„Bisexualität gibt es wirklich“, lautet das Fazit einer kürzlich veröffentlichten Meta-Studie, die nicht nur die subjektiv empfundene, sondern auch die körperliche Erregung von Männern analysiert hat.
Bisexualität
Ein Mann entspannt mit einer weiblichen Prostituierten und einem jungen Mann. Nishikawa Sukenobu, Druck, Kyoho-Ära (1716-1735).
Obwohl mehr und mehr Menschen angeben, sich nicht ausschließlich hetero- oder homosexuell zu definieren – im Jahr 2015 waren es Angaben des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge 39 Prozent der 18- bis 24-Jährigen (wir berichteten) –, bleibt Bisexualität in unserer Gesellschaft weitestgehend unsichtbar. Vor allem in der schwulen Community können die wenigsten mit Bisexualität umgehen. Kaum jemand, den es nicht selbst betrifft, will wirklich daran glauben, dass es möglich ist, sich von beiden Geschlechtern angezogen zu fühlen. Kein Wunder, denn sogar unter Wissenschaftlern ist die Vorstellung, dass männliche sexuelle Orientierung nur homosexuell oder heterosexuell sein kann, noch weit verbreitet.
Die Ergebnisse der Meta-Studie Robust evidence for bisexual orientation among men, die am 4. August in der Zeitschrift PNAS veröffentlicht wurde, liefern potente Belege dafür, dass es die Spezies ‚Bisexueller Mann‘ wirklich gibt.
Acht Studien, viele Pornos und ein Ergebnis
Das Amerikanische Institut für Bisexualität untersuchte in Zusammenarbeit mit mehreren US-amerikanischen und britischen Universitäten, inwieweit Männer, die sich selbst als bisexuell bezeichnen, auch wirklich bisexuelle Erregungsmuster aufweisen. Hierzu wurden Forschungsergebnisse aus acht früheren Studien, die in den USA, Großbritannien und Kanada durchgeführt wurden, zu einem Datensatz zusammengefasst und miteinander verglichen.
Nicht repräsentativ, aber unterhaltsam: Wie bisexuell bist du?
Alle der Meta-Studien zugrunde liegenden Untersuchungen hatten dasselbe Forschungsdesign: Den Probanden wurden zwei- bis dreiminütige Filme gezeigt – zu sehen waren entweder neutrale Inhalte wie Landschaftsaufnahmen oder explizit sexuelle Darstellungen wie Schwulenpornos bzw. einen masturbierenden Mann oder Lesbenpornos bzw. eine sich selbst befriedigende Frau. Nach jedem Clip wurden die Männer aufgefordert, ihre subjektiv empfundene Erregung auf einer Skala von 0 bis 6 einzustufen (Kinsey-Skala1). Ausgehend von der Annahme, dass bei Männern das Ausmaß der körperlichen Erregung auf einen sexuellen Reiz in der Regel einen überzeugenden Hinweis auf ihre sexuelle Orientierung gibt, wurde mithilfe von Dehnungsmessgeräten auch der Grad der ansteigenden Erektion beim Betrachten der Pornos gemessen. Und siehe da:
Die körperlichen und subjektiven Erregungsmuster von bisexuell identifizierten Männern sind bisexueller als diejenigen, die als ausschließlich heterosexuell oder homosexuell identifizieren.
Bisexuelle Männer werden sowohl im Hinblick auf ihr subjektives Empfinden als auch hinsichtlich ihrer körperlichen Reaktion von beiden Geschlechtern erregt. Aber nicht unbedingt gleich stark. Je „bisexueller“ sich jemand selbst bezeichnete, desto eher war auch eine Erregung bei weiblichen und männlichen Pornos zu verzeichnen, so das Fazit der Forscherinnen und Forscher.
Grafik: Proceedings of the National Academy of Sciences
Grafische Darstellung der genitalen und selbstberichteten Erregung auf weibliche und männliche Reize nach Kinsey
Mittlere standardisierte genitale (links) und selbstberichtete (rechts) Erregung auf weibliche und männliche Stimuli (±95% CI) nach Abzug der Reaktion auf neutrale Stimuli, angegeben in Kinsey-Werten.
Ein bisschen Bi schadet nie – wenn Mann es zulässt
Fun Fact: Auch bei Männern, die sich selbst als „ausschließlich heterosexuell“ bezeichneten, hatten Schwulen-Pornos eine messbare Erektion zur Folge. Bestätigen wollte es aber keiner – die Einstufung der subjektiv empfundenen Erregung fiel wesentlich geringer aus.
1 Die Kinsey-Skala, vom Sexualforscher Alfred Kinsey als heterosexuell-homosexuelle Bewertungsskala entwickelt, unterteilt die sexuelle Orientierung in sechs Stufen (0 = ausschließlich heterosexuell, 6 = ausschließlich homosexuell), wobei der Übergang zwischen hetero- und homosexuellen Tendenzen fließend ist.