Das deutsche Betäubungsmittelgesetz (BtMG) basiert auf der Regelung des sogenannten Opiumgesetzes, das vor etwa einhundert Jahren von diversen Großmächten vereinbart wurde. Das Problem war damals ähnlich wie heute: Es gab und es gibt weiterhin eine Nachfrage nach bewusstseinserweiternden Substanzen, die die psychische und körperliche Wahrnehmung verändern.
Aber eine Antwort darauf, wer solche Substanzen und in welcher Form und zu welchem Preis anbieten soll, gibt es nicht.
Unsere Regierung ignoriert die Problematik lieber, in der Hoffnung, dass sie sich von selbst auflöst. Tut sie aber nicht.
Warum gewisse Drogen auf dem Schwarzmarkt gekauft werden
Ganz stark vereinfacht – an dieser Stelle dürfen sich Historiker und Kriminologen gerne melden und die Redaktion rügen – wollte eine britische Kapitalgesellschaft vor langer Zeit den Opiumhandel in China kontrollieren. Die Chinesen wollten dies nicht. Es ging um sehr viel Geld und so kam es zu zwei Opiumkriegen.
Als keiner der beiden Parteien siegte, wurde 1909 von der daraufhin einberufenen internationalen Opiumkommission beschlossen, dass niemand den Opiumhandel kontrollieren darf. Der Gegenvorschlag eines weltweiten Regimes der Opium-Prohibition wurde angenommen.
Der illegale Drogenhandel ist die logische Konsequenz, da der Staat den legalen Handel mit Drogen grundsätzlich verbietet.
In Deutschland galt ab dem 1. Januar 1930 entsprechend das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln. Darin wurden unter anderem folgende Präparate aufgelistet: Rohopium, Opium für medizinische Zwecke, Morphin, Diacetylmorphin (Heroin), Kokablätter, Rohkokain, Kokain, Indischer Hanf (im Prinzip Gras und Haschisch) sowie alle Salze des Morphins, Diacetylmorphins (Heroin) und Kokains.
Foto: By Bundesarchiv, Bild 102-07741 : CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https:::commons.wikimedia.org:w:index.php?curid=5480042
Berlin, "Koks Emil" der Kokain-Verkäufer.
Berlin, "Koks Emil" der Kokain-Verkäufer, Mai 1929.
Die Stoffe waren fortan verschreibungspflichtig und nur noch zu medizinischen Zwecken legal erwerblich. Amphetamine (Speed, Ecstasy, MDMA) wurden erst im Jahr 1941 in das Opiumgesetz aufgenommen.
De facto gab es kein explizites Abkommen darüber, welche strafrechtlichen Folgen es nach sich zieht, wenn staatlich verbotene Drogen auf dem Schwarzmarkt vertrieben werden.
Der illegale Drogenhandel ist jedoch immer die logische Konsequenz, da der Staat den legalen Handel mit Drogen grundsätzlich verbietet. Ein Faktum, mit dem sich bislang nicht ergebnisorientiert auseinandergesetzt wird. Schauen wir uns den Schwarzmarkt also etwas genauer an:
Big Business
Verlässliche Zahlen kann es nicht geben, da sich der Drogenhandel komplett in der Unterwelt abspielt. Zur Veranschaulichung lohnt sich jedoch ein Blick auf den World Drug Report 2005, erstellt vom United Nations Office on Drugs and Crime, in dem der globale Marktwert für illegale Drogen allein im Jahr 2003 auf 321,6 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde.
Weniger konkrete Schätzungen im Internet gehen derzeit von einem Gesamtvolumen von 500 Milliarden US-Dollar aus. Zum Vergleich ist die weltweite Gaming-Industrie heutzutage offenbar 300 Milliarden US-Dollar wert.
Foto: Neal E Johnson / unsplash.com
Die Beteiligten
Hersteller*innen:
Der zigarrenrauchende Drogenbaron beseitigt keine Schädlinge von Koka-Sträuchern oder Schlafmohn-Feldern. Dafür hat er – oder sie – zahlreiche „Angestellte“. Diese illegalen Arbeiten werden nicht tarifgebunden verrichtet. Hier entstehen nicht bloß legale Grauzonen, sondern große schwarze Löcher, aus denen sich die Betroffenen oft nicht selbst befreien können.
