Den Verein HILFE-FÜR-JUNGS e.V. gibt es seit 1994. Mittlerweile werden durch den Träger drei verschiedene Projekte organisiert. In der Berliner Beratungsstelle MUT können Männer*, der in der Kindheit oder im Erwachsenenalter sexualisierte Gewalt erlebt haben, Hilfe finden. Wir sprachen mit Geschäftsführer Lukas Weber.
Männer* haben Angst davor, als Opfer dargestellt zu werden. Manche haben Angst, dass sie als schwul gelten, obwohl sie vielleicht heterosexuell sind.
Was kann man sich unter Traumahilfe konkret vorstellen? In welchen Situationen kommen Männer* zu euch und brauchen Hilfe?
Letztendlich geht es immer um das Thema sexualisierte Gewalt, was allerdings ein sehr weiter Begriff ist. Willkommen ist bei uns jeder, der in der Kindheit oder im Erwachsenenalter sexualisierte Gewalt erlebt hat. Bei unseren Gesprächen muss das aber nicht unbedingt Thema sein.
Wir sind keine Therapeuten, die in das Trauma einsteigen, sondern wir helfen dabei, zu stabilisieren. Das bedeutet, dass die Menschen selbst das Tempo entscheiden, in dem sie arbeiten möchten. In den meisten Fällen geht es um Orientierung, Stressabbau und Selbstwahrnehmung.
In unserer Beratungsarbeit ist es egal, in welcher Form die sexualisierte Gewalt stattgefunden hat. Bei uns gibt es keine Mindestanforderungen an Gewalt.
Unsere Klient*innen haben häufig mit Alltagsproblemen zu kämpfen, die aus den belastenden Erlebnissen resultieren. Den meisten geht es eher darum, herauszufinden, warum etwa die Partnerschaft nicht funktioniert, warum sie so viel Stress auf der Arbeit haben und wie das vielleicht alles durch die Gewaltaspekte ausgelöst wurde, die sie erlebt haben.
In unserer Beratungsarbeit ist es egal, in welcher Form die sexualisierte Gewalt stattgefunden hat. Wenn ein Mann* zu uns kommt, und sagt, ich erlebe sexistische Sprüche am Arbeitsplatz, ist er herzlich willkommen. Wenn jemand sagt, ich habe in der Kindheit von meiner Stiefmutter schwerste Misshandlungen erlebt, dann ist er auch willkommen. Bei uns gibt es keine Mindestanforderungen an Gewalt.
Sexualisierte Gewalt an Jungen oder Männern ist immer noch ein Tabuthema. Wo genau, denkst du, liegt hier das Problem?
Was das Tabu angeht, in erster Linie ist das Problem unsere Gesellschaft. Es hat viel mit Männlichkeitsattributen zu tun. Männer* leben oft mit dem Eindruck, dass, wenn sie sich Hilfe holen, schwach oder nicht männlich genug sind.
Beratungsstellen in deiner Nähe findest du in den E-Paper von CHECK Magazin.
Wie verändert es einen Mann*, wenn er sexualisierte Gewalt erlebt hat?
Es kann massive Auswirkungen auf den Alltag haben: Man fühlt sich nicht der Gesellschaft zugehörig, nicht männlich. Man unterliegt zwar diesen Attributen, kann sie aber nicht erfüllen. Es ist im Prinzip natürlich völlig egal, ob man diese Anforderungen erfüllt. Aber für viele Menschen ist es eine große Schwierigkeit. Auch weil sie das soziale Umfeld haben, das teilweise sehr abwehrend reagiert und denkt, Männer* können keine sexualisierte Gewalt erlebt haben.
Ein weiteres Problem kann der Verrat des eigenen Körpers sein, wenn etwa der Penis während des Übergriffes steif geworden ist. Das ist aber eine normale körperliche Reaktion, die nicht unbedingt mit dem eigenen Sexualempfinden zu tun hat.
Viele leiden darunter, dass sie eigentlich keinen Ansprechpartner in ihrem sozialen Umfeld haben, weil es keiner ernst nimmt oder niemand es sehen will. Oder weil sie es einfach abtun und sagen, das passiere ja nur Frauen. Männer* haben Angst davor, als Opfer dargestellt zu werden.
Manche haben Angst, dass sie als schwul gelten, obwohl sie vielleicht heterosexuell sind. Auch das sollte ja in unserer heutigen Gesellschaft kein abwertender Begriff mehr sein, ist es aber teilweise trotzdem noch in einigen Kreisen.
Ein weiteres Problem kann der Verrat des eigenen Körpers sein, wenn etwa der Penis während des Übergriffes steif geworden ist. Das ist aber eine normale körperliche Reaktion, die nicht unbedingt mit dem eigenen Sexualempfinden zu tun hat.
Das muss unglaublich verwirrend sein.
Deshalb ist es so wichtig, dass es Fachleute gibt, die sich mit diesem Thema auskennen. Wir hören nicht zum ersten Mal davon, sondern sind spezialisiert auf das Thema sexualisierte Gewalt an Männern*. Es ist wichtig, dass wir in der Beratung vermitteln, dass wir diese Geschichte eben auch aushalten und keine abwertenden Nachfragen stellen.
Sexualisierte Gewalt an Männern* muss nicht unbedingt von Männern* ausgehen?
Statistisch gesehen geht aber die meiste sexualisierte Gewalt von Männern* aus. Man muss aber immer dazu sagen, dass sie auch von Frauen ausgehen kann. Es ist zwar der geringere Prozentsatz, die Erfahrung ist aber genauso belastend und für Männer* und Jungen, wenn sie Gewalt durch andere Geschlechter erleben als durch das eigene.
Sexualisierte Gewalt betrifft viele Männer* und viele Jungen. Es gibt spezialisierte Fachberatungsstellen genau für dieses Thema. Hier können wir gemeinsam darauf schauen, was können wir tun, damit es euch besser geht.
Es gibt seit Jahren die Debatte darüber, ob nicht viel mehr Forschung betrieben werden müsste, gerade mit Frauen als Täterinnen. Das würde es jungen Männern* vielleicht ermöglichen, zu sagen, sie haben das auch erlebt. Man geht hier von einem großen Dunkelfeld aus.
Hast du Tipps für Männer*, die sich vielleicht nicht trauen, diese Erfahrungen anzusprechen.
Ich würde mir einfach wünschen, dass die Betroffenen sich Menschen suchen, denen sie vertrauen können und die Erfahrungen ansprechen. Und ich möchte, dass die Leute wissen, dass sie nicht alleine auf dieser Welt sind. Sexualisierte Gewalt betrifft viele Männer* und viele Jungen. Es gibt spezialisierte Fachberatungsstellen genau für dieses Thema. Hier können wir gemeinsam darauf schauen, was können wir tun, damit es euch besser geht.
Bei uns muss niemand seine Geschichte erzählen, wenn er das nicht möchte. Stabilisierungsarbeit heißt nicht, dass wir in dieses Trauma zurückgehen, sondern nach vorne schauen: Was brauchst du heute, damit es dir morgen besser geht.