Meistens haben wir beim Sex ein klares Ziel vor Augen: den Höhepunkt. Doch manchmal kann man einfach nicht ejakulieren. Anstelle uns Sperma-Stress auszusetzen, fragen wir daher, ob der Orgasmus an sich nicht vielleicht ein wenig überschätzt wird.
Ein Orgasmus braucht keinen Partner
Wenn es nur darum geht, abzuspritzen, reicht die eigene Hand völlig aus. Bei der Selbstbefriedigung braucht man sich nicht einmal vorher hübsch zu machen, geschweige denn Geld für ein gemeinsames Abendessen oder das BVG-Ticket zum Date auszugeben. Es besteht keine Gefahr, sich mit irgendetwas anzustecken und man muss dem Sexpartner auch nicht erst zeigen, wie das beste Stück für ein optimales Lustempfinden richtig angepackt wird. Sex als Weg, um zum Orgasmus zu gelangen, ist daher weder effizient noch kostensparend. Es muss also um mehr gehen.
Austausch und Nähe
Du siehst ihn in einer Bar oder beim Browsen durch deine Dating-Portale und sofort ist klar: Mit dem will ich Sex haben. Die hundert geilen Dinge, die du im Kopf hast, sorgen dafür, dass deine Schwellkörper durchblutet werden und dein Verstand sich für eine Weile in deine Lenden zurückzieht. Ihr werdet euch küssen, streicheln, gemeinsam schwitzen, euch schmecken und riechen. Ihr werdet verletzlich sein, ineinander eindringen, mit Zunge, Schwanz, Fingern, Händen oder Toys. Ihr werdet stöhnen und komische Grimassen ziehen, vielleicht zwischendurch lachen, was essen oder illegale Substanzen konsumieren. Ihr werdet aufeinander achten und euch sagen, wie geil ihr euch findet und wie schön diese gemeinsame Zeit ist. All das passiert während des Sex. Nicht beim Orgasmus.
Der sexuelle Reaktionszyklus
In den 1960igern haben William H. Masters und Virginia E. Johnson, Pioniere der Sexualforschung, den sexuellen Reaktionszyklus erforscht und unterteilen ihn in folgende Abschnitte:
Die Erregungsphase, in der die Lust steigt.
Die Plateauphase, in der die Lust anhält.
Den Orgasmus, der die Spannung auflöst.
Die Rückbildungsphase, in der die Lust abebbt.
Diesen Zyklus kennen wir alle und sehen ihn auch immer wieder in der Mainstreampornographie. Der Orgasmus als dritter Akt gehört einfach dazu. Wer ihn nicht erlebt, denkt unweigerlich, der gesamte Zyklus sei unvollkommen und der Sex nicht abgeschlossen. Genau diese Ansicht sorgt aber besonders bei Männern für einen ziemlich hohen Leistungsdruck.
Die Ejakulation wird mit der funktionierenden Männlichkeit und finalen Befriedigung gleichgestellt. Die hundert tollen Dinge, die man beim Sex erlebt, verlieren ihren Wert. In Folge davon werden auch die zahlreichen wunderbaren Sinneseindrücke als unwichtig empfunden und es entsteht eine negative Feedback-Spirale. Das körpereigene Lustempfinden beim Sex wird gegen die Produktion von Sperma ausgespielt. Ein paar Lusttropfen werden wichtiger als ein lebendiger Körper, der bis ins hohe Alter sexuelles Wohlbefinden bietet.
Was man zudem bedenken sollte, ist, dass Männer schöne Empfindungen nicht nur bei der Ejakulation erleben. Auch bei einer gekonnten Massage der Prostata können orgasmusartige Gefühle entstehen.
Der Weg ist das Ziel
Wer nun denkt, man könne vielleicht umdenken, der denkt richtig. Viele Männer zögern den Orgasmus bewusst lange hinaus oder kommen sogar absichtlich nicht beim Sex. Denn wenn man sich beeilt, zum Orgasmus zu kommen, ist die Energie nach dem Abspritzen erst einmal im Keller.
Wenn man die Energie aber langsam aufbaut, die Lust sich entwickeln lässt und erst dann kommt, wenn bereits der ganze Körper ekstatisch ist, ist dieser Energieabfall wesentlich kleiner. Das ist jedoch auch davon abhängig, wie intensiv die emotionale Begegnung vor und beim Sex war und nicht unbedingt, ob es zum Orgasmus kam oder nicht.
Männer, die nach einer guten Nummer ganz auf das Abspritzen verzichten, berichten davon, dass sie oft für Stunden oder sogar tagelang energiegeladen und viel motivierter sind. Es gibt eigene Sexbegriffe, die diese Praktiken kultivieren wie etwa „Edging“ oder „Cumcontrol“. Dabei bestimmt der Partner, wann abgespritzt wird. In einigen SM-Beziehungen werden auch Schwanzkäfige zum Einsatz gebracht, damit der devote Partner gar nicht erst die Möglichkeit hat zu kommen.
Also bloß kein Stress! Sex ist für viele Menschen eine der intensivsten und lustvollsten Möglichkeit, sich zu begegnen – egal ob mit oder ohne Orgasmus.
Anorgasmie
Wenn man auch langfristig keinen Orgasmus haben kann, spricht man von Anorgasmie. Dabei handelt es sich um eine Art sexueller Dysfunktion, die oft Frustration verursacht. Oftmals als psychisch bedingtes Symptom verstanden, kann sie jedoch auch durch medizinische Probleme wie diabetische Neuropathie, Multiple Sklerose, Genitalverstümmelung, Komplikationen durch Genitalchirurgie oder Beckentrauma – etwa durch Sturz auf die Stangen eines Klettergerüsts oder Fahrrad –verursacht werden.
Hormonelle Ungleichgewichte, Rückenmarksverletzungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen können ebenfalls Ursache sein. Wenn das Problem anhält, suche bitte unbedingt einen Arzt auf.
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