Dealer*innen:
Es sind im Prinzip Menschen, die Geld damit verdienen, Rauschmittelprodukte zu vertreiben. Solange weiter eine Nachfrage nach illegalen Drogen besteht, wird es auch einen Schwarzmarkt für diese Produkte geben.
Aufgrund der Strafverfolgung wird auf die Ware in kartellartigen Handelsstrukturen ein hoher Risikoaufschlag auf den eigentlichen Beschaffungspreis aufgeschlagen. Im Klartext: Das Gramm Kokain, das mit Kurier an die Haustür geliefert wird, kostet eigentlich sehr viel weniger.
Durch eine eher willkürliche Extrarendite des Risikoaufschlages werden immer neue Anbieter*innen in den Markt gelockt.
Schmuggler*innen:
Ähnlich wie Dealer*innen, sie legen aber meist längere und gefährlichere Wege zurück. Bodypacker etwa schmuggeln pro Reise bis zu 200 Kapseln Kokain im Magen. Falls die Kapseln platzen, kann dies lebensbedrohlich sein.
Konsument*innen:
Grob lassen sich Drogennutzer*innen in vier Kategorien einteilen: Probierer*innen und Gelegenheitskonsument*innen, die den Konsum ihren Lebensstil und ihr Lebenskonzept anpassen können. Und Abhängige und Dauerkonsument*innen, die umgekehrt ihren Lebensstil und ihr Lebenskonzept dem Konsum anpassen.
Alle haben eines gemeinsam: Um ihr Bedürfnis nach einem illegalen Rauschmittel zu stillen, müssen sie in kriminelle Gefilde eintauchen. Hier treffen sie unter Umständen auf dunkle Gestalten, die gefährliche Dinge im Schilde führen. 2018 gab es offiziell weltweit 269 Millionen Konsument*innen von illegalen Drogen.
Polizist*innen:
Kontrolldelikten ist gemein, dass meistens gezielt Kontrollen, etwa Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, durchgeführt werden. Anschließend wird die Straftat registriert. Je intensiver die behördlichen Überprüfungen, desto mehr Fälle werden aufgedeckt. Das Bundeskriminalamt verbuchte in Deutschland 2019 exakt 359.747 Rauschgiftdelikte und 284.390 Tatverdächtige.
Richter*innen:
Das Bundesamt für Justiz zählte 2019 insgesamt 21.338.91 Richter*innen sowie andere Vertreter*innen des öffentlichen Interesses in der Rechtspflege der Bundesrepublik Deutschland. 2020 waren in Deutschland 333.600 Polizist*innen im Dienst. Jedes Jahr kümmert sich also ungefähr eine Polizist*in um etwa 1,08, eine Rechtspfleger*in um etwa 16,7 Rauschgiftdelikte.
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Noch einmal zur Erinnerung: Der weltweite Marktwert illegaler Drogen wird auf 500 Milliarden US-Dollar geschätzt. Wer wirklich neugierig darauf ist, in welchem Pool dieses Geld landet, der klicke sich einmal durch das Topics-Menu des UN Office On Drugs and Crime: Waffenschmuggel, Terrorismus, Menschenhandel, Wilderei, Cybercrime, Korruption und so weiter.
Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um sich einen direkten Zusammenhang zwischen der Line Koks, die man auf einer Party zieht, und der Zwangsprostitution von Minderjährigen auszumalen.
Hilfsangebote im Halbschatten
Beratungs- und Anlaufstellen für Drogennutzer*innen und Abhängige sehen sich einem besonderen Dilemma ausgesetzt. Die meisten Fachkräfte aus dem Bereich der Drogenprävention wissen, dass die Ansage: „Nehmt keine Drogen, weil sie illegal und ungesund sind“, die Menschen nicht vom Konsum abhält.
Jede Form von Drogenberatung und -Aufklärung findet derzeit zwangsläufig im Kontext von Kriminalität statt.
Die Kunst ist hier, Konsum-Strategien zu vermitteln und bei Drogenmissbrauch individuelle Schadensbegrenzung vorzunehmen, etwa in Form von Safer Use. Wer selbst schon einmal im Freundeskreis oder der Familie mit einer zerstörerischen Abhängigkeit konfrontiert wurde, der weiß auch, dass man als Moralapostel überhaupt nicht weiterkommt.
