Gerade in der schwulen Szene ist Chemsex, also der Konsum von Drogen beim Sex, ein häufig anzutreffendes Phänomen. Diplom-Psychologe Christopher Knoll ist Berater bei der Münchner Aids-Hilfe und im Schwulenzentrum Sub. Mit ihm haben wir uns über Chemsex, seinen Reiz und seine Gefahren unterhalten.
Wir versuchen zusammen mit den Leuten eine möglichst problemfreie Konsumstrategie zu entwickeln.
Was versteht man unter Chemsex?
Gemeint ist „sexualisierter Substanzkonsum“, also die Verbindung aus Drogen und Sex. Diese Kombination gibt es freilich schon lange, aber sie hat in den letzten Jahren so zugenommen, dass man ihr mit „Chemsex“ einen Namen und einen festen Platz vor allem in Beratungsstellen für schwule Männer gegeben hat.
Warum scheint Chemsex gerade für schwule Männer attraktiv?
Die schwule Community war schon immer gut darin, sexuelle Nischen zu erobern und sich über Sexualität auszudrücken. Und: Schwule Männer sind zunächst einmal Männer. Und für die war es schon immer leichter zu sagen: „Lass´ uns Sex haben“ als „Nimm´ mich in den Arm“.
Um Nähe zu spüren, wählen sie also gern den Weg über die Sexualität. Schwule hatten schon immer ausgefeilte Methoden, ihre Sexualität zu optimieren, und haben sich dafür eine ausdifferenzierte Sexszene geschaffen, in der entsprechende Kontakte nicht zuletzt durch Dating-Apps schnell hergestellt werden. Hier funktioniert Chemsex einfach sehr gut, Hemmungen abzubauen und ein Gefühl von Nähe zu schaffen.
Was steckt hinter dem Phänomen "Chemsex" und was muss ich dazu wissen? Christopher Knoll aus dem Beraterteam der Münchner Aids-Hilfe gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Leider ist die Kehrseite der Medaille das Suchtpotential dieser Substanzen und die Tatsache, dass schwule Männer immer schon von Suchterkrankungen überdurchschnittlich betroffen waren. Übrigens: Auch wenn sich schwule Männer in manchen Parametern von Hetero-Männern unterscheiden, heißt das nicht, dass Chemsex an Heterosexuellen völlig vorbeigeht.
Was macht Chemsex so beliebt?
Die Substanzen steigern den sexuellen Appetit. Die Mittel wirken „entaktogen“, das heißt, sie verstärken die inneren Gefühle. Was man spürt, fühlt sich plötzlich größer, echter, ja geradezu überwältigend an. Und: Mögliche Schamgefühle verschwinden.
Insofern sind diese Drogen hochfunktional für eine rauschhaft erlebte Sexualität. Das macht Chemsex natürlich für manche interessant und daher wirkt er so intensiv, ist aber eben auch so problematisch.
Welche Stoffe kommen zum Einsatz?
In erster Linie wird Chrystal Meth, in der Szene auch „Tina“ genannt, verwendet. Das ist ein Amphetamin, dessen Wirkung stärker ist und viel länger anhält als beispielsweise die von Speed.
Aber auch andere Stoffe wie Ketamin, ursprünglich ein Medikament aus der Unfallchirurgie oder GHB/GBL, das oft fälschlich als „Liquid Ecstasy“ bezeichnet wird, gehören hierher. Dazu kommen Designerdrogen wie 3-MMC, ein Mephedron-Ersatz und andere Mittel, die alle extrem entaktogen wirken.
Wo bekommt man diese Drogen eigentlich her?
Kurz: Man erhält sie beim Drogendealer seiner Wahl. Die Beschaffung ist relativ einfach, denn zum einen kann beispielsweise Chrystal Meth im Vergleich unkompliziert hergestellt werden. Zum anderen befinden sich viele Produktionsstätten in grenznahen Gebieten Tschechiens, das verkürzt die Lieferwege nach Bayern.
Worin liegen die Gefahren von Chemsex?
Die Gefahren liegen vor allem in körperlichen Nebenwirkungen, zudem sind die Substanzen oft mit anderen Chemikalien gestreckt.
In Bayern gibt es noch immer kein Drug-Checking.
Leider gibt es in Bayern im Gegensatz zu anderen Bundesländern kein sogenanntes „Drug-Checking“, also Stellen, wo man seine Drogen prüfen lassen kann, wie rein sie sind oder wie viel Wirkstoff sie enthalten. Das brauchen wir aber dringend, denn sonst haben wir es weiterhin mit Substanzen zu tun, die ganz unterschiedliche Qualitäten aufweisen können, was wiederum sehr gefährlich für den User sein kann.
Neben den Folgen einer ungewohnt hohen Dosierung können Durchblutungsstörungen, eine Verringerung des Lungenvolumens und sogar Atemstillstand, übrigens die häufigste Todesursache in diesem Zusammenhang, auftreten.
Kann man süchtig nach Chemsex werden?
Durchaus. Die meisten dieser Substanzen haben eine starke Suchtwirkung und können dieses Potenzial bei dauerhaftem Gebrauch entfalten. Neben der physischen haben wir es sehr häufig mit psychischer Abhängigkeit zu tun.
Das heißt, der User kann sich Sex ohne diese Substanzen fast gar nicht mehr vorstellen und erlebt Sexualität ohne Drogen als enttäuschend. So wird dieser Prozess immer wieder aufs Neue befeuert und die Drogen können Einzug ins Alltagsleben halten, was möglicherweise ein Schritt in die Sucht bedeutet.
Was ist deine Empfehlung zum Umgang mit Chemsex?
Grundsätzlich unterstützen wir in den Beratungsstellen den Wunsch unserer Klienten nach einem selbstbestimmten Sexualleben. Bezüglich der Drogen wissen wir, dass es auch den nicht-süchtigen Konsum gibt und versuchen zusammen mit den Leuten eine möglichst problemfreie Konsumstrategie zu entwickeln.
Dabei ist wichtig: Man muss seine Substanzen kennen und einen Plan entwickeln, wie man sie konsumiert. Idealerweise legt man sich das Material, das man für einen sicheren Umgang braucht, vorher zurecht und setzt sich eine Obergrenze, die nach Möglichkeit auch nicht überschritten wird.
Wo kann ich mich zu Chemsex beraten lassen?
Erster Ansprechpartner in München und Oberbayern ist die Fachstelle Chemsex im Schwulenzentrum Sub. Auch bei der Münchner Aids-Hilfe kennt man sich mit der Thematik gut aus. In beiden Institutionen berät man die Klienten zu verantwortungsvollem Umgang mit Drogen und gibt Hilfestellung beim Wunsch nach Reduktion oder Abstinenz.
Wichtig ist, dass sich die Leute mit ihrem Konsum auseinandersetzen und informiert sind. Bei Fragen oder Problemen sind wir gern für User, aber auch für deren Angehörige und Partner da.
www.subonline.org, chems@subonline.org oder www.muenchner-aidshilfe.de