Das Hormon Oxytocin ist ein wichtiger Botenstoff für unsere Gesundheit, das bei liebevollen Berührungen ausgeschüttet wird. Kuscheltherapeutin Meike Westerkamp erzählt uns, warum Kuscheln so wichtig ist, und worauf es dabei ankommt.
„Es ärgert mich sehr, dass dieses elementare Bedürfnis hierzulande derart von gesellschaftlichen Normen kontrolliert wird. Das Verlangen nach dieser Form von Nähe wird als Schwäche ausgelegt, was dazu führt, dass viele meiner Klient*innen sich regelrecht schämen, zu mir zu kommen.“
Hallo Meike, wie bist du denn dazu gekommen, Kuscheltherapeutin zu werden?
Ich wollte damals eine berufliche Veränderung und hatte vor Jahren schon von Leuten gehört, die damit Geld verdienen, dass sie andere umarmen. Das klang unglaublich spannend und ich habe mich dann weiter informiert und fand viele Anreize darin für mich, das ebenfalls zu machen.
„Kuscheln ist ein Grundbedürfnis. Es muss gestillt werden, damit es einem gutgehen kann.“
Es gibt für mich nichts Schöneres und Liebevolleres und Wertschätzenderes, als mit Leuten zu kuscheln, weil es so viel Freude und Zufriedenheit bereitet.
Ich habe immer schon ergebnisorientiert gearbeitet und versucht, meinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Bei der Kuscheltherapie sehe ich gar keine negativen Seiten. Ich kann meine Persönlichkeit gut einbringen und erhalte ganz direktes Feedback. Ich liebe auch die Rahmenbedingungen und genieße meine Selbstständigkeit sehr.
Wie kann man sich eine typische Therapiestunde bei dir vorstellen?
Wenn man ganz neu bei mir ist, sende ich zunächst eine Kuschelvereinbarung. Darin sind auch die Regeln für die Sessions aufgeführt. Vorher gibt es noch ein Gespräch, um weitere Details zu klären, etwa was die Leute mögen und was nicht. Dann zieht sich die Person um und es kann auf meiner großen Liegewiese gekuschelt werden.
Gibt es da nicht ungemein viele Hemmungen bei deinen Klient*innen?
Man merkt eigentlich immer direkt, ob die Leute gleich in die Vollen gehen wollen oder ob sie noch ein wenig Zeit brauchen. Manche müssen sich an die Nähe erst gewöhnen, andere sind da schneller. Während der Stunde frage ich immer wieder nach und mache Vorschläge und hole Feedback ein. Eine Therapie-Einheit dauert 50 Minuten, man kann aber auch länger buchen. Im Anschluss lasse ich die Leute noch einmal nachfühlen, alleine für sich, und dann ist es auch schon zu Ende.
"Das Verlangen nach dieser Form von Nähe wird als Schwäche ausgelegt, was dazu führt, dass viele meiner Klient*innen sich regelrecht schämen, zu mir zu kommen."
Das Kuscheln ist in unserer Gesellschaft leider total tabuisiert. Man darf es nur mit den Partner*innen oder den Kindern ausleben. Es ärgert mich sehr, dass dieses elementare Bedürfnis hierzulande derart von gesellschaftlichen Normen kontrolliert wird. Das Verlangen nach dieser Form von Nähe wird als Schwäche ausgelegt, was dazu führt, dass viele meiner Klient*innen sich regelrecht schämen, zu mir zu kommen. Sie denken, dass sie sich dadurch verletzlich zeigen. Hier kann ich ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Ich kann nur jedem raten, diesem Bedürfnis zu kuscheln auch nachzugeben und sich darauf einzulassen.
Beim Kuscheln werden aber auch Hormone freigesetzt, die wichtig sind für Geist und Körper …
Richtig, es werden unterschiedliche Hormone ausgeschüttet, vor allem aber Oxytocin, auch als Kuschel- oder Mutter-Kind-Hormon bekannt. Es ist ein körpereigener Botenstoff, der bei angenehmen Berührungen im Gehirn produziert und dann bei Bedarf ins Blut weitergeleitet wird.
"Oxytocin ist wirklich ein Wundermittel der Natur."
Weitere Nebeneffekte des Kuschelns sind, dass weniger Cortisol (Stress-Hormon) entsteht, das Immunsystem aktiviert und Aggression verringert wird. Ferner lindert es das Gefühl von Einsamkeit, reduziert Ängste, steigert das Selbstbewusstsein und die eigene Resilienz.
Zudem wird die Bindungsfähigkeit gefördert, Schmerzen werden reduziert, das Herz-Kreislauf-System verbessert sich, der Blutdruck wird gesenkt und auch die Schlafqualität verbessert sich. Oxytocin ist wirklich ein Wundermittel der Natur.
Kann man auch falsch kuscheln?
Das kann man tatsächlich und man merkt schnell, wenn es sich einfach nicht richtig anfühlt. Meinen Klient*innen sage ich immer, dass sie nur das tun sollen, was ihnen in dem Moment auch guttut. Ich habe auch schon gehört, dass Leute auf einer Kuschelparty waren und dort Sachen zugelassen haben, die sie gar nicht wollten. Da könnte man schon von „falsch kuscheln“ sprechen.
Bei der Kuscheltherapie ist es aber auch so, dass es nicht um das Kuscheln miteinander geht. Das ist ja normalerweise ein Geben und Nehmen und es gibt gleichberechtigte Partner*innen. In der Therapie bekuschele ich die Klient*innen. Die andere Person kann also rein im Nehmen sein und die Chance wahrnehmen, sich komplett fallen zu lassen. Man muss nichts zurückgeben und kann sich ganz auf sich selbst konzentrieren.
Es klingt auch für mich noch etwas sehr merkwürdig. Mit meinen Freunden würde ich jetzt auch nicht unbedingt kuscheln. Aber ich habe gehört, es ist ein richtiger Trend.
Ich habe bisher nicht eine negative Reaktion erlebt. Vielleicht mal Verwunderung darüber, dass es so etwas wie Kuscheltherapie überhaupt gibt. Im Gegenteil, ich höre sogar oft, dass die Leute das selbst gerne einmal machen würden.
"Durch Home-Office und die vielen Schließungen fällt einem auch mehr auf, was man im Leben wirklich braucht."
Besonders durch die Pandemie ist das Verständnis und auch die Nachfrage dafür gestiegen. Viele Menschen sind sehr einsam geworden. Durch Home-Office und die vielen Schließungen fällt einem auch mehr auf, was man im Leben wirklich braucht. Kuscheln ist ein Grundbedürfnis. Es muss gestillt werden, damit es einem gutgehen kann.
Passiert es jemals, dass die Grenzen ins Sexuelle verschwimmen?
Dadurch, dass ich die Kuschelvereinbarung zuvor bespreche und auch unterzeichnen lasse, ist mir so etwas noch nicht passiert. Ich bezeichne mich selbst als queer und es ist mir wichtig, dass die Leute wissen, dass sie bei mir angenommen und mit Respekt behandelt werden.
Hier kannst du mehr erfahren: www.berlincuddles.de
Interview: Torsten Schwick