Jede Form von Drogenberatung und -Aufklärung findet derzeit zwangsläufig im Kontext von Kriminalität statt. Die Frage ist daher, wie effektiv diese Arbeit wirklich sein kann. Und wieviel positives Potenzial durch die Kriminalisierung und gesellschaftliche Ächtung gewisser Substanzen hier brachliegt.
Nach 30 Minuten 6 Fliegen tot
1952 untersuchte der Chemiker Albert van Schoor das Amphetamin MDMA, besser bekannt unter dem Namen Ecstasy. Er führte toxikologische Experimente mit Fliegen durch und notierte: „Nach 30 Minuten 6 Fliegen tot“. Eine wissenschaftliche Publikation folgte aufgrund seiner Beobachtung nicht.
Über die Gefahren von illegalen Drogen wird viel aufgeklärt. Warum aber nehmen Menschen diese dann doch recht bereitwillig in Kauf?
Schaut man sich allerdings lange genug um, finden sich zahlreiche studienbasierte Schriften, die die Schädlichkeit von MDMA und Co. nachweisen. Regelmäßiger und übermäßiger Konsum von Amphetaminen greift das Hirngewebe an. Bei unsachgemäßer Anwendung kann es zu einer Hyperthermie (Überhitzung) kommen, die tödlich verlaufen kann.
Kokainkonsum kann massive körperliche und psychische Folgen haben, zu Immunabwehrschwäche, starkem Gewichtsverlust sowie Schäden an Blutgefäßen, Leber, Herz und Nieren führen.
Eine Heroinvergiftung kann Bewusstlosigkeit, Atemprobleme und Kreislaufversagen mit Verlangsamung der Herztätigkeit auslösen. Während der Bewusstlosigkeit sind die Reflexe ausgeschaltet, weswegen die Gefahr besteht, an Erbrochenem zu ersticken.
Über die Gefahren von illegalen Drogen wird viel aufgeklärt. Warum aber nehmen Menschen diese dann doch recht bereitwillig in Kauf?
Legal vs. illegal
Bewusstseinserweiterung, mit Gott sprechen, inneren Frieden finden, einfach mal high sein, sexuelle Erlebnisse anreichern, augenblicklichen Schmerz betäuben. Die Liste der Gründe, warum Drogen in fast jeder Kultur der Welt auftauchen, ist lang.
Eine nicht-wissenschaftlich basierte Drogenpolitik birgt ganz reale Gefahren: für unsere Gesundheit wie auch für unsere Gesellschaft.
Selbst in der westlichen Kirchenkultur kamen sie zum Einsatz. In Weihrauch etwa ist der Wirkstoff Incensol enthalten. Auf Wildmäuse hat er einen ähnlichen Effekt wie Antidepressiva und Anxiolytika. Im Harz der Weihrauch-Spezies Boswellia papyrifera können Incensol und sein Acetat sogar einen Gesamtgehalt von bis zu 10 Prozent und mehr ausmachen. Das ist ziemlich potent.
Millionen von Christ*innen gehen also regelmäßig sediert aus der Sonntagsmesse, was man dann fromm nennt. Und Millionen von Kiffer*innen haben Angst davor, berauscht von der Polizei erwischt zu werden. Weil man das kriminell nennt.
Doch Scherz beiseite: Eine nicht-wissenschaftlich basierte Drogenpolitik birgt ganz reale Gefahren: für unsere Gesundheit wie auch für unsere Gesellschaft.
Drug-Checking
Der Körper einer sechzehnjährigen Ballerina reagiert auf eine Ecstasy-Tablette anders als der Körper eines vierzigjährigen Sumo-Ringers. Trotzdem kaufen beide am selben Abend in einem Club bei einer Dealer*in eine Pille und nehmen sie.
Haben sie vorher ihre Ärzt*innen konsultiert? Wohl kaum. Gehen sie beide ein Risiko ein, das eventuell ihre Gesundheit enorm gefährdet? Ganz sicher. Denn die Chance, dass vor Ort, im Club, ein sogenanntes Drug-Checking angeboten wird, ist gering.
