Seit es die vorsorgliche Einnahme von HIV-Medikamenten gegen eine Ansteckung mit dem Aids auslösenden Virus gibt, wird sowohl über die ebenfalls vorsorgliche Antibiotika-PreP als auch eine anlassbezogene Nachbehandlung (PEP) mit Antibiotika zur Vermeidung von bakteriell übertragenen Geschlechtskrankheiten (STI) nicht nur orakelt und risikofreudig in Selbstversuchen herumprobiert, sondern auch streng wissenschaftlich geforscht. Eine im März im „New England Journal Of Medicine“ veröffentlichte internationale Studie mit Beteiligung deutscher Forscher hat bestätigt, was auch schon kleinere Studien andeuteten.
Überraschung: Antibiotika gegen STI helfen gegen STI
Die Ergebnisse der Studie: Ein Antibiotikum, das eimalig als „Pille danach“ eingenommen wird, kann die Ansteckung mit bakteriellen sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis, Tripper oder Chlamydien deutlich verringern. Wenn die Pille binnen 72 Stunden nach dem ungeschützten Sex eingenommen wurde, konnten rund zwei Drittel der Infektionen verhindert werden. Nicht ganz unlogisch, dass Medikamente, die zur Heilung der bereits symptomatischen Krankheit eingesetzt werden und deren Wirkmechanismus dabei auf die Abtötung der auslösenden Bakterien abzielen, auf die gleichen Bakterien auch schon vor deren exponentiellen Vermehrung im infizierten Organismus mehrheitlich tödlich wirken. Also ab sofort neben der HIV-PrEP auch das in der Studie erforschte Doxycyclin in der Hausapotheke und dem Cruising-Package vorrätig halten? Kurze Antwort: Nein.
Sehr spezifische Zielgruppe erforscht
Da Menschen, die ihren Sex ohne die lähmende Angst vor HIV ausleben können, oftmals mehr davon praktizieren und dies gerne auch ohne den meist eh nur geringfügigen Schutz eines Kondoms gegen STI, stecken sie sich statistisch häufiger mit Eingangs genannten Plagegeistern an. Um solche Probanden zu finden, wurde das Studiendesign daher auf Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), sowie trans Frauen, die eine Prophylaxe gegen das HI-Virus einnehmen oder bereits mit einer HIV-Infektion leben, fokussiert. Damit die Forscher auch wirklich sicher sein konnten, keine Hypochonder oder Vollkasko-Pillenschlucker ohne tatsächliche Ansteckungswahrscheinlichkeit zu erwischen, mussten die Teilnehmenden im Jahr vor Studienbeginn mindestens eine Infektion mit einer sexuell übertragbaren Krankheit durchgemacht haben. Die Auswahl scheint geglückt: Alle Probanden nahmen im Schnitt während der Studie das Antibiotikum Doxycyclin vier Mal pro Monat ein, hatten also wohl so oft auch eine Begegnung, die eine Übertragung möglich machte.
Georg Stary vom Institut für Dermatologie an der Universität Wien erklärt, warum diese spezifische Zielgruppe auch für eine größere gesellschaftliche Betrachtung der STI-Infektionen taugt: Steckten sich in dieser Gruppe aufgrund der Einnahme von Doxycyclin weniger Menschen mit Syphilis, Tripper oder Chlamydien an, seien insgesamt weniger sexuell übertragbare Krankheiten im Umlauf.
„Dementsprechend werden unter Umständen auch diejenigen geschützt, die das Medikament nicht prophylaktisch einnehmen“, erklärte er.
Waren die bisherigen Einschränkungen schon reichlich relativierend, kommt das ganz dicke „Aber“ zum Schluss.
Resistenzen und Nebenwirkungen
„Allerdings müssen Antibiotika-Resistenzen bedacht werden“, heißt es im vorliegenden Bericht zur Studie weiter. Es sei vermehrt zu Resistenzen bei Gonokokken gekommen, die Tripper übertragen. Daher könne die Anwendung nicht generell empfohlen werden. „Wenn überhaupt“, sei sie nur für die oben definierte selektive Gruppe sinnvoll. Norbert Brockmeyer vom Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin am Katholischen Klinikum Bochum warnt zudem vor längerfristiger, regelmäßiger Einnahme: „Man muss davon ausgehen, dass es eine deutliche Veränderung des Mikrobioms geben wird und bei langer Anwendung auch vermehrt Nebenwirkungen auftreten werden.“
Laut Gelber Liste sind „häufige Nebenwirkungen“ (!) von Doxycyclin
- Magen-Darm-Beschwerden wie Sodbrennen,
- Erbrechen,
- Blähungen,
- Fettstühle und
- Durchfall.
Typisch sind auch
- Schleimhautentzündungen,
- allergische Hautreaktionen und
- eine erhöhte Photosensibilisierung.
Das klingt doch alltagssextauglich, oder?
Alternativen
Die untersuchte Zielgruppe kennt die bisher beste Methode, die Ausbreitung von STI zu minimieren am besten: Wer regelmäßig Sex hat - ob mit oder ohne Kondom ist dabei völlig zweitrangig - sollte genauso regelmäßig einen STI-Check bei den Ärzt*innen oder dem Checkpoint seines/ihres Vertrauens machen. Wird etwas gefunden, gibt es dann nämlich auch zielgenau Penicillin, Doxy oder Breitbandantibiotika, *ck/AFP