Jahren Firmengeschichte, und eine der Frauen hat einen transsexuellen Hintergrund. In Deutschland denkbar?
Das ist großartig! Ich fände es auch großartig, wenn das ZDF mal eine Intendantin bekäme. Ich denke noch gar nicht an queer, davon sind wir immer noch ein paar Jahrzehnte entfernt. Ich würde über dem Boden schweben vor Freude. Bei uns im ZDF-Fernsehrat gibt es erstmals immerhin eine öffentliche Ausschreibung. Darauf haben wir bestanden. Wir arbeiten im Moment am Anforderungsprofil. Ich finde es wichtig, erst eine Liste von dem zu erstellen, was wir erwarten. Dann gucken wir: Wer passt da rein – und nicht umgekehrt, wie das an vielen Stellen passiert ist. Es ist wahnsinnig wichtig, dass wir das messbar für die Öffentlichkeit machen. Es ist ein öffentlich-rechtlicher Sender und der Öffentlich-Rechtliche gehört uns allen. Punkt.
*Interview: Victoria Forkel & Christian Knuth