Beim Drug-Checking kann man illegal erworbene Substanzen vor dem Konsum auf ihre Inhaltsstoffe prüfen lassen. Vor mehr als 25 Jahren wurde in den Niederlanden das erste Angebot dafür eingerichtet. Inzwischen wird es in Österreich, der Schweiz, Spanien, Frankreich und anderen Ländern offiziell angeboten.
Der Körper einer sechzehnjährigen Ballerina reagiert auf eine Ecstasy-Tablette anders als der Körper eines vierzigjährigen Sumo-Ringers.
Der Psychiater Dr. med. Felix Betzler, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin, erklärte gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt: „Aus medizinischer Sicht ist Drug-Checking unbedingt sinnvoll, weil wir wissen, dass der Konsum ohnehin stattfindet. Unser Interesse im Sinne des Harm Reduction ist dann natürlich, dass die Konsumenten möglichst viel über die Risiken wissen.“
Safety first!
Auf globaler Ebene hat sich in den letzten Jahren eine Bewegung Gehör verschafft, die sehr konkrete Forderungen stellt. Die Global Commission on Drug Policy wurde im Januar 2011 von einer Gruppe von Persönlichkeiten aus Amerika und Europa gegründet.
Die Organisation fordert eine weltweite neue Drogenpolitik, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und die Mitgefühl, Gesundheit und auch die Menschenrechte berücksichtigt.
Fünf praktische Ansätze für eine wissenschaftlich begründete Drogenpolitik, empfohlen von der Global Commission on Drug Policy:
- Die Gesundheit und Sicherheit der Menschen muss oberste Priorität haben.
- Der kontrollierte Zugang zu essentieller Medizin muss gewährleistet sein, vor allem Schmerzmittel in der Palliativ-Medizin.
- Die Kriminalisierung und Inhaftierung von Menschen, die Drogen benutzen, soll beendet werden. Es ändert nichts an der Drogenproblematik des Inhaftierten und zerstört weltweit Leben.
- Ein Umdenken im Umgang mit der strafrechtlichen Verfolgung von Drogenschmuggler*innen und organisiertem Verbrechen muss stattfinden. Die Energie, die in die Verfolgung und Bestrafung der Konsument*innen gesteckt wird, sollte darauf verwandt werden, mächtige und gut vernetzte kriminelle Organisationen zur Strecke zu bringen.
- Die Drogenmärkte sollten reguliert und den Regierungen die Kontrolle übergeben werden. Regierungen sollen dafür Verantwortung übernehmen, dass potenziell gefährliche Drogen kontrolliert an Konsumenten verteilt werden, anstatt den Drogenhandel organisierten kriminellen Gruppen zu überlassen.
Kultur-Phänomen
Zudem schlägt die Global Commission on Drug Policy vor, dass psychoaktive Substanzen hinsichtlich ihres Abhängigkeitspotenzials und anderer Auswirkungen auf den Körper klassifiziert werden sollten.
Wenn alte weiße Männer mit Kokain experimentieren würden und Jugendliche regelmäßig mit Viagra, dann würde es Koks bereits auf Rezept geben.
Dies ist bis heute nicht der Fall: Einige Substanzen sind legal verfügbar, weil sie als nützlich (Medikamente) oder kulturell wichtig (Alkohol) angesehen werden, während andere als destruktiv angesehen werden und strengstens verboten sind.
Etwas radikaler, doch auch humorvoller, drückt sich der Aktivist und Gründer der Drug Policy Alliance, Dr. phil. Ethan Nadelmann, aus: Wenn alte weiße Männer mit Kokain experimentieren würden und Jugendliche regelmäßig mit Viagra, dann würde es Koks bereits auf Rezept geben.
Portugal als gutes Beispiel?
Im Juli 2001 hat Portugal ein Gesetz verabschiedet, das den Besitz von Drogen, egal ob Cannabis, Ecstasy oder Heroin, entkriminalisierte. Der Besitz ist seither keine Straftat mehr, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit wie etwa Falschparken.
2015 war die drogeninduzierte Sterblichkeitsrate in Portugal um ein fünffaches geringer als der E.U.-Durchschnitt. Im selben Jahr wurde bestätigt, dass die Sozialausgaben wegen Drogenmissbrauchs seit 1999 pro Kopf um 18% gesunken sind. Die Zahl der HIV-Infektionen durch das Spritzen von Drogen konnte auf 18 Fälle pro Jahr reduziert werden.